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Ein Video zeigt, wie Krebs Knochengewebe zerstört

Leukämiepatienten klagen oft über starke Knochenschmerzen. Bislang wussten Ärzte nicht, warum.

Das Grüne stellt Knochengewebe dar, die roten Punkte sind Krebs. Achte darauf, wie sich gegen Ende des Videos die roten Zellen in grüne Taschen gefressen haben. Alle Bilder und Aufnahmen bereitgestellt

Lange Zeit konnten Ärzte nur spekulieren, warum Leukämiepatienten so heftige Schmerzen in ihren Knochen und Gelenken verspüren. Dank einer neuen Visualisierungstechnik, die von Forschern an Londons Imperial College und dem australischen Walter and Eliza Hall Institute entwickelt wurde, können Medizinier jetzt in Echtzeit sehen, was im Körper passiert. Und zwar, dass Krebszellen die Knochen zerstören, die sie befallen.

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Leukämie ist Blutkrebs und darüber hinaus die Krebsart, an der Kinder am häufigsten erkranken. Leukämie zeichnet sich außerdem dadurch aus, dass sie extrem resistent gegenüber Chemotherapie ist. Warum das so ist, hatten Ärzte bislang auch nicht wirklich verstanden. Aber auch hier konnte die neue Visualisierungstechnik Abhilfe schaffen.

Um eine ungefähre Vorstellung davon zu bekommen, wie sie funktioniert und inwiefern sie die Medizin vorantreibt, haben wir den Immunologen Dr. Edwin Hawkin angerufen, den Leiter des australischen Forschungsteams.

Dr. Edwin Hawkin

VICE: Dr. Hawkin, das Video ist ziemlich unheimlich. War das auch Ihre Reaktion, als Sie es zum ersten Mal gesehen haben?
Edwin Hawkin: Ja, das mit dem unheimlichen Gefühl stimmt schon. Das ist mir genau so gegangen, als ich es zum ersten Mal gesehen habe. Ich habe mich immer wieder gefragt: "Ist das wirklich wahr? Ist das wirklich das, was im Körper passiert?" Es ist eine grauenvolle Vorstellung.

Wie funktioniert diese Technologie denn?
In dem Video sieht man Tausende Einzelbilder eines Stücks Schädelknochen, die zu einem Bild zusammengefügt wurden. Wir haben ein Stück genetischen Codes einer fluoreszierenden Qualle eingefügt—die Methode wird seit vielen Jahren angewandt und hat auch einen Nobelpreis gewonnen—, um die Zellen, die wir beobachten wollen, einzufärben.

Wir haben auch Antikörper injiziert, die sich an die Zellen anheften, die wir beobachten wollten—auch sie haben wir mit einem fluoreszierenden Stoff markiert. Wir haben also die Knochenzellen und die Krebszellen unterschiedlich eingefärbt, sie jeweils neun Stunden lang unter ein Mikroskop gehalten und alle drei Minuten die Daten gesammelt. Es war unfassbar zeitaufwändig.

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Können Sie erklären, was diese Technologie und die Ergebnisse so bahnbrechend macht?
Sie ist vor allem aufgrund der Erkenntnisse für die Chemotherapie bei Leukämie unglaublich wichtig. Früher haben alle gedacht, dass es da diesen besonderen Bereich geben würde—eine Art Bunker, in dem sich die Krebszellen verstecken. Wir können jetzt aber sehen, dass das nicht stimmt. Stattdessen steigern die Zellen ihre Aktivität und bewegen sich schneller. Sie ziehen durch den Körper und versuchen, der Chemotherapie zu entkommen.

Und was können Sie mir über die Knochenschmerzen sagen, von denen Patienten berichten?
Bislang wusste niemand wirklich, warum das so ist. Wir hatten vermutet, dass es daran liegt, dass sich dermaßen viele Zellen in den Knochen der Patienten teilen, dass es sie beinahe zerreißt. Aber auch das stimmt nicht. Die Menschen haben Schmerzen, weil ihre Knochen abgetragen, getötet und neumodelliert werden.

Tragen die Krebszellen die Knochen aus einem bestimmten Grund ab?
Nein, das glauben wir nicht. Krebszellen sind nicht intelligent. Das ist ein großes Missverständnis. Menschen scheinen zu glauben, dass Krebszellen wissen, was sie tun—wie Viren. Ein Virus entwickelt sich ständig weiter und versucht seine Wirtszelle am Leben zu halten. Krebs tut das jedoch nicht. Wir vermuten, dass das Abtragen der Knochen geschieht, weil sich so viele Zellen teilen und Abfallprodukte produzieren. Die Zerstörung des Knochens ist quasi ein Nebeneffekt.

Wie werden uns diese neuen Erkenntnisse im Kampf bei der Krebsbehandlung helfen?
Wir haben gelernt, dass Krebszellen von der Chemotherapie förmlich wegrennen—und zwar sehr schnell. Wir werden also die Proteine blockieren, anhand derer sie sich durch den Körper bewegen. Weil wir jetzt sehen können, wie die Krebszellen weglaufen, können wir ein Medikament verabreichen und in Echtzeit zusehen, wie die Zellen darauf reagieren. Wir haben ein paar Medikamente gefunden, die die Zellen tatsächlich aufhalten können. Das kann man schon beobachten, während man das Mittel injiziert. Man sieht, wie die Zellen plötzlich aufhören, sich zu bewegen und einfrieren. Es ist, als würden sie im Schlamm stecken bleiben.

Ist das die Erkenntnis, die für Sie am aufregendsten ist?
Am aufregendsten ist für mich an der Geschichte, dass wir das Bedürfnis komplett eliminiert haben, diese Zufluchtsorte oder Bunker zu suchen. Sie existieren nicht, also müssen wir uns nicht mehr um sie kümmern. Stattdessen wissen wir jetzt genau, worauf wir uns konzentrieren müssen. Das ist für mich der größte Fortschritt.