FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

Wie Intimissimi den Feminismus um Jahrzehnte zurückwirft

„Eigentlich wollte ich Forscherin werden, doch dann bin ich durch Zufall das Gesicht von Intimissimi geworden."

Screenshot via Facebook

„Als Shlomit Malka eines Morgens aus sehr ruhigen Träumen erwachte, fand sie sich in ihrem Bett zum neuen Gesicht von Intimissimi verwandelt."

Das klingt auf den ersten Blick vielleicht weniger nach Horror als Kafkas tatsächlicher erster Satz in Die Verwandlung, wo Gregor Samsa in ein „ungeheures Ungeziefer" verwandelt wird, aber zumindest für den Feminismus ist die neue Version kein bisschen weniger gruselig. Hier könnt ihr euch das betreffende Video ansehen.

Anzeige

Das Problem daran ist gar nicht so sehr, dass ein hübscher Mensch sich bewusst und aus freien Stücken dazu entschließt, aus seiner Attraktivität eine Karriere zu machen. (Ich würde, wenn ich könnte.)

Das Problem ist, dass Shlomit Malka, wie sie erzählt, eigentlich Forscherin werden wollte und nur per Zufall zum Gesicht von Intimissimi wurde—und dass diese Gegenüberstellung von Wissenschaftlerin und Model wie ein klassischer Vorher-/Nachher-Vergleich klingt, der bei allem wahrscheinlich gut gemeinten Empowerment doch nur den Mythos vom „hässlichen Entlein" und seiner Verwandlung bedient.

Wie immer, wenn diese Verwandlungs-Geschichte erzählt wird, soll sie auch hier Mut machen—und tut ziemlich genau das Gegenteil. Wie in jeder anderen Version der Geschichte—egal, ob bei Miss Undercover, Plötzlich Prinzessin, Clueless oder MTV Makeover—liegt der grundsätzliche Denkfehler darin, dass niemals „hässliche" Menschen den Lookismus ihrer Umwelt besiegen und trotzdem erfolgreich werden.

Stattdessen handelt die Geschichte immer von denselben wunderschönen Frauen, die auch sonst alles erreichen und jeden Hollywood-Film als Eye-Candy zieren—nur, dass sie am Anfang Hochsteckfrisuren und Brillen tragen und am Ende beides ablegen, um in ihrem wahren Glanz zu erstrahlen.

Die wahre Botschaft ist hier: Du kannst nichts gegen deine Schönheit tun—du kannst dir dein Aussehen schlimmstenfalls mit schlechtem Geschmack und der falschen Einstellung versauen. Echte „American Dream"-Geschichten, wie die vom diesem Model mit Down Syndrom oder auch diesem Model mit amputiertem Bein, die zeigen, dass Beeinträchtigungen nicht unsexy machen müssen, haben da keinen Platz.

Anzeige

Das Problem ist, dass sich die Intimissimi-Kampagne von allen Geschichten, die man über Empowerment und Aufstieg und Erfolg erzählen könnte, ausgerechnet für diese entschieden hat.

Unterm Strich ist die Verwandlung vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan (oder von der angehenden Wissenschaftlerin zum Intimissimi-Model) eine reaktionäre Geschichte von weiblicher Selbstüberwindung und Unterwürfigkeit.

Du musst dich zusammenreißen, du musst hart arbeiten, du musst es wollen—aber gleichzeitig musst du musst dich dem Schicksal fügen und darauf hoffen, dass du „durch Zufall" zum Erfolg kommst. Das heißt auch: Sei gut, aber sei nicht fordernd. Sei eine Erfolgsgeschichte (und zwar, wie Shlomit sagt, in der Form eines 15-Sekunden-Videos), aber sei brav.

Das Problem ist, dass Geschichten wie die von Shlomit vor diesem Hintergrund wie eine Karikatur ihrer selbst klingen. Hauptsache, man hat „irgendwas mit Wissenschaft und Laborkittel", das man dem Modeln für Intimissimi gegenüberstellen kann.

MUNCHIES: Gender Food ist das vielleicht letzte Tabu

Das Problem ist, dass hier (wieder einmal) Schönheit den Vorzug gegenüber Intelligenz bekommt—und beides anscheinend nicht nebeneinander existieren kann.

Das Problem ist, dass sich die Intimissimi-Kampagne von allen Geschichten, die man über Empowerment und Aufstieg und Erfolg und Überwindung erzählen könnte, ausgerechnet für diese entschieden hat.

Und das Problem ist vor allem, dass sich eine Agentur, die für eine globale Marke wie Intimissimi arbeitet, beim Konzeptionieren einer solchen Social Media-Kampagne genau darüber bewusst sein muss. Die Aussage: „I wanted to be a researcher. Then by chance, I became the face of Intimissimi." klingt eben wie: „Ich hatte mich schon mit Schlieren abgefunden, aber dann habe ich das neue [Putzmittel einfügen] entdeckt."

Und das wiederum ist kein Sexismus „by chance", sondern „by design".

Markus auf Twitter: @wurstzombie