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Irren kann auch unmenschlich sein

Der deutsche Antifaschist Josef S. sitzt jetzt seit fünf Monaten in Wien in U-Haft. Als sich beim Prozess ein Hauptbeweis in Luft auflöst, erklärt der Zivilfahnder einfach: „Irren ist menschlich“. Es wird vertagt, Josef S. muss weiter sitzen.

Wiener Innenstadt während der Proteste gegen den Akademikerball. Fotos von VICE Media.

Dieser Artikel ist Teil unserer Berichterstattung zum Akademikerball.

Seit den Demonstrationen gegen den Wiener Akademikerball im Januar beschäftigen wir uns mit den Folgen dieses Abends. Vor zwei Wochen haben wir Josef in U-Haft besucht und mit ihm über den Prozess und sein Leben seit Januar gesprochen.

Seit den Protesten gegen den Wiener Akademikerball sitzt Josef S. nun in Wien in U-Haft. Vorgeworfen wird dem jungen Antifaschisten so ziemlich alles, was die Polizei an diesem Abend an Straftaten vermerkte. Josef soll Polizisten attackiert haben, Fensterscheiben eingeworfen, Rauchbomben gezündet und insgesamt laut Staatsanwalt dazu beigetragen haben, Wien in ein Kriegsgebiet zu verwandeln.

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Vor dem Landesgericht haben sich rund 100 UnterstützerInnen eingefunden, es gibt Musik, eine Trommelgruppe, Solidaritäts-Buttons und in der Mittagspause auch was Leckeres zu essen. Der Saal selbst ist dann ebenfalls bis zum letzten Platz voll, rund 70 Personen hören bei der Verhandlung zu, darunter auch die Eltern von Josef S. und seine Schwester Irma. Irma ist sehr aktiv in der Solidaritätsarbeit mit ihrem Bruder, sie erzählt mir, dass die ganze Situation für die ganze Familie extrem belastend ist.

Schließlich betritt Josef S. selbst den Saal, begleitet von einigen Justizwachebeamten. Ich sehe einen jungen Mann mit lockigen Haaren und Hornbrille. Gelbes Hemd und gelb-schwarze Krawatte, groß gewachsen, ein freundliches und offenes Lächeln. Es tut ihm offenbar sehr gut, dass so viele Menschen sich für seinen Prozess interessieren. Seine Schwester bestätigt mir diesen Eindruck.

Dann legt der Staatsanwalt los. Er erklärt, dass die Anklage nochmals verschärft wird, der Vorwurf lautet nun auf absichtliche schwere Körperverletzung, Strafrahmen bis zu fünf Jahre Haft. Es ist offensichtlich, dass beim Plädoyer des Staatsanwalts nicht Josef S. im Mittelpunkt steht, sondern die Proteste gegen den Akademikerball insgesamt angeklagt sind. „Wir werden Bilder sehen, da glaubt man nicht, dass wir uns in Wien befinden. So etwas kennen wir sonst nur aus Kriegsgebieten." Ob dem Staatsanwalt klar ist, wie sehr er die Leiden und Zerstörungen von Kriegen verharmlost, wenn er einige kaputte Fensterscheiben als Krieg bezeichnet?

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Die Belastungszeugen sind ziemlich unergiebig. Die erste Zeugin, eine Polizistin kann sich an wenig erinnern und nichts Konkretes aussagen. Interessanter ist da schon der Hauptbelastungszeuge, ein Zivilfahnder. Er erzählt, dass Josef ihm aufgrund des fetten „Boykott"-Schriftzugs auf seiner Jacke aufgefallen wäre. Er sei ihm dann die ganze Zeit gefolgt und hätte permanent seinen Standort durchgegeben, aufgrund der zurückgelegten Distanzen muss es um gut eine Stunde gegangen sein. Schließlich hätten Beamte der Sonderheit WEGA für die Verhaftung gesorgt.

Der Zivilfahnder, der oft überfordert wirkt, wird mit mehreren Videoaufnahmen konfrontiert. Zu Beginn einer Videovorführung von Auseinandersetzungen mit der Polizei am zentralen Stephansplatz erklärt er, links von der Kamera gestanden zu sein, am Eingang zur Kärntner Straße, der mondänen Einkaufsstraße der Stadt. Als er während des Abspielens nochmals gefragt wird, wo er denn nun stand, zeigt er auf einen Platz rechts der Kameraeinstellung, direkt vor dem „Haas-Haus", das zentral am Stephansplatz liegt. Zwischen diesen beiden Orten fanden allerdings die Auseinandersetzungen statt. Der Widerspruch wird leider nicht aufgelöst.

Der Zivilfahnder erklärt, von seinem Standort „freie Sicht" auf den Angeklagten gehabt zu haben. Auf den Vorhalt der Verteidigung, dass auf dem Video zu sehen ist, dass zwischen der Position, die er nun angibt und dem Angeklagten andere Menschen stehen, meint er: „durch Personen kann man hindurchsehen". Der Zivilfahnder ist sich auch sicher, dass Josef S. vermummt war. Es gibt tatsächlich ein Foto, das eindeutig Josef S. zeigt. Auf diesem Foto ist er allerdings nicht vermummt, sondern klar erkennbar.

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Schließlich kommt das Video zur Sprache, das lange als schärfstes Indiz gegen Josef S. galt. Auf diesem Video sind einige Menschen zu sehen, die gerade den Graben entlang laufen. Eine Person ruft „Weiter, weiter, Tempo", der Sprecher ist hörbar eher in Norddeutschland als in Niederösterreich zur Welt gekommen. Der Zivilpolizist behauptete ursprünglich, dass diese Stimme Josef gehören würde, der sich so als „Rädelsführer" zu erkennen gab.

Der Schönheitsfehler: ein Stimmgutachten schließt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus, dass es sich beim Sprecher um Josef S. handelt. Nun ist sich der Polizist nicht mehr so sicher. Die Verteidigung ist sehr ungehalten: „Warum braucht es erst ein Gutachten einer Sachverständigen, bis Sie sagen, dass Sie nicht sicher sind, von wem die Worte kommen?" Der lapidare Kommentar des Zivilpolizisten zu einem Hauptindiz für fünf Monate U-Haft: „Irren ist menschlich. Jeder kann Fehler machen."

FS Misik 341: Der Fall Josef S. - der nächste Justizskandal nach dem Tierschützerprozess?… http://t.co/SA6caNlqms
— Robert Misik (@misik) 10. Juni 2014

Zu sehen ist Josef S. auf dem Video übrigens nicht. Die Frage, warum er Josef S. denn nicht gefilmt habe, erklärt der Zivilfahnder mit Bedenken für seine Sicherheit. Warum er diese Bedenken nicht auch bei den dutzenden anderen Menschen hatte, die er auf diesem Video aufgenommen hat, bleibt ungeklärt. In seiner ersten Aussage hatte der Polizist auch angegeben, dass Josef S. direkt vor ihm gestanden wäre, damit müsste er auf dem Video sein. Nun korrigiert der Polizist seine Aussage dahingehend, dass Josef S. links von ihm gewesen wäre.

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Der Zivilpolizist erzählt schließlich, dass er das Video mit seiner Handykamera aufgenommen habe, zuerst in Gesichtshöhe, dann Cowboy-like aus der Hüfte heraus, damit er nicht als Polizist erkannt würde. Die Verteidigung ersucht, das Video nochmals abzuspielen. Auf dem Video ist keinerlei Veränderung der Perspektive erkennbar, Gelächter im Saal. Der Mann muss offenbar während der Aufnahme kurzfristig um rund einen Meter gewachsen sein und danach wieder auf Normalmaß geschrumpft.

Es treten auch die beiden WEGA-Beamten auf, die die Verhaftung durchgeführt haben. Die Überraschung: einer der beiden ist Oberst Ernst Albrecht, Kommandant der als ein wenig schießwütigen verrufenen Sondereinheit WEGA. Albrecht gilt als jemand, der gern ein wenig Action hat und sein Gesicht auch gern in den Medien sieht (etwa in einer Serie des Privatsenders ATV). Offenbar hat er es sich nicht nehmen lassen, die Verhaftung persönlich vorzunehmen. Sein Kollege ist auf Anonymität bedacht, Albrecht erwähnt aber mehrmals den Kollegen Z. (er spricht den Nachnamen wiederholt aus). Der Richter seufzt, dass damit die Anonymität wohl dahin sei.

Z. wird auch befragt, wie denn die Schutzkleidung wirken würde. Er erzählt, dass ein anderer Polizist trotz Helm durch eine Tabascoflasche schwer verletzt wurde. Als die Verteidigung eher ungläubig nachfragt (es ist ja durchaus bekannt, wie groß Tabascoflaschen sind) und wissen will, wie groß denn die Flasche war, zeigt sich, dass es Tabasco offenbar auch als Doppelliter-Flaschen gibt. Danach klagt Z., dass trotz Schutzkleidung viele Bereiche des Polizeikörpers schlecht geschützt wären, etwa Oberschenkel, Hals oder Seiten. Ansonsten hat er aber wenig Erhellendes beizutragen.

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Die Verteidigung stellt abschließend eine Vielzahl von Beweisanträgen. Unter anderem soll die Müllabfuhr befragt werden, ob im Zuge der Aufräumarbeiten Pflastersteine gefunden wurden. Es sollen zusätzliche Polizisten befragt werden. Die Handschuhe von Josef sollen auf Schmauchspuren untersucht werden, um zu überprüfen, ob Josef mit diesen Handschuhen pyrotechnische Gegenstände gezündet hätte. Die Art der Beweisanträge ist ein recht sicheres Zeichen, dass die Verteidigung von der Unschuld von Josef S. tatsächlich überzeugt ist. Schließlich stellt die Verteidigung auch den Antrag auf Enthaftung. Josef S. ist unbescholten, es gibt außer der Aussage eines Zivilfahnders, der sich in Widersprüche verwickelt, keine Beweise.

Der Staatanwalt spricht sich gegen die Enthaftung aus. Er betont vor allem den „generalpräventiven" Charakter der U-Haft. Im Klartext: auch allen anderen Antifachisten soll klar gemacht werden, dass mit der Staatsanwaltschaft Wien nicht gut Kirschen essen ist.

Der Richter schließt sich der Staatsanwaltschaft an. Er meint, dass die Zeugenaussagen den Verdacht gegen Josef S. erhärtet hätte—eine Aussage, die im Saal für große Verwunderung sorgt. Er erklärt, dass die Verhältnismäßigkeit der U-Haft gewährt wäre, schließlich hätte die Staatsanwaltschaft nun die Anklage auf absichtliche schwere Körperverletzung erhöht. Der Prozess wird nun am 21. Juli fortgesetzt, zumindest bis dahin wird Josef S. weiter im Gefängnis bleiben müssen.

Die Mutter von Josef S. ist sichtlich verzweifelt: „Josef soll als Mensch gebrochen werden." Seine Schwester, Irma S., meint, dass dieser Prozess ein Schlag ins Gesicht sei. „Es gibt keinerlei Sachbeweise, der Zeuge verwickelt sich in Widersprüche." Sie drückt das aus, was mir auch viele andere Beobachter des Prozesses sagen: „Man hat einen Schuldigen gesucht. Hier soll ein Exempel statuiert werden."

Und Josef ist derzeit nicht der einzige, der in Haft sitzt. Zeitgleich mit der Verhandlung gegen Josef S. fand die U-Haft-Verhandlung gegen Hüseyin C. statt. Nach den Protesten gegen den Burschenschafter-Aufmarsch am 4. Juni wurde Hüseyin C. auf extrem brutale Weise festgenommen, Bilder zeigen ihn mit einer stark blutenden Platzwunde. Hüseyin C. soll nun ebenfalls wegen der Proteste gegen den Akademikerball im Jänner angeklagt werden. U-Haft wurde verhängt—und es drängt sich immer mehr der Verdacht auf, dass die Polizei gerade versucht, auf breiter Front antifachistischen Protest zu kriminalisieren.