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It's still real to me, damn it!

It's still real to me, damn it! Die VICE Wrestling-Kolumne

Wrestling am Nationalfeiertag, Bruderzwist und neue Mugshots!

Es ist Nationalfeiertag in Kleindeutschland und abgesehen von viel zu langen Militärparaden, bei denen das heimische Heer einmal im Jahr die schmucken Panzer vom Standgas in den ersten Gang hochfahren darf, heißt das für Österreich vor allem: Geschwisterliebe und Bruderzwist, wohin das rotweißrot durchzogene Äuglein auch schaut. Also, je nachdem, ob man sich die Geschwisterbande auf zwischenmenschlicher oder auf staatlicher Ebene ansieht. Einerseits tun wir (als Einzelne) am 26. Oktober alle so, als würden uns nur "die anderen" nerven und leiden für ein paar Stunden an der konsequenten Wahnvorstellung, dass es in der Straßenbahn oder an der Supermarktkassa geradezu paradiesisch zugehen würde, wenn doch bloß alle Gamsbart tragen und "Griaß God" sagen würden. Andererseits führen wir uns (als Staat) an keinem anderen Tag so komplexbehaftet und geltungssüchtig auf, wenn wir uns das geistige Ed Hardy-Gewand überwerfen und den großen Prolo-Bruder Deutschland aus mangelnder Eigenständigkeit und Selbstreflexion mit unsrem billigen Strass-Bling in den Schatten stellen wollen (und uns damit, wie immer, eh nur selber die Blöße geben).

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Jedenfalls ist der Tag, an dem der kleine Schnitzelfleck auf der Landkarte Geburtstag feiert, ein Jubiläum der Gemeinsamkeiten und Zerrissenheiten und egal, auf welcher Ebene man ihm aus dem Weg zu gehen versucht, er holt einen doch immer irgendwie wieder ein, ob durch das Fernsehprogramm und die Feuerwerke oder die gutgelaunten Nazis und ihre quietschvergnügten Flaggenträgerkinder. Und das ist auf jeden Fall wie bei Geschwistern, die einen ja auch nie so wirklich loslassen, wurscht ob sie einem als Kind einen Furz ins Gesicht oder später die Daumen in schwierigen Situationen drücken. Immerhin haben Geschwister die zweifelhafte Ehre, einen in genau der Zeit zu begleiten, in der nicht umsonst die BFFs öfter wechseln als Wichs-Socken. Als Teen ist man nämlich nur genauso einfach und pflegeleicht, wie man selbst glaubt, komplex und einzigartig zu sein: nämlich gar nicht.

Wenn ich daran zurückdenke, wie viele GZSZ-Kapitel mein Bruder und ich im Zuge des Großwerdens quasi 1:1 nachgespielt haben – interessanterweise kamen Knochenbrüche und Wrestling-Spielen nur voneinander getrennt vor –, dann denke ich mir heute nach wie vor drei Dinge: Erstens, dass wir es überhaupt so relativ normal und unbeschadet ins Erwachsenenalter geschafft haben, ist ein wahres Wunder (der Wahnsinn war immer nur einen Gesichtsfurz weit entfernt); zweitens, wenn man sich dann Österreich im Zwist mit Deutschland so ansieht, könnte man fast glauben, dieses Land wäre jetzt zirka dort, wo ich mit vierzehn war; und drittens, wie zur Hölle haben es die Wrestling-und-Reallife-Bros Jeff und Matt Hardy bloß geschafft, von klein auf so eingeschworen durch Dick- und Dünnschiss zu gehen und niemals mehr zwischen sich kommen zu lassen, als ein paar Kilo Bauchfett und Drogen?

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Um dieser Frage nachzugehen (und euch am Ende nach viel Verwirrspiel doch ohne Antwort zurückzulassen), gibt es passend zum Feiertag das würdige Revival der Mugshot Matches mit niemand Geringerem als dem großen, aber immer ein bisschen hintangestellten Bruder Matthew Hardy, der das mit der Familienbande sogar so ernst nimmt, dass er es in den letzten Jahren Jeff prompt gleichtun und auch ein paar Mal von der Drogenlade naschen musste.

Über Bruder Jeff und seine Pulverspirale habe ich ja bereits hier ausführlicher geschrieben. Jetzt ist ein bisschen Mattitude angesagt.

Also DING-DING-DING und RING FREI!

Wie schon gesagt hat es Matt Hardy nie ganz zu dem Glanz gebracht, mit dem sein Bruder scheinbar gesegnet war. Scheiße, Jeff musste eine Zeitlang nicht viel mehr tun, als seine Finger in Wildwest-Pistolenschuss-Manier zur Musik zu schütteln, und schon kreischten die Mädels im Publikum, als hätte ihnen Gott persönlich gerade einen Rimjob verpasst. Der Grund liegt auf der Hand: Jeff sah man den Künstler an. Schließlich trug er löchrige Strumpfhosen auf den Armen, war schüchtern, kiffte gerne und bastelte privat an einem Pappmaschee-Wunderland, das College Girls bestimmt für ganz große Kunst hielten. Außerdem war er immer der Waghalsigere von den zweien und alleine, dass ich in diesem Artikel über MATT schon wieder einen ganzen Absatz nur über JEFF schreibe, sagt eigentlich schon alles, was über die Rollenverteilung in diesem Bruderduo gesagt werden muss.

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Trotzdem wäre es revisionistisch und falsch, so zu tun, als würde Matt nicht auch einiges an Anerkennung gebühren. Der ältere Hardy hatte zum Beispiel immer die bessere Mic Work und konnte Promos oder Interviews geben, wie man das sonst nur von wesentlich weniger athletischen Wrestlern gewöhnt war. Auch seine Persönlichkeit war seit jeher weitaus wandlungsfähiger als die "Me playz myself"-Mimik eines Jeffs, weshalb wohl auch nie zur Debatte stand, wer von den beiden zum Heel geturnt werden würde, wenn es denn zu einer Trennung des erfolgreichen Hardy Boyz-Tag Teams kommen sollte. Entsprechend war sowohl Matts Zeit als "Matt Hardy Version 1", als auch sein Heel Run rund um Wrestlemania 25 hochgradig unterhaltsam und glaubwürdig.

Leider gab es etwa zu dieser Zeit aus athletischer Sicht aber gehörige Abstriche gegenüber seiner Cruiserweight-Zeit, die seine Stellung in der Hackordnung ordentlich schwächten – und vermutlich half es auch nicht besonders, dass der etwas verschlossene Wrestler weder so beliebt, noch so waghalsig im Umgang mit Sprüngen von Leitern war wie sein Bruder. Hinzu kommt eine stattliche Gewichtszunahme im Bauchbereich, die während seines letzten WWE-Runs wie ein prophetisches Zeichen an seinen Lenden prangte und auch, wenn die neue Statur von seiner Bauch-Operation herrührte, muss man nun mal sagen, dass Matt als jemand, der bereits als Minderjähriger seine ersten Gehversuche bei Monday Night Raw machte (damals nicht ganz legal und als Jobber, aber whatever), durchaus weiß, wie das Business gestrickt ist und man nicht so einfach die Nische von "athletisch" zu "meh, hat halt Charakter" wechselt, ohne dass Vince McMahon vorab sein Okay dazu gegeben hat. Fette Menschen bekommen bei Vince gerne mal nach anfänglichem Hype einen Dämpfer verpasst (ich nenne es das "Brodus Clay-Treatment") und nicht ganz so fette Menschen gleich umso mehr (wahrscheinlich als Abschreckung oder was weiß ich). Das ist nicht ganz fair (im negativen Sinn), aber dasselbe gilt wohl (im positiven Sinn) auch für Matt Hardys Bezahlung, also muss man sich wahrscheinlich einfach mit den Regeln des Marktes, den nun mal McMahon macht, arrangieren, oder eben abtreten. Von da an gab es für Matt nur noch das, was man außerhalb der Wrestling-Welt "Mobbing" nennen würde: Auf Weisung des Bosses wurde er von den anderen Backstage ignoriert, seine Rolle wurde eingeschränkt, sein Win-Loss-Record litt unter einem ziemlichen Ungleichgewicht und schließlich hieß es dann "Tschüss, WWE! Hallo ihr kleinen lustigen Pulver und Pillen!".

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Seither ist es ruhig um ihn geworden und jener Teil der Fanschaft, der nicht ganz treu und nicht ganz smart ist, begnügt sich wohl einfach damit, dass Matt den Weg aller Hardys gegangen und im Drogensumpf steckengeblieben ist, wozu natürlich auch die Zombie-Mugshots ganz gut passen. Tatsächlich scheint es aber nach einem Blick auf Matts Twitter-Account und seine Website gar nicht so trist um ihn zu stehen – und bezeichnenderweise ist gerade das Fehlen von peinlichen Comeback-Versuchen in den großen Ligen WWE und TNA der beste Hinweis darauf, dass es ihm vielleicht wirklich so gut geht, wie er selbst mit ziemlicher Überzeugung sagt. Heute wrestlet Matt nur gelegentlich kleine Venues (wenn der Preis stimmt), ist mit dem ganz schön spannkräftigen Playboy-Modell und Wrestling-Sternchen Reby Sky zusammen und schreibt gelegentlich mal einen bemerkenswerten Satz über die Wichtigkeit von Hausfrauen.

Alles in allem klingt das für mich, als hätte er die Dosis Realität dringend nötig gehabt. Deshalb hier das Ergebnis.

Und jetzt wieder Schluss mit so viel Wirklichkeit. Stattdessen tun wir lieber noch ein paar Stunden so, als wär unser Schnitzelland ein großer Fisch. Mahalo!


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