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Musik

Lesbisch, türkisch—und das ist auch gut so!

Als lesbische, türkischstämmige DJ prägt Ipek İpekçioğlu mit ihrer Musik nicht nur die homosexuelle Szene Berlins, sondern will damit auch unsere Gesellschaft von Homophobie, Sexismus, Heterosexismus und Rassismus befreien.

Ipek İpekçioğlu prägt als lesbische, türkischstämmige DJ mit ihrer Musik nicht nur die homosexuelle Szene Berlins, sie ist auch eine Frau, die weiß, wie man sich in einer Männerdomäne durchsetzt. Seit sie Anfang der 90er zufällig im Berliner Club SO36 angesprochen wird, ob sie denn nicht mal Lust hätte aufzulegen, reist sie als DJ durch die Welt. Heute legt sie unter anderem in Peking, Amsterdam, São Paulo oder Istanbul auf.

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VICE: Seit einigen Jahren gibt es in Deutschland das ausgelutschte Thema der Integration von vor allem türkischstämmigen Bürgern. Was denkst du, wo die Probleme liegen?
Ipek İpekçioğlu: Es muss viel mehr Vermischung stattfinden. Das wäre ein Vorschlag. Man muss Vorbilder schaffen, aber das passiert auch teilweise. Solche Bücher, wie es der Herr Sarrazin geschrieben hat, haben uns, finde ich, in der ganzen Thematik fast um 15 Jahre zurückgeworfen. Aber nein, ich lass mir mein Deutschland nicht von ihnen nehmen. Ich bin eine Deutschländerin, ich bin eine Berlinerin, ich liebe Berlin, und was auch immer das Deutsche ist, mag ich, und was auch immer das Türkische ist, mag ich auch sehr.

Bezogen auf deine Arbeit bist du in der krassen Minderheit. Deine Branche wird von Männern dominiert. Dann hast du zusätzlich türkische Eltern und liebst Frauen. Wie ist das für dich, gibt es Barrieren?
Also, erstmal bin ich total dankbar, dass ich lesbisch bin, weil sich dadurch mein Lebensweg anders ausgezeichnet hat. Ich weiß nicht, vielleicht ist es ein Vorurteil, wenn man sagen würde: Die gängige Heterofrau denkt an Familie und Kindermachen. Das wäre ein zu starkes Vorurteil, denn das hat sich ja auch verändert, aber für mich stand es erstmal gar nicht zur Debatte. Für mich war es: Das vergisst du schon mal. Und dadurch, dass ich eine türkischstämmige Lesbe bin, bin ich erst zum Auflegen gekommen. Das hat sich gegenseitig bedingt. Es war Zufall, das ich mit dem Auflegen angefangen habe. Ich wurde im Club angesprochen und legte plötzlich auf und ich blieb dabei. Ja, es ist eine Tatsache, dass der DJ-Zweig wirklich von Männern besetzt ist. Wenn du dir die ganzen Auflistungen der großen Festivals anschaust, besonders im elektronischem Bereich, siehst du fast ausschließlich 100% männliche Lineups. Auch wenn es bekannte Frauen gibt, werden sie nicht gebucht. Es gibt z.B. ein Frauenkollektiv, also ein Musikerinnen-Kollektiv, das nennt sich Female Pressure und das besteht unter anderem aus Musik-Producerinnen von elektronischer Musik und DJanes. Ich bin auch Mitglied.

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Mit wem kannst du besser umgehen, mit den „türkischen Türken“ in Istanbul oder mit denen in Deutschland?
Ich sage immer „Türkei-Türken“ und „Deutsch-Türken“. Das ist einfacher, weil die Türkei-Türken auch eine ganz andere Identität haben als die Deutsch-Türken, wobei viele Türkei-Türken ja mittlerweile auch gerne nach Berlin kommen, weil es wesentlich relaxter ist, hier zu leben. Extremer seitdem die politischen Unruhen in der Türkei vermehrt sind. Ich kann mit beiden sehr gut, weil meine Aussprache meistens so gut ist, dass die Menschen nicht auf die Idee kommen, dass ich aus Deutschland komme. Andererseits sehe ich schon ein bisschen anders aus.

Denkst du, dass du für viele, die nicht so frei leben können wie du, ein Vorbild bist? Ich meine, du bist Lesbe, DJ und türkeistämmig …
Ja, in unterschiedlichen Richtungen vielleicht schon. Ich bin einmal diese Pionierin, was diese ganze Oriental-, Balkan-, indische und Class-Rock-Musik angeht—in deutschen Clubs jedenfalls. In deutschen Clubs wurde diese Musik noch nie gespielt, bis im SO36 regelmäßig Partys stattfanden. Ich kriege ja auch so Schriften über Facebook und Mails, es ist ja ganz leicht, an mich ranzukommen. Die schreiben mir dann, in welcher Situation sie stecken und fragen nach Rat. Dann verweise ich sie oft zum GLADT [unabhängige Selbst-Organisation von türkeistämmigen Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen und Transgendern], die ich auch mitbegründet habe und die auch Beratungsarbeit leistet. Vorbildfunktion vielleicht ja, weil ich sehr offen bin und sehr offen damit umgehe, sehr selbstverständlich damit umgehe.

Wie hat deine Familie reagiert, als sie gehört hat, dass du lesbisch bist?
Ich hatte sehr viel Glück, würde ich sagen. Meine Mutter war es, die mich darauf angesprochen hat. Ich hatte einen Liebesbrief an ein Mädchen geschrieben, den ich aber nie abgeschickt habe. Und meine Mutter ist in mein Zimmer gegangen und hat den gelesen. Wir haben dann geredet, ich war damals 18. Sie sagte zu mir: „Ich werde dich weder unterstützen, noch unterdrücken. Ich werde nicht so tun, als ob du etwas Besonderes bist, aber ich stehe zu dir.“ Und das war mein Freiticket. Ich hatte wirklich sehr, sehr viel Glück. Mein kleiner Bruder fand es sehr exotisch und dachte sich: „Wow, jetzt komme ich bei den Frauen besser an.“ Alle respektieren mich voll und ganz.

Nicht jeder hat dieses Glück …
Es ist ja nicht nur etwas Türkisches oder Islamisches, dass Menschen damit nicht umgehen können. Homophobie gibt es natürlich überall. Der Unterschied ist, dass in unserer deutschen Gesellschaft natürlich mehr darüber geredet wird und Vorbilder dadurch geschaffen werden, dass es z.B. ganz offen lebende schwule Politiker gibt. Das haben wir in der Türkei nicht. Da gibt es keine schwulen oder lesbischen Politiker, die sagen: „Ich bin homosexuell und das ist auch gut so!“ Dadurch wird den Menschen die öffentliche Auseinandersetzung auch nicht gegeben, weil du ja gar nicht darüber nachdenkst. Je mehr ich etwas sehe, umso üblicher wird es dadurch und kommt aus dieser Amoralität heraus und wird zur Normalität.

Ist es eins deiner Ziele, die Gesellschaft zu verändern?
Ich möchte mein Umfeld homophobiefrei, sexismusfrei, heterosexismusfrei, das bedeutet natürlich nicht, dass es keine Heterosexuellen geben soll, aber der Gedanke, dass Mann und Frau nur für sich geschaffen sind—ganz profan ausgedrückt. Ich möchte meine Gesellschaft rassistenfrei, transphobiefrei und klassenfrei. Ich bin ein Teil dieser Gesellschaft, dieser Welt und wenn ich die Möglichkeit habe, das alles mitzugestalten—und diese habe ich nun durch meine Musik—, dann nutze ich sie auch. Ja klar, ich wäre doof, wenn ich kein Gebrauch davon machen würde.