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Sex

Ist es möglich, sich den Penis kaputt zu masturbieren?

Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass man(n) bei verzögerten Samenergüssen am sogenannten „Death Grip"-Syndrom leidet, dem Gefühlsverlust an der Eichel.
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Foto: David Shankbone | Wikimedia Commons | CC BY-SA 3.0

Im Internet stößt man immer wieder auf die Vorstellung, dass männliche Orgasmusprobleme beim Sex auf das sogenannte „Death Grip"-Syndrom zurückzuführen sind. Dieses Phänomen hat sogar schon seine eigene Urban-Dictionary-Seite, die von einem User namens Jizz Wiz geschrieben wurde, und besagt im Grunde, dass der Penis des Mannes durch zu häufige oder zu intensive Masturbation beim richtigen Geschlechtsverkehr weniger gefühlsempfindlich wird.

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Es gibt aber auch eine richtige Website, die sich einzig und allein dem Thema des zu festen Zupackens widmet: Auf curedeathgrip.com findet man hilfreiche Tipps wie zum Beispiel den „Anti-Death Grip Plan" oder dessen etwas markenfreundlicheren Cousin „Fleshlight Plan". Das Ziel dieser beiden Therapien ist es, dem Penis die grobe Behandlung zu ersparen, an die er bereits gewöhnt ist. Eine sanftere und gemäßigtere Herangehensweise an die Selbstbefriedigung soll das taube und ramponierte Geschlechtsteil der Männer nach einer gewissen Zeit wieder richtig gefühlsempfindlich machen. Die Internet-Hilfe ist jedoch auch mit Vorsicht zu genießen, denn nichts davon ist wissenschaftlich belegt. „‚Death Grip'-Syndrom ist keine anerkannte Erkrankung und die vorgeschlagenen Behandlungsmethoden sind weder als medizinische Ratschläge gedacht, noch sollen sie diese ersetzen", heißt es im Disclaimer von curedeathgrip.com. „Alles basiert nur auf persönlichen Erfahrungen. Die Resultate können unterschiedlich ausfallen. Probleme mit dem sexuellen Vergnügen können viele Ursachen haben."

Es ist wahr: Der Ausdruck „Death Grip Syndrome" stammt nicht aus der medizinischen Fachliteratur. Wie fast jedes englische Sex-Wort des 21. Jahrhunderts stammt auch dieses hier von Dan Savage, einem bekannten Sex-Kolumnisten, -Podcaster, -Journalisten und -Aktivisten. 2003 war der Begriff „Death Grip" wohl zum ersten Mal im Zusammenhang mit schlechten Masturbationspraktiken zu lesen (und zwar in einer von Savages Liebeskolumnen). Seitdem taucht das heikle Thema immer und immer wieder auf. „Pro Woche stellt mir mindestens ein Mann—und manchmal auch die panische Freundin dazu—eine Frage zu diesem Problem", meinte Savage gegenüber VICE.

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2003 war jedoch bei Weitem nicht das erste Mal, dass Savage selbst den Begriff in den Mund genommen hat. Das ist laut seiner eigenen Aussage jetzt schon ungefähr 35 Jahre her. „Einer meiner ersten Partner ist nicht zum Orgasmus gekommen, wenn er seinen Penis nicht rausgezogen und dann total gewaltsam masturbiert hat—so gewaltsam, dass er manchmal sogar blutete", erzählte er.

Also hat Savage schon lange vor seinen Kolumnen den ersten Sex-Ratschlag verteilt: Er wies seinen damaligen Freund an, in Zukunft nicht mehr so hart zu masturbieren, weil es sonst sein könnte, dass er beim normalen Sex nie wieder kommt. Nach mehreren Monaten ist Savages Partner schließlich auf eine andere Art und Weise gekommen—gleiche Intensität, gleiches Vergnügen, ungleicher Style.

Geht Savage selbst davon aus, dass er wissenschaftlich akkurate Informationen verbreitet? Nicht wirklich. „Das sind vor allem Anekdoten, persönliche Erfahrungen und Volksweisheiten. Aber genau das scheint bei vielen Leute zu funktionieren", sagte er.

Dr. Richard Santucci, der Chefurologe am Detroit Receiving's Center for Urologic Reconstruction, meinte gegenüber VICE, dass die „Death Grip"-Diagnose zu viele andere potenzielle Ursachen ignoriert. „Die Vorstellung davon, dass zu harte Selbstbefriedigung das Gehirn dann auch beim Sex extrem intensive Gefühle und Empfindungen erwarten lässt? Meiner Meinung nach ist das nicht wirklich geläufig."

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Santucci betonte, dass er zwar auch schon viele Patienten mit Ejakulationsproblemen behandelt und der Death Grip bei einzelnen Personen vielleicht schon eine Rolle gespielt hätte, er das Ganze aber trotzdem nicht zu den ersten zehn Ursachen zählen würde, bei denen er sich Sorgen macht. Stattdessen sollte sich ein Patient auch über Themen wie Diabetes, Medikamente, niedrige Testosteronwerte, Angstzustände und so weiter informieren.

Die Mayo Clinic stellt eine Liste mit möglichen Ursachen bereit, die für den sogenannten verzögerten Samenerguss verantwortlich sein können. Natürlich finden sich darauf die offensichtlichen Ursachen wieder, die auch schon Santucci genannt hat, aber dann kommen noch Dinge wie Alkohol- oder Drogenmissbrauch, Geburtsfehler, Beckenverletzungen und durch Diabetes verursachte Nervenstörungen dazu.

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Während die möglichen Ursachen vielfältig sind, herrscht auch bei den Symptomen des „Death Grip"-Syndroms keine Konsistenz. Viele Männer brauchen im Bett extrem lange, um zum weit in der Ferne liegenden Samenerguss zu kommen, andere behaupten wiederum, dass das Syndrom für deren Unfähigkeit, eine Erektion zu halten bzw. überhaupt erst zu bekommen, verantwortlich ist. Laut Santucci lässt sich der zweite Fall mit der Hilfe von Arzneimitteln leicht behandeln.

„Irgendwann erreicht man einen Punkt, an dem es ziemlich egal ist, warum genau man jetzt eine Erektionsstörung hat, denn dann sieht die Behandlung sowieso immer gleich aus", meinte der Arzt und bezog sich dabei auf Viagra und Cialis. Regelmäßige Dosen Cialis (das im Gegensatz zu Viagra nicht für einzelne Ständer eingenommen wird) sind in solchen Fällen besonders hilfreich: „Die Dosis liegt so bei fünf Milligramm, aber wenn das Problem nicht so gravierend ist, wird die Menge vielleicht auf 2,5 Milligramm pro Tag reduziert. Das erfüllt dann auch seinen Zweck. Wenn man so gute Erektionen erreicht, sind auch noch bessere—oder genauer gesagt normalere—Erektionen möglich."

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„Schließlich müssen sie jedoch feststellen, dass sich das Innere eines Pos oder einer Vagina nicht wie ein vier Jahre lang vollgewichstes Kissen anfühlt." – Dan Savage

Es gibt allerdings auch die Männer, die mit verzögerten Samenergüssen zu kämpfen haben, ohne die Erektion zu verlieren—und das ist auch Teil des Problems. „Sie haben Schmerzen und werden müde. Sie wissen, dass sie auf diese Art und Weise nicht kommen werden", meinte Michael A. Perelman, ein Sex-Therapeut aus New York, gegenüber VICE. Perelman ist dazu noch ein klinischer Professor der Psychologie an der Cornell Universität sowie der Co-Direktor des Human Sexuality Programs am New York Presbyterian Hospital. Perelman hat selbst schon mit vielen Fällen des verzögerten Samenergusses zu tun gehabt—inklusive dem endlosen Stoßen, das dann mit dem Death Grip in Verbindung gebracht wird.

Aber auch Santucci musste sich schon mit einem gewissen Problem auseinandersetzen. „Ungefähr 80 Prozent der Leute, mit denen man sich diesbezüglich unterhält, sind auf SSRIs", erzählte er und meinte damit die Gruppe der Antidepressiva, die man auch selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer nennt—also normale Medikamente wie Prozac.

Dieser Umstand überraschte Dan Savage dann doch. „Es ist mir nie in den Sinn gekommen, die Leute zu fragen, ob sie solche Medikamente nehmen", sagte er. Die bekanntere Nebenwirkung solcher Arzneimittel war ihm hingegen schon bekannt: „Sie lassen deine Libido in den Keller gehen." Die Annahme, dass ein Medikamentenwechsel bei der Situation helfen könnte, wird für die Leute, die Savage deswegen anschreiben, laut dessen Aussage eine tolle Nachricht sein.

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Wenn die Ursache des Problems jedoch nicht „organisch" (Santuccis Worte) ist, dann hat das Ganze oft psychologische Wurzeln. Und das sind dann die Fälle, in denen selbst Profis wie Santucci oder Perelman ab und an mit dem Death Grip zu tun haben (Nur zur Info: Perelman hält diesen Ausdruck für unangemessen und lächerlich provokativ).

In einem Fünfjahresrückblick (also zusammengesammelte Daten aus den Unterlagen seiner Patienten) hat Perelman 80 Männer untersucht, die an verzögerten Samenergüssen leiden. Von diesen Männern hatten sich 37 Prozent eine eigene Art der Masturbation angeeignet, die vor allem einen bestimmten Punkt stimuliert oder „eigentümlich" abläuft. Er schätzt, dass sich insgesamt 40 Prozent der Männer, die ihn aufgrund von Orgasmusproblemen aufsuchen, eigentümlich selbst befriedigen. Aber ein zu festes Umklammern des Penis ist in der Welt der spezifischen Masturbation trotzdem nur eine der vielen Varianten.

„Hier gibt es viele Möglichkeiten", erklärte er. „Neben einem festen Griff gibt es auch noch die Geschwindigkeit, also extrem schnelle Stimulation. Manche Männer haben auch eine ganz bestimmte Stelle, die sie berühren müssen, weil das Ganze sonst nicht funktioniert." Und dann haben wir da natürlich auch noch die wirklich eigentümlichen Masturbierer. „Manche Männer benutzen immer wieder die gleiche Socke", meinte Perelman.

„Es geht darum, auf mehrere Arten der Stimulation anzuspringen, damit man eine ganze Reihe an Reaktionen genießen kann", – Michael A. Perelman

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Savage hört auch ständig von den gleichen Problemen. „Ich habe über die Jahre schon mit so vielen Männern zu tun gehabt, die in ihrer Jugend immer wieder das gleiche verkrustete und dreckige Kissen gebumst haben. Schließlich müssen sie jedoch feststellen, dass sich das Innere eines Pos oder einer Vagina nicht wie ein vier Jahre lang vollgewichstes Kissen anfühlt."

Sowohl bei der Kissenvariante als auch bei all den anderen komischen Masturbationstechniken, die Perelman als problematisch bezeichnet, liegt das Problem jedoch weder am Griff, an bestimmten Punkten, an der Geschwindigkeit oder an der Beschaffenheit der verkrusteten Socken, sondern an den genau festgelegten äußeren Umständen. „Es geht darum, auf mehrere Arten der Stimulation anzuspringen, damit man eine ganze Reihe an Reaktionen genießen kann", erklärte Perelman.

Im Bezug auf die Anzahl der Männer, deren eigenwillige Masturbationsweisen auf der Intensität des Zupackens basieren, sprach Perelman von unter 50 Prozent. Anders gesagt: Das Phänomen existiert zwar tatsächlich, aber der Ausdruck „Death Grip" scheint dabei in die die Irre zu führen. Das Ganze sollte eigentlich eher „Syndrom der monotonen Masturbation" heißen.

Redditors haben ihre ganz eigenen Theorien, wenn es darum geht, was der Death Grip mit ihrem Körper anstellt. Oftmals stimmt das Ganze zwar auch mit den Erkenntnissen von Perelman überein, aber dann gibt es jedoch auch andere User, die davon ausgehen, dass sich auf dem Penis eines Manns mit festem Griff Hornhaut bildet, die die Eichel taub werden lässt und das Geschlechtsteil für die Berührungen mit weiblichen Genitalien, Mündern oder Händen weniger empfindlich macht. Das wäre natürlich schon problematisch, aber wenn sich auf deinem Penis wirklich Hornhaut bilden würde, dann würdest du das mit Sicherheit merken.

Wenn es um Behandlungsmöglichkeiten geht, dann lag Savage schon damals goldrichtig, als er die Routine seines Partners änderte. Perelman geht ähnlich vor: „Ich weise meine Patienten an, sich vorübergehend nicht mehr selbst zu befriedigen, bis es ihnen wieder möglich ist, bei der bevorzugten sexuellen Aktivität mit dem Partner oder Partnerin zu ejakulieren."

Aber was, wenn man kein Diabetes und keine Geburtsfehler hat, keine Antidepressiva nimmt, nicht trinkt und dazu noch aufhört zu masturbieren? In diesem Fall kann einem in der medizinischen Welt nicht mehr wirklich weitergeholfen werden. Ein Sex-Kolumnist weiß jedoch Rat. Savage erzählte uns, was er immer zu seinen Anrufern und Lesern sagt: „Wenn sich dein Schwanz auch nach mehrmonatigen, ernst gemeinten Anstrengungen nicht besser verhält, dann kann er vielleicht nicht anders."

Als Mann muss man dann einfach das tun, was auch Frauen machen, wenn sie beim Sex nicht zum Höhepunkt kommen: Masturbation ganz unverfroren mit dem Geschlechtsverkehr verbinden. Oder wie es Savage (ebenfalls ganz unverfroren) ausdrückt: „Ficken, ficken, ficken, dann wichsen, bis es kein Zurück mehr gibt, und anschließend wieder reinstecken."