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It's still real to me, damn it!

It's still real to me, damn it! Die VICE Wrestling-Kolumne

Trash und Wrestling in Wien, das heißt Hühnerteile, Rockabilly und maskierte Katzen.

Vor gar nicht allzu knapper Zeit (aber wegen Zeitknappheit eben erst jetzt in Berichtform) begab es sich, dass eine Traube gutgelaunter Rockabillys, halbgarer Lonsdale-Testimonials und postmoderner Studenten sich unter echte Wrestling-Afficionados mischte und gemeinsam mit uns in der Wiener Arena dabei zusah, wie sich eine Patina aus B-Movie-Charme über die Independent Wrestling-Welt legte und dort wie Haschnebel hängenblieb.

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Und genau wie bei Haschnebel war es auch hier nicht besonders schön, aber zumindest wirkungsvoll. Dass sich das Ganze selbst nicht sonderlich ernstnahm, hat natürlich geholfen. Zumindest, wenn man zu denen gehört, die nicht sosehr Wrestling sehen wollen, als vielmehr ein Reenactment von El Santo vs. The She-Wolves mit Headbang-Soundtrack. Was vermutlich fast das ganze Publikum in der Arena beschreibt, mit Ausnahme der paar vereinzelten Gestalten, die mit ihren 40+ Pollunder-Outfits auf einen Blick klar machten, dass sie unter "Arena" eine Sporthalle und unter "Rock'n'Roll Wrestling Bash" ein bisschen Catchen mit Stelzengaudi verstanden hatten.

Am Ende des Abends war ich ihrer Geisteshaltung dann doch irgendwie näher als dem augenzwinkernden Mindset der meisten, weil Spaß-Events wie dieses ehrlich gesagt mit anderen Mitteln genau das gleiche tun, wie die WWE mit ihrem Kiddy-Merchandise auch: Nämlich Wrestling für Wrestling-ferne Zielgruppen öffnen und als etwas anderes als Wrestling vermarkten. Was nicht schlimm und auch wirklich spaßig ist, aber gerade in kleinen Veranstaltungsräumen wie der Arena, wo die Assoziation mit guten Independent Ligen (wie der wXw in Deutschland oder dem Ring of Honor in den USA) naheliegt, fühlt es sich einfach nicht ganz richtig an.

Wer schon einmal bei einem wXw/PWG-Event in der Musik Palette in Essen war, wo Setting und Stimmung ähnlich sind, der weiß, wovon ich rede: Auch dort gab es viel Bier und die Fans standen grölend direkt am Ring. Im Gegensatz zur Trash-O-Calypse zogen dort aber aufsteigende Stars wie zum Beispiel Bryan Danielson, El Generico und Chris Hero echte Feinschmecker-Fans an, denen es um die Performance der Athleten ging.

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Dafür mag in Wien zwar das Publikum fehlen, aber auf diese Art entwickelt sich bestimmt auch keines. Insgesamt gilt: Augenzwinkern ist okay, aber man kann eben auch so viel blinzeln, dass man einfach nichts mehr sieht. Natürlich war es trotzdem schön und bunt und laut und hat ein paar sehr inspirierende Bilder hervorgebracht, wenn ihr mich fragt. Das hier ist ihre Geschichte.

Wenn in zweitausend Jahren Anthropologen die Spuren unserer dekadenten Zivilisation erforschen, werden sie mit ziemlicher Sicherheit ein ziemlich verzerrtes Bild davon haben, wie man sich in dieser Epoche die Zeit vertrieben hat. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass das Kulturprodukt mit der längsten Haltbarkeit ausgerechnet der Skischuh ist. Wenn ich einen Wunsch freihätte, würde dieser lauten: Bitte, (gar nicht mal so) lieber Hulk Hogan, lass neben Skischuhen auch Winkekatzen mit Lucha-Libre-Masken bis ins fünfte Jahrtausend überdauern.

Vor dem Wrestling-Teil des Abends spielten erst mal drei laute Bands auf, damit die draußen rauchenden Menschen auch eine entsprechende Hintergrundbeschallung genießen konnten. Das hier ist Band 3 von 3, was die Reihenfolge angeht, und Band 1 von 3, wenn ihr wissen wollt, wer qualitativ neben ordentlichem

"Bitte geh mit mir zu diesem Wrestling-Event, das wird sicher lustig!" … "Bitte nimm mir ein Bier mit, ich zahl's dir später, das wird sicher lustig!" … "Bitte halt mein Bier und posier mit mir vor dieser Kamera, damit ich meine Maske herzeigen kann, das wird sicher lustig!"

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Dann war endlich Schluss mit lustig. Also, im übertragenen Sinn. Im wörtlichen Sinn ging lustig jetzt erst richtig los. Nach den drei herkömmlichen Bands stürmte nämlich plötzlich El Brucho, der Wrestlingbarde, die zur Star Trek-Kulisse umgestaltete Bühne und griff gleich mal in die Vollen. Die wirkliche Innovation des Abends: Die Bash-Band hörte bis zum Ende des Events nicht mehr auf zu spielen und hinterlegte sogar die Wrestling-Matches mit Coverversionen von AC/DC und Led Zeppelin, was den Kämpfen definitiv einen ungewöhnlichen Anstrich und das Flair von Mortal Kombat-Fights verlieh.

Running Kicks gab es auch. Überhaupt gab es erstaunlich viele professionelle Moves. Um auch mal was unumwunden Positives zu sagen. Als Miesmacher könnte man zwar querschlagen und sowas sagen, wie: "Dafür waren alle diese schönen professionellen Moves aber auch eins zu eins aus den Repertoires der Stars gestohlen und kein einziges eigenständiges Gimmick dabei." Aber so ist das nun mal, wenn man eine Liga hat, die keine Fanbase, keine TV-Sendung und keine Zeit für Storylines und Feuds hat, dafür aber auf den ersten Blick verständlich sein muss. Ist also schon okay. Außerdem …

… gab es einen 450 Splash! Und das akzeptiere ich auf jeden Fall als ein "Hey, wir können vielleicht nur die Moves der anderen nachmachen, aber dafür machen wir wenigstens die besten nach!"

Dieses Match war spannend, weil die Figuren nicht aus der Wrestlingwelt, sondern von Fear and Loathing in Las Vegas geborgt waren. Zumindest der Typ, der links am Boden liegt, ist Raoul Duke nachempfunden und wurde als Acid-Opfer dargestellt, was man auch an seiner Maske gut erkennen konnte, die von einer schwindelerregenden Spirale überzogen war. I marked out.

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Schon das letzte Mal habe ich euch von den rohen, eingebluteten Hühnern berichtet, die von den Fans wie Luftballons behandelt und durch das Publikum geschossen wurden, wo sie gelegentlich jemandem gegen den Nacken klatschten. Das Butcher-Gimmick wurde also sehr Kayfabe-getreu durchgezogen, um auch mal einen richtig nerdigen Satz zu schreiben.

Sehr. Kayfabe. Getreu.

Der Austausch mit den Fans ist ein ständiges Geben und Nehmen. So auch hier, wo der Porno-Fighter zu sagen scheint: "Gib du mir Bier, dann nehm ich dir nicht die Freude am Leben."

Der fliegende Clown musste einfach noch hier rein. Nicht weil der Suicide Dive besonders war, sondern weil er als Figur den einzig originalen Charakter des Abends darstellte und tatsächlich so etwas wie ein Moveset und einen eigenen Habitus mitbrachte. Natürlich sind Clowns nicht an sich neu, nicht mal im Wrestling (Doink, wo bist du und warum musstest du gegen Heath Slater verlieren?), aber in dieser Ausführung erinnerte er eher an eine der gruseligen Puppen, die in J. F. Sebastians Bastelstube bei Blade Runner rumstehen und das ist eine gute Sache.

Aber mein Lieblingsbild des Abends entstand erst nach der Show, als sich diese zwei Menschen auf dem Weg aus ihrer neu entdeckten Hölle, die wir Arena nennen, von uns mit einem "Auf Wiederschauen!" verabschiedeten, was unendlich lieb war, weil sich das in ihrer Welt scheinbar einfach so gehört und sie immer noch freundlich waren, obwohl aus ihren Augen längst der blanke Horror heraus lugte.

Das war uns natürlich ein Foto wert und ich muss sagen, dass dieses in sich selbst ruhende Bild waschechter Wrestling-Fans, die keine Ahnung haben, was außerhalb der beschützenden Turnhallen-und-Bierzelt-Events für Abgründe auf sie lauern, irgendwie genau das ausdrückt, wovon ich hoffe, dass gute Nerds es im Herzen tragen. Mahalo!