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In Wiener Neustadt werden gerade die meisten Einrichtungen für Jugendliche platt gemacht

In Wiener Neustadt gibt es dieser Tage ein österreichweit einzigartiges Experiment—mit drastischen Folgen für die EinwohnerInnen.

Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung des Triebwerks

Was ist eigentlich in Wiener Neustadt los? Nix, sagen jetzt wahrscheinlich die meisten. Dabei gibt es dort dieser Tage ein österreichweit einzigartiges Experiment—mit drastischen Folgen für die EinwohnerInnen. Titel des Experimentes ist: „Was passiert mit einer Stadt, in der jedes Jahr knapp 16 Millionen Euro Budget eingespart werden?"

Das ist erst mal eine dürre Zahl, hinter der man sich nichts vorstellen kann. Und doch behauptet die derzeit in Wiener Neustadt regierende „bunte" Koalition aus ÖVP, FPÖ, Grünen und zwei weiteren Personenlisten, dass die Stadt ohne diese Einsparungen am 31. März 2016 pleite sei.

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Zahlungsunfähig. Also keine Löhne für Gemeindebedienstete, keine Mistabfuhr mehr, Schließung aller öffentlichen Einrichtungen, Ämter, Schulen, Schwimmbad. Das ist das Horrorszenario, das FPÖ-Jugendstadtrat Markus Dock-Schnedlitz im Dezember vor rund 60 Anwesenden Jugendlichen im örtlichen Jugendzentrum Triebwerk präsentierte.

Und deshalb, so Dock-Schnedlitz weiter, müsse man als verantwortungsvolle Stadtregierung eben sparen. Das passiere mit Bauchschmerzen, sei aber notwendig, um die Stadt vor dem Ruin zu retten. Am 19. Februar 2016 soll das neue Budget beschlossen werden. Viele dieser Einsparungen werden vor allem Pflegebedürftige, PensionistInnen und Jugendliche treffen. Die können sich am wenigsten wehren.

Das Essen auf Rädern wird ab ersten Jänner um 33 Prozent teurer. Der städtische Gesundheitspfleger wird gestrichen. Ein Pflegeheim wird privatisiert. Bei der Jugend fallen große Teile des bisherigen städtischen Angebotes weg. Der Jugendtreff UVZ fällt ebenfalls weg. Genauso die Jugendinitiative Megafon, die eine in Österreich so nur selten zu findende kontinuierliche Jugendarbeit leistete—unter anderem mit einem Internet-Jugendradio und einem Filmfestival.

Abgeschafft werden auch die städtischen Jugendbeauftragten. Und auch beim Triebwerk soll gekürzt werden. Gerade das Triebwerk hat einen besonderen Platz in der Stadt: Es ist der einzige nichtkommerzielle Veranstaltungsort für Jugendliche. Damit ist es überlebenswichtig für lokale Nachwuchsbands und Jugendkultur. „Über die Zukunft des Triebwerks wird noch verhandelt, das ist alles noch nicht richtig an unsere Klientel durchgedrungen", meint Conrad Heßler, einer der treibenden Köpfe des Projekts. „Sollten wir wirklich schließen müssen, wird es sicherlich Proteste der Jugendlichen geben."

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Links im Bild: FPÖ-Jugendstadtrat Markus Dock-Schnedlitz

Proteste gegen die Abschaffung des Jugendbeauftragten gab es bereits. Auch eine Onlinepetition kursierte. Das alles wurde von der „bunten" Regierung jedoch als reine „Parteijugendveranstaltungen" beiseite gewischt. „Dabei ist gerade die Unabhängigkeit von Parteien ein wesentliches Merkmal der in Wiener Neustadt betriebenen Jugendarbeit", sagt Sozialarbeiterin Julia Boschmann. „Für Jugendliche ist das eine sehr, sehr große Sache, an einem Sonntag, um 9:00 Uhr morgens, zu einer Demonstration zu gehen. Das zeigt, wie wichtig ihnen das ist. Die Unterstellungen der Stadtregierung zeigen nur, wie wenig Ahnung man dort von Jugendarbeit hat."

Der Parteijugendveranstaltungsvorwurf zielt auf die SPÖ, die nach 70 Jahren nicht mehr in der Stadtregierung ist. Sie trägt für die Wiener Neustädter Finanzmisere eine gewisse Verantwortung. Dazu gehören Risikogeschäfte an internationalen Finanzmärkten. Man hatte auf einen stabilen Kurs des Schweizer Franken gewettet. Nachdem dieser in letzter Zeit aber drastisch gefallen ist, haben sich die Schulden der Stadt ebenso drastisch erhöht. Ohnehin meint der Rechnungshof, dass die Stadt seit Jahren davon abhängig war, „sie finanzierende Banken zu finden, um ihre Zahlungsfähigkeit zu erhalten."

In Wiener Neustadt wollen die Banken ihr Geld nun zurück. Vielen anderen Gemeinden droht mittelfristig ähnliches. Wenn du denkst, dich geht das alles nichts an, weil du in Wien wohnst, hast du dich leider getäuscht. Auch Wien hat mit dem Schweizer Franken spekuliert, wodurch 500 Millionen Euro Schulden existieren, die derzeit Teil Wiener stadtpolitischer Debatten sind.

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Conrad Heßler vom Triebwerk

Die Wiener Neustädter SPÖ kritisiert das Sparpaket in vielen Stellungnahmen. Dennoch schreibt SPÖ-Vizebürgermeister Horst Karas in einem Brief an die von Lohnkürzungen betroffenen Magistratsbediensteten: „Die SPÖ hat jegliches Verständnis für Einsparungen am richtigen Platz, doch muss es für engagierte Arbeit auch nach wie vor entsprechende Entlohnung geben. Auch wir hätten den Einsparungskurs fortsetzen müssen. Auch wir hätten unpopuläre Maßnahmen treffen müssen." Den Unterschied zwischen dem „falschen" Sparpaket der jetzigen Stadtregierung und den „unpopulären Maßnahmen" einer SPÖ-geführten Regierung haben die GenossInnen bisher noch nicht erklärt.

Weil keiner weiß, welche Kürzungen die nächsten Monate noch bringen werden, herrscht unter vielen Menschen in Wiener Neustadt ein Klima der Angst. Viele halten den Kopf unten und hoffen, dass alles bald vorbei ist. „Für viele fühlt es sich so an, als ob alles, was man über Jahre aufgebaut hat, in einem Moment wegfällt. Als ob einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird", sagt Julia Boschmann.

Jedenfalls gibt es auch Anfang 2016 kein Licht am Ende des Tunnels. Die Hiobsbotschaften rollen weiter. Conrad Heßler vom Triebwerk berichtet: „Es ist nun fix, dass uns die Stadt die Hälfte der Förderungen streicht. Das heißt für uns, dass wir Mitarbeiterstunden abbauen müssen. Sofort. Damit einhergehend werden wir auch unser Programmangebot reduzieren müssen. Einen Teil des Budgetlochs konnten wir mit kurzfristigen Aushilfsfinanzierungen stopfen. Aber wie wir 2017 tun, steht in den Sternen."

Fakt ist: Die Wiener Neustädter PensionistInnen, SchülerInnen, Lehrlinge, Gemeindebediensteten und Erwerbslosen haben nicht das Geld der Stadt auf den internationalen Finanzmärkten verspekuliert. Aber sie zahlen jetzt den Preis dafür. Den Jugendlichen der Stadt droht die Vernichtung bestehender Freiräume. Ist so erst mal eine Einöde geschaffen, wird es sehr schwer werden, diese wieder rückgängig zu machen.