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Interview mit einem Vampirologen

Wir haben mit einem Vampirologen über Twilight gelästert und erfahren, dass Knoblauch der Hodensack Christi ist.

Es gibt zwei Dinge, die Rainer Maria Köppl hasst. Leute, die ihn fragen, ob er tatsächlich glaube, dass es Vampire gibt, die Nacht für Nacht auf der Suche nach
frischem Blut an Fenster klopfen. Und wenn ihn jemand als „Hobby-Vampirologen" bezeichnet. Diese Einstellung ist jetzt nicht allzu verwunderlich, wenn man Professor am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaften der Universität Wien ist. Deshalb haben wir den Experten, der sich schon sein Leben lang mit Angst, Horror und vor allem dem Vampirmythos beschäftigt, auch nicht gefragt, ob er den Pflock immer griffbereit neben dem Bett liegen hat. Stattdessen haben wir mit Köppl über „Twilight" abgelästert, den Ursprung der Vampirliteratur in Österreich ergründet und erfahren, dass Knoblauch der Hodensack Christi ist.

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VICE: Vampire sind im Moment überhaupt nicht mehr wegzudenken. Was fasziniert die Menschen eigentlich so an den Blutsaugern?
Rainer Maria Köppl: Die jungen oder die alten?

Macht das einen Unterschied?
Ja. Die Figur ist für Jugendliche immer schon interessant gewesen. Es geht um ewige Liebe und Romantik. Die Liebe ist stärker als der Tod. Der Vampirismus ist aber auch ein Produkt der Aufklärung. Vor der Aufklärung war es völlig normal, dass die Liebe zwischen zwei jungen Menschen nicht stattfinden konnte, weil es ein Hindernis gibt: falsche Religion, falsche Familie, falsche Hautfarbe. Als aufgeklärter Elternteil bin ich im Grunde gezwungen, jeden Partner meines Kindes zu akzeptieren. Der Untote, das Transzendentale ist ein letztes Tabu, mit dem ich eine Liebesgeschichte noch vernünftig erzählen kann. Denn die funktioniert ohne Widerstand nicht.

Aber auf Ficken muss der moderne Vampir verzichten, oder?
Der klassische Dracula kommt aus der Unterdrückung der Vernunft. Was die Figur so faszinierend macht: Dracula ist Trieb. Er fragt nicht und nimmt sich, was er will. Alles ist natürlich hochsexuell aufgeladen. Das Aufreißen des Körpers, Zähne als kleine Penisse, Blut, Stöhnen. Durch die sexuelle Revolution hat der Vampir als sexu-elle Befreiungsfigur ausgedient, und es verschiebt sich wie- der Richtung Romantik. "Twilight" ist das Langsame, das Diffuse, weniger der rohe Sex, der in den alten Geschichten steckt.

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Wann ging der Vampir vom Volksglauben in die Literatur über?
Ursprünglich war der Vampir nah am Zombie. Er war ein blutiges, untotes, halbverfaultes Wesen, das aus seinem Grab steigt und überhaupt nichts Attraktives hat. Der Volksglauben-Vampir ist auch keine Inkarnation des Teufels, sondern eher ein unglücklicher Sünder, beispielsweise ein Selbstmörder. Über die Literatur des 19. Jahrhunderts—Lord Byron, Sheridan Le Fanu, Bram Stoker—wird der Vampir dann nobilitiert. Er bekommt eine erotische—oft homosexuelle—und eine politische Lesart: ein Adeliger, der seine Untertanen aussaugt. Äußerlich schön, aber innerlich verrottet.

Was haben wir diesen Wiedergängern eigentlich getan, dass sie alle so böse auf die Lebenden sind?
Da gibt es eine wunderbare Theorie Sigmund Freuds. In jeder noch so liebevollen Beziehung steckt immer auch ein Quantum Abneigung. Jeder, der liebt, hasst auch unbewusst ein wenig. Wenn der Partner oder die Mutter stirbt, fühlen wir uns deshalb schuldig. Weil wir uns das nicht eingestehen wollen, projizieren wir den Hass auf den Toten. Wir haben Angst davor, dass die Toten kommen, um sich dafür zu rächen.

Das will wirklich niemand. Was können wir denn dagegen tun?
Jede Kultur entwickelt Rituale, um die Toten von dieser Welt zu entkoppeln. Alle Totenrituale haben zwei Komponenten. Sie sollen den Seelen einen Übergang ins nächste Leben ermöglichen, aber bitteschön die Körper in den Gräbern halten. Das geht zum einen freundlich: durch Schmuck, Nahrung und Obolus. Oder die brutale Variante: Leichen werden angebunden oder im Sarg festgenagelt. Es gibt Särge mit Sicheln, die sich aufrichtende Leichen köpfen. Ich habe einmal ein Grab gefunden, bei dem der Kopf zwischen die Beine gelegt war und die Gelenke mit Steinen beschwert waren.

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In der Literatur gibt es vom Knoblauch bis zum Kreuz einige Möglichkeiten, um Vampire zu erledigen.
Die sind dramaturgisch extrem wichtig. Der klassische Dracula ist ein Superheld. Aber man kann keine Heldengeschichte ohne Schwächen erzählen. Achilles hat seine Ferse, Siegfried die Stelle zwischen den Schultern, Superman Kryptonit. Die Sonne ist Draculas Kryptonit.

Und warum Knoblauch?
Die Symbolik der Vampirismus ist extrem interessant. Man muss den Knoblauch in Kombination mit seiner Farbe und dem Pflock sehen. Er ist weiß, das ist die Farbe der Unschuld und Jesu Christi. Der Knoblauch schaut aus wie ein Hodensack. Der Knoblauch ist der Hodensack Jesu Christi. Gemeinsam mit dem Pflock als erigiertem Penis vögeln wir den Vampir in sein Grab zurück und erlösen ihn dadurch.

Äh, ja.
Vergewaltigung als Erlösung, dieses Konzept steht dahinter. Der Teil hat es übrigens bisher noch in kein Interview geschafft.

Keine Angst, er bleibt drin. Wie finden Sie eigentlich die Twilight-Serie von Stephenie Meyer?
Meiner Meinung nach hat Twilight einen großen Fehler gemacht.

Welchen?
Es hat die Sonne als starkes dramaturgisches Element weggenommen. In Dracula sind alle ständig getrieben: Die Menschen müssen in Sicherheit sein, bevor die Sonne untergeht, aber für Dracula gilt umgekehrt dasselbe. In Abenteuer- und Actionfilmen werden Fristen normalerweise willkürlich gesetzt und können nachverhandelt werden. Die Dämmerung ist aber unbestechlich und kommt unausweichlich. Sie ist eine göttliche, dramaturgische Instanz, die diese Geschichte antreibt. Und gleichzeitig ein Perpetuum mobile. Am nächsten Tag ist wieder alles anders, und die Karten werden neu gemischt.

Ich würde gerne noch über die Steiermark als Vampirland sprechen.
Schöne Geschichte eigentlich. Carmilla, ein einflussreicher Roman des irischen Autors Sheridan Le Fanu über einen weiblichen Vampir, erschien 25 Jahre vor Dracula. Er spielt in der Steiermark—"a lonely and primitive place". Dadurch hat dieser Landstrich in Großbritannien ein vampirisches Image bekommen. Le Fanu holte sich Inspiration aus einem Reisebericht des Admirals Basil Halls, der ein halbes Jahr auf Schloss Hainfeld in der Nähe von Graz verbrachte.

Aber Dracula spielt in Transsilvanien.
Ursprünglich wollte Bram Stoker den Roman in Österreich spielen lassen. Ich hab das verfolgt und kann das dokumentieren. In Stokers Notizen steht: „Location: Styria. Count Wampyr." Man weiß nicht genau, warum Stoker den Ort geändert hat. Vermutlich hat ihm jemand von Vlad Tepes, dem Pfähler, erzählt.

Haben Sie den Reisebericht Halls gelesen? Er lässt ja angeblich an der Steiermark und ihren Bewohnern kein gutes Haar.
Ja, aber man muss auch bedenken, dass Hall wohl ziemlich unglücklich war. Er kam direkt aus dem mediterranen Italien nach Österreich. Für einen Mann von Welt muss die ländliche Steiermark furchtbar gewesen sein. Ein Papst soll einmal gesagt haben: „Kaum kommt man über die Alpen, gibt es nur noch Essig zu trinken." Der Reisebericht ist zwar düster, aber im Grunde nicht besonders boshaft. Sondern einfach realistisch. Man versteht aber schon, warum er als Inspirationsquelle gedient hat.

Nun muss sich Österreich mit Mozart und den Lipizzanern zufriedengeben. Dracula gehört jemand anderem.
Übrig geblieben ist in Dracula aber trotzdem etwas von Österreich. Der Roman beginnt mit dem Satz: "Habe München am Abend des 1. Mai, 8:35 Uhr verlassen und traf am nächsten Morgen in Wien ein. Wir hätten um 6:46 Uhr ankommen sollen, aber der Zug hatte eine Stunden Verspätung." Ein wunderbares Symbol: In Deutschland war für den Engländer Jonathan Harker die Welt noch in Ordnung, in Wien gerät sie bereits ins Wanken. Die Pforte zum Balkan halt.