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Wir haben junge Musliminnen in Österreich gefragt, was sie von der Verschleierungs-Debatte halten

"Das Mysterium um das Kopftuch hat nicht die muslimische Frau erfunden, sondern jene, die mit dem Konzept der Freiheit nicht umgehen können."
Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung der Befragten

Wer glaubt, dass es sich bei Burka und Niqab nur um Kleidungsstücke muslimischer Frauen handelt, hat die seit mittlerweile zwei Wochen anhaltende Debatte über das "Verschleierungsverbot" anscheinend verpasst. Nicht nur für Außenminister Kurz, sondern auch für SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder gehen Verschleierung und eine liberale Gesellschaft einfach nicht zusammen; der eine tritt für eine verschärfte Kleiderordnung ein, der andere sichert ihm seine Unterstützung zu.

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Die Medien haben sich seither in zwei Lager gespalten. Auf der einen Seite gibt es die Kommentatoren, die in dem Burka-Verbot ein klares Zeichen gegen Salafisten sehen. Für sie geht es vor allem um die Symbolwirkung, weil so ein neues Gesetz in der Praxis sowieso nur die wenigsten betreffen würde. Auf der anderen Seite sind diejenigen, die in den Vorschlägen der Politiker vergeblichen Aktionismus sehen. Ihrer Meinung nach schiebt das rechtskonservative Lager die Idee nur vor, um von dringenderen Problemen abzulenken.

Aber die, die reden, sind nicht betroffen und die, die betroffen sind, werden nicht gefragt. Wir reden die meiste Zeit also über und nicht mit den Betroffenen, deren Gewänder mal wieder zum Inbegriff misslungener Integration gemacht werden. Deswegen haben wir junge Musliminnen, die sowohl mit der österreichischen als auch islamischen Kultur aufgewachsen sind, gefragt, was sie selbst zu sagen haben und hier ihre Gedanken für euch gesammelt.

Menerva, 27

Menerva hat vor Kurzem den Selbstversuch gewagt, mit Burkini ins Schwimmbad zu gehen. Foto von der Befragten

"Nicht nur die muslimische Frau wird ständig bevormundet, sondern Frauen im Allgemeinen und überall. Es gibt Länder, wo man sie komplett bedeckt, in anderen wird ihnen der Magertrend aufgezwungen und in wieder anderen Ländern werden sie zu Sexsklavinnen gemacht. Wir teilen alle dasselbe Leid. Bleiben wir aber bei der Muslima. Ihre Kopfbedeckung bereitet vielen Kopfschmerzen und das völlig unbegründet.

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Die durchschnittliche Muslima kommt nach Hause, nimmt Kopftuch und BH ab, zieht sich ihre Jogginghose an und genießt den Feierabend. Wir lästern genauso wie andere Frauen über unsere Männer, tauschen Abnehmtipps aus und ja—wir lachen. Das Mysterium um das Kopftuch hat nicht die muslimische Frau erfunden, sondern jene, die mit dem Konzept der Freiheit nicht umgehen können. Ich bin frei, also darf ich auswählen, was für mich zum Anziehen passend ist.

Was ist das für eine brüchige Gesellschaft, in der man Integration an der Quantität von Stoff misst?

Ähnlich gilt das auch für Burkinis: Es gibt Frauen, die am Strand oben ohne sitzen. Dann gibt es Frauen, die gerne einen Bikini am Strand tragen und wieder andere Frauen, die eben einen Burkini tragen. Wo liegt das Problem? Nicht der Burkini ist das Problem, sondern der Islam, sobald er sichtbar ist. Solang er unsichtbar bleibt und leise ist, hat keiner etwas einzuwenden.

'Unsere Länder, unsere Regeln!' Schreien dann viele Freizeitspatrioten und vergessen, dass dies auch unsere Länder sind. Nur weil wir unterschiedliche Glaubensrichtungen haben, macht uns das nicht zu integrationsunwilligen Kreaturen. Und so leid es mir tut, aber wir werden sichtbar bleiben—damit muss man klarkommen. Was ist das für eine brüchige Gesellschaft, in der man Integration an der Quantität von Stoff misst?

Lest hier, aus welchen Gründen Musliminnen einen Schleier tragen

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Wie wäre es mit der Qualität des Verstands? Wie wäre es, wenn wir jeder Frau die Entscheidung überlassen würden, wenn es um ihre Garderobe geht? Mal ist es wem zu kurz, dann wieder zu lang. Hauptsache, niemals ist es wem recht. Deswegen rate ich jeder Frau: Nimm zum Strand dein schönstes Lächeln mit, trage ein für dich passendes Bade-Outfit dazu und lass dich von niemandem verunsichern."

Demet, 27

Demet ist mit neun Jahren aus der Türkei nach Österreich gekommen. Sie arbeitet für das Rote Kreuz. Foto von der Befragten

"Ich lebe mittlerweile seit 18 Jahren in Österreich und fühle mich eigentlich sehr wohl hier. Aber als ich gelesen habe, wie viele Österreicher und Deutsche diese neuen Kleidungsvorschriften befürworten würden, bin ich ziemlich traurig geworden. Außerdem habe ich Angst, dass das Kopftuch dann irgendwann mal verboten wird. Es sollte uns doch eigentlich keiner sagen, was man tragen soll. Ich kleide mich gerne modern, aber mein Kopftuch gehört eben dazu. Es sollte mir überlassen werden, was ich anziehe. Das hat für mich sonst wenig mit einer Demokratie zu tun.

Es fühlt sich so an, als wäre es der Anfang von einer langen Reihe von Verboten. Erst verbieten sie die Burka, dann irgendwann verbieten sie auch das Kopftuch und immer weiter. Man wirft der Türkei vor, dass sie kein demokratisches Land ist. Aber im Endeffekt stellt sich Europa mit seiner aktuellen Haltung über den Islam auch in keinem besseren Licht dar.

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Sie meinen, ich soll zurück in die Türkei gehen. Mit Burkini erst recht.

Ich lese dann beispielsweise auf Facebook Kommentare, dass sie uns mit unserer Kleidung hier nicht akzeptieren wollen. Dass ich zurück in die Türkei gehen soll, mit Burkini erst recht. Letztens wollte ich mit einer Freundin schwimmen gehen und wir haben es dann gelassen, weil wir keine Aufmerksamkeit erregen wollten. Ich fühle mich dann meiner Freiheit beraubt. Mittlerweile traue ich mich nur noch in größeren Gruppen schwimmen zu gehen."

Asma, 28

Asma wurde in Wien geboren und arbeitet mittlerweile als Fotojournalistin. Foto von der Befragten

"Ich habe das Gefühl, dass immer sehr viele Themen zusammengemischt werden. Es geht eben nicht nur um ein Thema, das man besser verstehen oder ausdiskutieren möchte. Das wäre meiner Meinung nach ja sogar wichtig. Aber nein, es sind eben ganz viele Themen und Emotionen, die da zusammenkommen. Man versucht, aktuelle Themen in der Gesellschaft unter einem Deckmantel auszudiskutieren. Das sind zurzeit Flüchtlingspolitik, Integration, Außenpolitik, Türkei, Musliminnen und die Sichtbarkeit von Musliminnen. Das sind die wichtigen Themen und die werden einfach gerade unter die Decke gekehrt. Da redet man halt lieber über ein Burka-Verbot und alle machen mit.

Erst ist es das Burka-Verbot, aber dann plötzlich wird über den Burkini gesprochen, dann über das Kopftuch. Alle Themen werden da zusammengemischt. Außerdem sind die Themen so emotional geladen, dass es gar nicht mehr um sachliche Diskussionen geht, sondern um alles und nichts. Das beunruhigt mich dann schon. Man schafft mit einer solchen Diskussion nicht wirklich viel, außer dass man eine Gesellschaft aufheizt.

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Lest hier, warum die Burka-Debatte hysterisch ist.

Man informiert die Menschen nicht wirklich. Beispielsweise in Bezug auf die Burka: Wir haben meines Wissens nach in Österreich keine einzige Frau, die eine Burka trägt. Die Burka ist ein Gewand, das man vorzugsweise in Afghanistan trägt. Trotzdem diskutiert man hier über ein Burka-Verbot. Das ist eine sinnlose Diskussion. Natürlich meint man damit auch andere Kleidungsstücke wie den Niqab oder den Tschador, aber allein schon die Begrifflichkeit ist eine andere.

Auch beim Gesichtschleier gibt es nur eine geringe Anzahl an Frauen, die ihn hierzulande tragen. Es ist also total übertrieben, da so eine große Diskussion zu führen. Innermuslimisch ist das Thema Gesichtsverschleierung nämlich auch umstritten. Von der Mehrheit der Musliminnen wird er auch nicht als Pflicht gesehen. Es ist für die Frauen, die es tragen, eine Art Annäherung an Gott und eine Verstärkung ihrer Religiosität. Solche Stimmen hört man dann aber gar nicht. Für die anderen ist es halt der Islam und da ist das Pflicht—das wars. Wir brauchen eine Diskussion, die sachlich ist. Eine Diskussion, die die Selbstbestimmung der Frau in den Vordergrund stellt.

Alle wichtigen Themen werden unter die Decke gekehrt. Da redet man halt lieber über ein Burka-Verbot.

Auch wenn ich persönlich keine Befürworterin der Burka bin, heißt das nicht, dass ich mich nicht trotzdem dafür einsetzen werde. Man sollte frei entscheiden können, womit man schwimmen geht, was man auf der Straße trägt und was man nicht trägt. Meiner Meinung nach sollte man sich mehr dafür einsetzen, dass Frauen emanzipiert und selbst entscheiden dürfen. Entgegen der Behauptung, dass Frauen sich durch eine Burka von der Gesellschaft abschotten würden. Durch ein Verbot separiert man sie erst recht von der Gesellschaft. Ich befürworte deswegen den Dialog. Man muss auf die Menschen zugehen."