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Istanbuler Schnitzelbank an der Art Basel

Die gewaltsame Räumung der Favela auf dem Messeplatz vor der Art Basel ist so radikal durchgeführt und gleichzeitig so gut dokumentiert worden, dass wir sie instinktiv für eine Inszenierung hielten. Heute wissen wir: Die Räumung ist echt und Polizisten...

Ich war lange nicht vollständig überzeugt, dass es sich bei der Messeplatzräumung um ein reales Geschehnis und nicht um eine Inszenierung handelt. Was mich schlussendlich ins Land der Gläubigen deportierte, war die Versicherung durch zwei Redakteure der Tageswoche, die das Video ursprünglich in Umlauf brachten, dass es wirklich echt sei. Gut, gehen wir mal davon aus.

Die Vorgeschichte ist komplex genug. Ein japanischer Künstler namens Tadashi Kawamata hat innerhalb von drei Wochen eine Favela-Installation namens „Favela Café" für die Art Basel gezimmert. Das ist ebenfalls dokumentiert und vollkommen legal, da der Künstler ja genau dafür von der Art eingeflogen wurde. Das Ding verfehlte seine Wirkung nicht: Man sieht schon im Trailer, wie entzückt die potenziellen Kunden der Art ihren „Nuttendiesel" im Drittweltambiente schlürfen. Begeisterte, mit teuren Sachen behangene alte Menschen, durchzogen von ein paar jüngeren Kunstinteressierten aus Langeweile, die sich mit ihrem Hugo an die Sonne setzen und wohl in Erinnerungen an die Rucksackferien in Südamerika schwelgten, bildeten das Publikum.

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Des einen existenzielle Tragödie ist des nächsten Wohlfühl-Café. Da kann einem schon ein bisschen Kotze in die Mundhöhle krabbeln. Der Künstler selber wird sich ins Fäustchen gelacht haben. Während sich die Kunden der Art noch fragten wo genau sie sich das Favela in den Garten stellen lassen wollen, begann eine kleine Basler Aktivistentruppe ihre eigenen Wellblechhütten gleich nebenan zu basteln.

Freie Aktivisten haben aus Eigeninitiative also dasselbe gemacht,für was die Art Basel extra jemanden eingeflogen hatte. Man hätte sich jetzt denken können, dass die Art Basel das vollkommen in Ordnung findet. Die haben ja Ahnung von Kunst, die müssten ja fast jubilieren wenn ihr aufgetakeltes Selbstbeweihräuchere zur Abwechslung eine Regung bei der Normalsterblichen Basler Bevölkerung verursacht. Dem war aber nicht so. Die renommierteste Kunstinstitution der Schweiz forderte die Aktivisten auf (nach einer kurzen Phase der „Duldung"), sich gefälligst von dem öffentlichen Messeplatz zu verpissen. Nach ein paar fruchtlosen Versuchen, die ungewollten Laienkünstler des Platzes zu verweisen, beschloss man doch lieber die Polizei zu rufen. Was dann geschah siehst du hier:

Oder auch hier aus einem anderen Winkel.

Jetzt dürfte meine Verwirrung nachvollziehbar sein. Keine Sachbeschädigung, keine Gewalt, einfach eine Traube tänzelnder Hippies. Dann: Ein Team Polizisten, das reinmarschiert, die Musikanlage zerstört (das schwarze Ding, das aus dem Tumult geworfen wird, ist eine Box) und mit Gummischrot und Tränengas auf die Apéro-Aktivisten losgeht.

Meine erste Frage war: Konsumieren Basler Polizeibeamte denn keine Medien? Haben die nicht bemerkt, dass Polizeigewalt im Moment ein heikles Thema ist? Taksim-Platz, Gezi Park, sagt denen das nichts? Wieso kommen die nicht auf die Idee, einen Gang runterzuschalten? Jahrelanger totaler Medienboykott würde erklären, warum der Berner Polizeikommandant Nause nach den „Tanz dich frei"-Ausschreitungen auf die Idee kam, „dieses Facebook" zu verklagen. Er wusste es einfach nicht besser. Mittlerweile haben die Berner Behörden wenigstens den Internetpranger für sich entdeckt.

Die Basler Polizisten lesen wahrscheinlich nur die von der SVP kontrollierte Basler Zeitung. Dort äussert sich der Basler Polizeidirektor Baschi Dürr mit den Worten: „Die Polizei musste sich selber schützen". Als Betrachter der vorliegenden beiden Videos erlaube ich mir zu fragen: wovor um Himmels Willen musste die Polizei sich in diesem Fall schützen? Dankbarerweise gibt die Basler Zeitung eine Antwort. Philipp Meier, der ehemalige Kurator des Dada Hauses in Zürich, hat bereits auf den zynischen Umstand hingewiesen, dass in der Messe Ai Wei Wei gefeiert wird, während vor der Messe die Staatsgewalt gegen Kunstaktivisten vorgeht.

Als Kunstaktivisten sind die Damen und Herren Platzbesetzer übrigens wegen der Art Basel selber zu bezeichnen, da ja die Messe selber das Bauen einer Favela auf dem Messeplatz zur Kunst erhoben hat. Der grosse Gewinner der Geschichte ist schlussendlich Tadashi Kawamata, der es nach Jahren zustande gebracht hat, ein Kunstwerk an der Art Basel auszustellen, das echte gesellschaftliche Kontroversen auslöst. Dazu unsere herzliche Gratulation. Es darf natürlich bezweifelt werden, dass einer der aus Japan kommt um in der Schweiz seinen gepützelten Schrebergarten "Favela" zu taufen, sich wirlich dermassen viele Gedanken gemacht hat, als Zeichen des guten Willens gehen wir aber trotzdem davon aus, für die Kunst.