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Sport

„Ich will, dass Leute wissen, dass ich fair bin und Respekt zeige.“

Wir haben uns mit Manuel Ortlechner, dem Hipster unter Österreichs Fußballern, über Outing, Nazis, die Grünen und die New Tower Generation unterhalten.

Porträt von Michael Bonvalot

Manuel Ortlechner ist Kapitän der Wiener Austria und gilt als einer der besten Spieler in Österreich—zumindest solange du keine Rapid-Fans fragst. Er fotografiert aber auch gern, legt in der Pratersauna auf und studiert an der WU Wien, das heißt, er ist irgendwie der Hipster unter Österreichs Fußballspielern (falls es sowas überhaupt gibt).

Und weil gerade WM ist, wie man an der österreichischen Medienhetze auf „Piefke" und Jeannées Endspielsieg-Schmäh merkt, haben wir uns entschlossen uns ein bisschen mit dem Fußballer zu unterhalten, dann aber irgendwie komplett vergessen zu fragen, wer heuer Weltmeister wird. Vielleicht, weil Manuel viel interessantere Dinge zu sagen hatte. Übers Schwulsein im Profifußball, Nazis, die Fußballergewerkschaft und die New Tower Generation. Wir haben es euch ja gesagt, er ist ein Hipster.

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VICE: Manuel, die letzten zwei Jahre waren eine absolute Hochschaubahn. Zuerst die gewonnene Meisterschaft mit der Wiener Austria, dann warst Du in der Champions League sogar im Team der Runde. Im Frühjahr bist Du dann teilweise nicht zum Einsatz gekommen, jetzt habt ihr sogar den internationalen Startplatz verloren. Was war da los?
Manuel Ortlechner: Fußball ist nicht berechenbar. Aber genau das macht ihn interessant und zum populärsten Sport der Welt. Oft entscheiden einfach Kleinigkeiten.  In der Meistersaison war es ein unglaublicher Flow, wo alles ging. So etwas habe ich in 14 Jahren als Profi noch nicht erlebt. Im Herbst und Frühjahr war es dann  ein Auf und Ab und am Ende konnten wir uns nicht international qualifizieren.
Ich habe darüber nach dem Champions League Spiel gegen Zenit St. Petersburg mit einem Offiziellen der UEFA geplaudert. Er hat erzählt, dass das ein häufiges Phänomen ist, wenn Mannschaften das erste Mal in die Champions League kommen. Wir haben etwa in einer Woche zuerst in Portugal gegen Porto super gespielt und dann am Wochenende gegen Grödig. Es ist da nicht immer ganz leicht, die Spannung zu halten, doch natürlich wollen wir immer gewinnen.

Warst Du eigentlich selbst Fußball-Fan, bevor Du Profi wurdest?
Ich war Fan der SV Ried, bin in der Kurve gestanden und war auch dabei, als beispielsweise ein Fanclub neugegründet wurde, nämlich die Supras Ried. Ich war früher eigentlich kein Fan der Austria, ich finde es immer ein wenig unehrlich, wenn beispielsweise Rapidler beim ersten Interview sagen, dass sie schon immer für Rapid waren. Ich habe die Söldner-Mentalität der Austria in der Magna-Ära unter Frank Stronach sogar äußerst unsympathisch gefunden. Heute ist Stronach weg, der Klub ist ganz anders aufgestellt. Das finde ich gut.

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Du hast einmal gesagt, der Trainer ist am Wichtigsten. Warum?
Gegenfrage: Wer sonst? Die Kampfmannschaft ist das wichtigste Element des Vereins. Und der Trainer ist verantwortlich für die Kampfmannschaft. Wenn es mal mit einem Trainer nicht passt, gebe ich trotzdem mein Bestes. Es ist ja auch ein Mythos, dass Spieler gegen den Trainer spielen, wie es oft in den Medien heißt. Ich bin Profi, ich verdiene mein Geld mit gutem Fußball. Klar ist jedenfalls, dass jeder ersetzbar ist.  Ich halte es da mit Alex Ferguson: „No player is bigger than the club".

Foto von Manuel Ortlechner

Du spielst bei der Mannschaft in Österreich mit den meisten nationalen Titel. Die Austria hat sogar den Mitropa-Cup gewonnen, den Vorläufer der Champions League. Wie macht sich eine solche Tradition eines Vereins bemerkbar?
Der Druck bei der Austria ist sicher größer als etwa in Ried oder in Pasching. Es gibt einen permanenten Kampf ums Leiberl, hinter Dir warten andere. Doch mir das wichtig, ich wollte immer in die Bundeshauptstadt und mich dort beweisen. Ob Austria oder Rapid, war mir damals egal – heute ist das natürlich anders (lacht).
Ich merke auch, dass die Stadt polarisiert ist. Bei einem Stadtspaziergang oder auch im Lokal – entweder ist der Kellner extrem freundlich oder eben bewusst abweisend. Dann habe ich wohl einen Grünen erwischt (lacht).

Wie beeinflusst euch eigentlich die Stimmung im Stadion? Bringt der Support der Fans etwas?
Wir bekommen sehr gut mit, wie die Stimmung gerade ist. Wir spüren, wenn es auf einmal still ist und merken, wenn das Stadion voll mitgeht. Gerade in unserem Heimstadion bist Du unglaublich nah an den Zusehern, Du hörst jedes Wort.
Auswärts ist es leider oft so, dass Spieler beschimpft werden. Es beeinflusst mich nicht wirklich, doch es ist nicht okay und nicht die Art, wie ich mir Fußball wünsche. Bei Rapid ist es leider oft part of the game, dass Du bei einem Eckball mit Bier angeschüttet oder bespuckt wirst. Das sollte aber in keinem Stadion vorkommen. Respekt vor dem Gegner ist mir wichtig und ich bin natürlich auch mit Spieler anderer Vereine befreundet.

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Apropos, würdest Du zu Rapid wechseln?
Die Antwort ist ohnehin klar, oder? (Lacht). Nein. Die Frage stellt sich aber auch nicht. Ich lege auch wert auf eine gewisse Vereinstreue. Es gibt Spieler, die wechseln so oft den Verein, dass sie bald ausfaltbare Autogrammkarten bräuchten. Das ist nicht mein Weg.

Es gibt ja in den Fanszenen eine lange Debatte um Pyrotechnik – was denkst Du dazu?
Das ist jetzt ein heikles Thema. Ich sage mal so: ich finde angemeldete Pyrotechnik, wo auf die Sicherheit geachtet wird, sehr bereichernd.

Manel Ortlechner versteckt seine politische Einstellung nicht. Foto Michael Bonvalot

Die Austria hat eigentlich eine Geschichte, wo Nazis keinen Platz haben sollten. Es gibt eine lange jüdische Tradition. Norbert Lopper etwa, Klubsekretär der Austria, überlebte Auschwitz und feierte vor kurzem seinen 95. Geburtstag. Der langjährige Namensgeber eures Stadions, Franz Horr, war Revolutionärer Sozialist und Widerstandskämpfer. Und jetzt gibt es seit Jahren Probleme mit Neonazis. Was denkst Du dazu?
Das ist ein trauriges Kapitel. Ich bin sehr froh, dass der Großteil der Nazis jetzt mal aus dem Stadion rausgeworfen wurde. Der Verein hätte eventuell noch früher reagieren können, doch es ist gut, dass es jetzt passiert ist. Es war ja sogar so, dass andere Fans die Fankurve verlassen haben wegen dieser Problemgruppe – das geht gar nicht.  Ich hoffe aber, dass jetzt das Tal durchschritten ist.

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Es gibt ja auch Widerstand aus der Fan-Szene, etwa von den Leuten von der Initiative Ostkurve statt Ustkurve, die sich gegen die Neonazis von Unsterblich und Co engagieren.
Solche Initiativen begrüße ich sehr. Es ist natürlich klar, dass die Fankurve ein Spiegel der Gesellschaft ist. Doch wir dürfen hier nie müde werden. Wir müssen gegen die Nazis auftreten, ob am Sportplatz oder außerhalb.

Lies auf Seite 2 was Manuel Ortlechner zu Homophobie, der Fussball-WM in Katar und Fortgehen in Wien zu sagen hat.

Von Manuel Ortlechner signierter Austria Fans gegen Rechts Flyer. Foto Michael Bonvalot

Homophobie im Fußball?
Mir ist völlig egal, ob jemand schwul oder hetero ist. Leider gibt es ein großes Problem mit homophoben Gesängen. Wenn jemand mich fragen würde, ob er sich outen solle, wäre meine Antwort wohl jein. Es müsste sicher ein sehr gefestigter Charakter sein.Hier sind aber auf jeden Fall Spieler, Clubs, Fans und die Gesellschaft dringend gefragt. Da besteht noch sehr viel Aufholbedarf!
Ein Wort auch zum Frauenfußball. Fußball ist kein reiner Männersport. Beim Tennis sagt ja auch niemand, dass das ein Männersport sei. Warum sollte das im Fußball anders sein?

Aktuell läuft die WM in Brasilien, es gab im Vorfeld zahlreiche Proteste. Was denkst Du dazu?
Ich habe da absolutes Verständnis. Diese WM ist leider keine WM für alle. Vielen Menschen in Brasilien geht es richtig schlecht. Arbeiter sterben beim Stadionbau, andererseits regiert das Big Business. Auch die Preise für die Karten sind absurd hoch, dementsprechend sind in den Stadien vor allem die Mittel- und die Oberschicht.

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Ganz generell scheint mir, dass sportliche Erfolge oft politisch genützt werden. Oft schmücken sich Regierungen mit Fußball-Erfolgen und decken damit Probleme zu. Auch im legendären Córdoba war unweit des Stadions ein Internierungslager der faschistischen Junta, wo auch an diesem Tag Leute gefoltert und umgebracht wurden.
Ja, das ist problematisch. Fußball ist eine sehr populäre Sportart und somit eine riesige Bühne. Und somit wird er oft auch verwendet, um Politik zu transportieren. Und das ist dann leider eben oft negative Politik.

**Ich habe Dir ein Zitat des ehemaligen argentinischen TrainersCésar Luis Menotti mitgebracht: *„Es gibt den rechten und den linken Fußball. Der Fußball der Rechten reproduziert und untermauert die in dieser Gesellschaft gültigen Wertvorstellungen. Es ist die Art von Fußball, bei der nur der Gewinn zählt, und Gewinn heiligt alle Mittel. Gemeint sind nicht nur eine ultradefensive Taktik, Ausdruck von Raffgier und Spekulation, sondern auch die ständigen Verletzungen des Reglements und der Einsatz aller erdenklichen faulen Tricks. Der Trainer sagt dem Spieler, er solle sich nicht mit dem Präsidenten anlegen und sich nur ja jeder politischen Meinungsäußerung enthalten. Sich anpassen und funktionieren, so hat die Oberschicht auch den Fußballprofi am liebsten. Es ist ihr nur recht, dass auf diese Weise fortwährend Dummköpfe erzeugt werden, nützliche Idioten des Systems. Der Fußball der Linken hingegen ist im Sinne einer Lebensäußerung eine Sache des Talents, bei der die Intelligenz an oberster Stelle steht und der Sieg soviel taugt, wie die Mittel, mit denen man ihn erringt. Beim Fußball der Linken ist der Spieler ein denkendes Wesen, das Schönheit schafft und sich mit dem Volk solidarisiert, damit der neue Mensch in einer neuen Gesellschaftsordnung entsteht."***

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Das ist ein sehr schönes Zitat! Finde ich mich in Vielem wieder!

Wie korrupt ist eigentlich die FIFA? Die WM 2022 in der Wüstenhitze Katars scheint absurd.
Zur FIFA gibt es ja genügend Dokumentationen, da muss ich wohl nichts mehr dazu sagen. Die WM in Katar sehe ich ebenfalls sehr problematisch. Es geht ja nicht nur um die Bedingungen für die Spieler. Auch die Arbeiterrechte in Katar sind ein Wahnsinn, Arbeiter müssen etwa ihre Pässe abgeben.

Du engagierst Dich ja auch in der Fußballer-Gewerkschaft … 
Ja, ich bin einer der drei Sprecher in Österreich. Es gibt vielleicht drei Prozent der Spieler in Österreich, die wirklich ausgesorgt haben, davon wahrscheinlich 2,9 Prozent Legionäre – und die restlichen 0,1 Prozent arbeiten beim Dosenkonzern in Salzburg [Anmerkung: Red Bull Salzburg]. Im Gegensatz dazu gibt es Spieler in der obersten Spielklasse, die gerade einmal finanziell um die Runden kommen. Das geht nicht.
Es geht auch darum, Arbeitsbedingungen zu thematisieren. Und auch Fußballer sind Menschen. Wir haben gute Tage und wir haben schlechte Tage. Wir haben ein Privatleben, das auf unser Spiel abfärbt, im Guten wie im Schlechten.

Foto von Manuel Ortlechner

Und was planst du nach der Karriere?
Ich möchte zumindest noch ein bis zwei Jahre spielen. Für die Zeit danach gibt es erste Gespräche. Ich möchte auf jeden Fall im Fußball bleiben. Trainer wäre wohl nicht so meines, ich mache aber trotzdem die Lizenz. Ich sehe mich aber eher im Bereich Fußball-Management.

Du hast ja auch viele Interessen jenseits des Fußballs. Du stehst zum Beispiel sehr auf Musik und hast bereits in der Pratersauna aufgelegt. Was taugt dir so?
Das ist oft auch ein wenig abhängig von den Jahreszeiten. Meine Favourits sind sicher Electronic, Rock und Hip Hop. Im Sommer lieber elektronischer, im Winter mehr gitarrenlastig. Was die Elektronik betrifft, stehe ich zum Beispiel auf die New Tower Generation. Wenn es Richtung Rock geht, mag ich Ginga sehr gern. Beim Hip Hop halte ich es eher mit der Old School, mag auch deutschsprachige Tracks sehr. Texta aus Oberösterreich etwa oder MaDoppelT aus Wien, die sind ein Klassiker!

In welchen Lokalen in Wien bist du eigentlich unterwegs?
Gern in einer gute Bar, zum Tanzen beispielsweise ins Flex oder in die Pratersauna. Wobei es mir ja furchtbar auf den Wecker geht, dass es nicht möglich ist, schon um acht mal fein wegzugehen. Daher gehe ich auch nur wenig fort, Schlaf ist für mich sehr wichtig. Ich trinke auch nur vielleicht vier bis fünf Mal im Jahr Alkohol.

Du fotografierst sehr gern und hast auch eine eigene Website. Wie kam es dazu?
Ich mag Dinge, die schön sind. Ich liebe Mode und Architektur und von da kam ich irgendwie zur Fotografie. Ich sehe mich ein bisschen als Schöngeist. Ich brauche aber keine Luxusläden, kein Gucci oder Louis Vuitton. Was die Architektur betrifft, mag ich es gern reduziert. Nicht hypermodern, aber auch nicht überladen. Ich bin oft auf Ibiza, die Architektur, die ich dort sehe, finde ich sehr gut! Und natürlich taugt mir das Hippie-Flair der Insel!
Beim Fotografieren war es am Anfang eine kleine Kamera, dann wurden die Kameras größer, dann wieder kleiner. Das einzige, was ich mir von meiner Prämie in der Champions League gekauft habe, war eine neue Kamera. Ich fotografiere gern Schwarz-weiß. Wie gesagt, ich bin ein Fan von Reduktion.
Im Herbst wird es voraussichtlich ein bis zwei Ausstellungen geben, ich freue mich bereits! Die Kohle wird übrigens für einen guten Zweck gespendet.

Kannst du uns zum Abschluss noch etwas über dich als Person erzählen?
Ich will, dass Leute wissen, dass ich fair bin und Respekt zeige. Mir war es etwa sehr wichtig, zur Gratulation für die Spieler von Salzburg ein Spalier zu machen, als sie den Meistertitel gewonnen hatten und wir danach gegen sie spielten. Wir haben das in der Mannschaft abgestimmt, ich wäre als Kapitän zurückgetreten, wenn das nicht passiert wäre.
Ich habe sehr vielseitige Interessen. Und viele Interessen zu haben bedeutet auch, frei im Kopf zu sein. Ich will mich nicht nur auf Fußball reduzieren und mich hin und wieder auch ausklinken. Ich lese auch sehr gern und viel – aber keinen Boulevard. Ich halte da viel von Bayern-Trainer Pep Guardiola. Er ist kulturell interessiert, liest gern, bildet sich weiter.
Ich studiere auch nebenher, Wirtschaftswissenschaften auf der WU. Nur trainieren wäre mir zu wenig. Aber klar ist, dass der Focus auf dem Fußball spielen liegt. Der Trainer hätte wohl kaum Verständnis, wenn ich jetzt sage, dass ich wegen einer Prüfung nicht zum Training kommen kann. Aber zu lernen und mich weiterzubilden, das ist mir wichtig.
Außerdem denke ich, dass die Welt immer oberflächlicher wird, es gibt eine Art „Selfie-nation". Es geht nur noch darum, sich zu präsentieren. Mir ist wichtiger, dass der Mensch in den Vordergrund rückt. Das mag idealistisch sein, aber dazu stehe ich.