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Jetzt muss auch ich in Deutschland einkaufen

Unser Schweizer Redakteur geht seit dem Euro-Kurseinsturz in Deutschland einkaufen und zahlt jetzt die Hälfte für seine aus der Schweiz exportierten Zigaretten.
Foto von Benjamin von Wyl

Als wir am letzten Donnerstag auf dem Heimweg vom Nordkorea-Stand an der Berner Ferienmesse waren, wurde unsere Fotografin von ihrem Vater angerufen. 10.000 Franken habe er grade in Euro gewechselt. Sie müsse das auch. Sie müsse jetzt auch wechseln.

Also machten wir die grosse Tour durch die Bankfilialen: Die Migros Bank verkaufte zu einem Scheiss-Kurs von um die 1.10, die Crédit Suisse gab keine Euros mehr raus, da sie den Kurs nicht kannte; bei Raiffeisen konnte ich europäisches Geld abheben. Zum feuchten Mittelstandstraum-Kurs von 1.0495 Franken pro Euro. Fast 20 Rappen unter dem Kurs vom Vortag.

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Ich wechselte mehr Geld als ich geplant hatte. Denn: Sparen lohnt sich nicht mehr. Teuerung und Spesen gleichen die Minimalzinsen aus. Es sind fünf Minuten von mir Zuhause bis zur Deutschen Grenze. Inklusive einer Tramhaltestelle vor dem nächsten Einkaufszentrum auf Deutscher Seite.

Alle Fotos von Benjamin von Wyl

In Deutschland ist alles (noch—fragt sich wie schnell und wie stark die Schweizer Detailhändler nachziehen) billiger, ich habe praktisch einen 1:1-Kurs bekommen und beim nächsten Einkauf kann ich mir noch fast 20%-Mehrwertsteuer gutschreiben lassen.

Obwohl ich nah an der Grenze wohne (Und auch gerne nah der Grenze wohne, damit ich mir einbilden kann, ich wohne im Niemandsland.), geh ich sonst nie in Deutschland einkaufen. Ich will den Einkauf einfach nicht zu einem Ritual machen. Der Coop, der Migros-Partner und das Tamilenlädeli in meiner Strasse bieten mir das tägliche Brot, das ich mir immer kurz vor Ladenschluss um 19.45 zusammenkaufe.

Würde ich nach Deutschland fahren, müsste ich mir am Wochenende drei Stunden einplanen, mir die bedrückende Enge des „Marktkauf" (Was für ein Name für ein Einkaufscenter!) antun, in Schlangen hinter der Kasse anstehen, in Schlangen am Kundendienst anstehen (um die „Zollzettel" zu erhalten) und in langen Schlangen am Zoll anstehen (um die Zollzettel zu bestätigen). Einkaufstourismus sah ich bisher als zeitintensives Hobby von ein paar Aargauern, deren Sparbilanz wegen Benzin- und Parkhauskosten doch nicht so toll ist.

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Der Kurseinbruch am letzten Donnerstag hat das geändert. Ja, ich fühlte mich schlecht mit dem Bündel Euros. Als Konsumhure. Ich weiss, wir haben Schweizer Löhne (Wie die elsässischen Coop-Kassiers, aber das nur am Rand.) und sollten drum auch Schweizer Preise zahlen. Ich las auf Facebook Ermahnungen, dass man genau jetzt das Innenstadt-Gewerbe unterstützen müsse—aber hey, ich habe meine ganzen Weihnachtsgeschenke, in einer kleinen Buchhandlung (Jeder Basler Student weiss in welcher.) zusammengekauft und ob ich Auberginen und Zigaretten im Coop oder auf der anderen Seite der Grenze kaufe, macht keinen volkswirtschaftlichen Unterschied.

Eigentlich wollte ich am Samstag nach Weil am Rhein. Das Kreuz tragen, das mir mein neues Bekenntnis zum Einkaufstourismus auferlegt, aber der Kundensturm schien im Vorfeld zu gross. Am Donnerstagabend witzelte die Basler Satirezeitschrift Basler Bote, dass am Samstag doppelt so viele Trams nach Weil fahren. Am Freitagmorgen war das schon Realität und stand in unsatirischen Tageszeitungen. Also machte ich mich Freitagmittag auf. Das Wetter war übel und die Stimmung wegen Nachtarbeit am Tag davor eh dumpf.

Ich tat es mir an, fuhr ins graue Weil am Rhein, hörte schon am Eingang Rentnerpaare: „I weiss nid, ob Sie's ghört hend, aber s'isch grad vil billiger worde für eus." (Erwartungsgemäss im Aargauer Mittelland-Slang.) Natürlich hatten es die Mitarbeiter des Einkaufszentrums gehört. Natürlich waren sie tüchtig-freundlicher Laune.

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Erst war ich beruhigt, da das „Marktkauf" nicht ganz überlaufen war. Ich freute mich über deutsche Bioprodukte (etwa Weisse Schokolade-Cookie-Knusper-Flakes), aber am meisten über CH-Exporte: Ovomaltine für 4 Euro 99—also ungefähr 5 Franken! Ich freute mich über Parisienne-Päckli für 5 Euro—also ungefähr 5 Franken! Aber nach den ersten Hormonschüben war es mir wieder zu viel.

Ich gehe eigentlich gerne einkaufen, am liebsten in gedrängten Buchhandlungen (Ja, die oben erwähnte Buchhandlung war natürlich „Das Labyrinth".), aber in Zentren voller essenden, schmierenden, geifernden, kiloweise Tabak einkaufenden … Ich kann es nicht anders sagen: Aargauern! In solchen Tempeln fühle ich mich einfach unwohl. Es nervt mich, für meinen Einkauf noch Papierkram zu erledigen. Es nervt mich, anstehen zu müssen, um den Zollzettel auszufüllen. Es hatte mich auch letzten Freitag genervt.

Ich werde den Weg aber wieder auf mich nehmen. Denn ich spare einfach zu viel (und habe zu viel Euro gewechselt), um es nicht zu tun:

162 Euro 50 gab ich aus für Essen, Zigaretten, Kleider und was man sonst nicht braucht.

Das sind bei meinem Wechselkurs von 1.0495 170 Franken 50. Von diesen 170 Franken 50 kann ich nochmals 19% abziehen, da Deutschland uns Schweizern die Mehrwertsteuer zurückgibt. Das macht dann also 136 Franken für einen—für Singlehaushalt-WG-Zimmer-Style-Verhältnisse—Grosseinkauf. Oder runtergerechnet auf ein Päckli Parisienne: Statt 8 Franken in der Schweiz zahle ich 5 Franken 05 und komme mit abgezogener Mehrwertsteuer auf 4 Franken für ein Päckli Zigis.

Nach dem Abrechnen bzw. Erleiden aller bürokratischen Apparatschik-Schranken zahlte ich also halb so viel. Man muss ein Schwerverdiener sein, um die Möglichkeit, für seinen Einkauf nur die Hälfte auszugeben, nicht wahrzunehmen. Ich trage mein Kreuz/Einkaufskorb also wiedermal in den „Marktkauf".

Sag Benj auf Twitter, dass er eine landesverräterische Konsumhure ist: @biofrontsau

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