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Sex

It's eyeball-lickin' good!

Augenlecken ist das neue Vorspiel der Japaner und auf perverse Art macht der Dating-Trend sogar irgendwie Sinn.

Vor einiger Zeit hatte ich die Idee, eine Sci-fi-Kurzgeschichte zu schreiben, in der das kollektive Gedächtnis der ganzen Welt alle 12 Monate gelöscht wird. Wie das genau vor sich geht, habe ich mir nicht überlegt, aber wichtig war, dass davon auch alle Social Media-Kanäle und Smartphone-Speicher betroffen sein würden. Das Ganze sollte ein Gedankenexperiment im Stil von Outer Limits werden—mit einem Satz wie "Sie betreten eine Welt jenseits Ihrer Vorstellungskraft", schwarzweißen Hypnose-Spiralen und einem sehr bösen Ende, das uns alle sehr nachdenklich macht.

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Und im Kern sollte es—wie bei jedem Text über Medienkritik—natürlich auch irgendwie um Japan gehen, nur mit (noch) weniger Medienmoral und (noch) mehr Tentakelpornos. Ich erwähne das hier aus zwei Gründen:

Erstens, weil ich ganz genau weiß, dass ich die Geschichte sowieso nie schreiben werde (ich schaffe ja nicht mal jede Woche einen neuen Wrong Boner!) und ihr meine Idee deshalb gerne für 100.000 Euro nach Hollywood verscherbeln könnt (wo ihr anschließend bemerkt, dass ihr euch unter eurem Wert verkauft habt, man mit 100.000 Euro in L.A. nicht gerade zu den obersten Zehntausend gehört und deshalb in eine stupide Depression verfallt, ha!).

Und zweitens, weil ich seit kurzem davon überzeugt bin, dass daraus im Interesse der Menschheit keine Kurzgeschichte werden sollte, sondern ein Antragstext für einen Beschluss im verdammten EU-Parlament, weil Japan genau so was sehr dringend in Wirklichkeit nötig hätte. Nicht, dass Japan erst seit gestern seltsam wäre oder es bei irgendjemandem noch nicht angekommen wäre, dass es auf der Insel rund um Tokio zwar getragene Höschen in Automaten zu kaufen, aber dafür keine Altersbeschränkung für Sex gibt. Außerdem holen sich Japaner ihr Weihnachts-Festmahl traditionell bei Kentucky Fried Chicken, also was zur Hölle will man von diesem Land in Sachen Anstand überhaupt verlangen.

Aber das, was jetzt als Dating-Trend von der Insel zu uns herüber schwappt, als wären es die verspäteten Druckwellen eines zwischenmenschlichen Hiroshimas, lässt KFC-Kübelhühner zum Geburtstag von Jesus Christus im Vergleich wie apokalyptische Anstands-Reiter mit Monokel und Fliege aussehen. In Anlehnung an den alten Werbespruch "It's finger-lickin' good!", der bis vor kurzem jeden ikonischen Colonal Sanders-Kübel zierte, heißt der Claim zur neuen Schule des Rummachens "It's eyeball-lickin' good!"—und auch, wenn beides salzig schmeckt, hat zweiteres doch zumindest einen bitteren Nachgeschmack (dafür aber auch so gut wie gar keine Kalorien, ich geb's ja zu).

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Was ihr hier seht, nennt sich "Oculolinctus"—oder, um die Praktik auch in Abwesenheit einer Bebilderung noch sehr plastisch greifbar zu machen, "Worming". Dabei handelt es sich weniger um eine Mutprobe für Blinde, die endlich mal einen Tentacle Rape Porn am Auge erfahren wollen, sondern um so etwas wie ein Sexspiel, das irgendwo zwischen Zungenkuss und Koitus angesiedelt ist (was ist eigentlich aus der sehr anständigen Konvention von Oralsex geworden?).

Auf perverse Art macht das Netzhautlecken als Liebesbeweis auch durchaus Sinn: Erstens bricht es mit Tabus, zweitens braucht es Überwindung und drittens lässt es sich im Gegensatz zu vielen anderen Dingen, auf die erstens und zweitens ebenfalls zutreffen, ohne großen Aufwand betreiben (Zehen in den Mund nehmen und Finger in den Popo stecken sind solche Dinge, die man oft nur schlecht auf offener Straße und ohne Vorbereitung zur symbolischen Untermauerung seiner Liebe praktizieren kann).

Kunst von Suehiro Maruo

Aber das Retina-Bespeicheln birgt nicht nur für den Blowjob und seinen kleinen Zwergenbruder, den Cunnilingus, ernsthafte Gefahren: Wer seinen Gesichtswurm zu häufig und in zu ungewaschenem Zustand an das empfindliche Augapfel-Gelee seines Liebespartners lässt, riskiert auch eine Bindehautentzündung und sogar klassischerweise eher an anderen nassen Stellen verortete Geschlechtskrankheiten wie Chlamydien (die merkwürdigerweise im englischsprachigen Raum ein geflügeltes Wort und im deutschsprachigen Gebiet völlig unbekanntes Infektionsneuland sind, aber das ist eine andere Geschichte, die ich euch wohl irgendwann mal erzähle, wenn ich mir meine Boner-Situationen von ansteckenden Krankheiten hole).

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Das Ganze erinnert mich an eine Doku mit dem Naturfilmer David Attenborough, die ich vor kurzem gesehen habe und die auch "David hanging with the gorillas" oder "Attenborough touching things in nature" hätte heißen können. Darin sah man David Attenborough (den ihr bestimmt als Erzählstimme aus der Sonntagskaterserie "Planet Earth" kennt), wie er genau das tat: Mit Gorillas abhängen und auf alten Naturvideos aus den Siebzigerjahren Tiere angreifen. Dazu erzählt uns der Gegenwarts-David aus dem Off, dass man es heute natürlich besser weiß und niemand mehr einen Gorilla betatschen würde, weil Gorillas sich auch beim gutgemeinten Kuscheln die ärgsten Krankheiten von uns Menschen holen können.

Vielleicht braucht es also nur ein bisschen Gorilla-Bewusstsein in Sachen Zungenbelag und ein paar mehr Fotos von Augenklappen-tragenden Japanerinnen, um den Trend wieder zum Abkühlen zu bringen. Andererseits hat AIDS den unverhüteten Sex auch nicht zum Aussterben gebracht und Dummheit und Geilheit haben nicht selten ihre Ursache im selben Reiz (Dumm fickt nicht gut, aber dumm ficken ist das Beste). Denkt euch also ein großes blinkendes Warndreieck über das Bild, wenn ihr euch dieses Video anseht:

Je mehr ich drüber nachdenke, umso mehr Zweifel kommen mir daran, dass es eigentlich nur ein bisschen Aufklärung braucht, um das Problem aus der Welt zu schaffen. Wann hat Aufklärung das letzte Mal unlogisches Verhalten komplett verdrängt? Die Schlagzeilen sind jeden Tag voll mit Unvernunft—scheiße, ohne Unvernunft gäbe es wahrscheinlich nicht mal mehr irgendwas, das Schlagzeilen machen würde. Und die Aufklärung? Die fristet ihr Dasein in den Enzyklopädien neben Kant, während draußen Cunt und Chaos herrschen.

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Warum sollten Augenklappen den Trend nicht einfach nur ausweiten? Ich sehe schon das Japan des Jahrs 2023 vor mir, in dem die Schmutz-Automaten von Tokio neben Unterhöschen auch Tränen getränkte Piratenklappen verkaufen und die nächste Generation von Masturbatoren längst keine Ahnung mehr hat, weshalb ihnen jedes Blinkeln einen Boner beschert. Das zumindest muss man der Jugend lassen: Das mit der Gedächtnislöschung alle 12 Monate passiert beim Wichs-Nachwuchs—zumindest teilweise—wie von selbst.

Hier noch das Musikvideo der Band "Bond", auf das der ganze Augenschleck-Trend zurückzuführen ist:

Und nächste Woche dann, passend zur Musik: Ohrenlecken. Ich würde Geschlechtskrankheiten auf den Gehörknöchelchen in Kauf nehmen. Mahalo!

Markus auf Twitter: @wurstzombie