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Drogen

Karibische Träume vom Cannabis-Wirtschaftswunder – Sind Bananen gefährlicher als Gras?

Selbst eine karibische Premierministerin wurde schonmal mit fünf Gramm einer „cannabisähnlichen Substanz" erwischt. Aber Jamaika ist eben nicht Usedom.

Foto: Imago | Blickwinkel

In der Karibik herrscht in Sachen Cannabis derzeit so etwas wie Goldgräberstimmung. Die Vorreiterrolle hat Jamaika übernommen, wo der Besitz von bis zu zwei Unzen genau zu Bob Marleys 70. Geburtsag am 6. Februar 2015 entkriminalisiert wurde. Gleichzeitig wurde Cannabis zu medizinischen, religiösen (!) und wissenschaftlichen Zwecken legalisiert. Und das nicht etwa wie in zahlreichen westlichen Länder erst auf juristischen Druck der Patienten hin, sondern weil sich die Regierung davon so Einiges verspricht. Deshalb hat man sich in Kingston auch entschlossen, den ökonomischen Faktor von Anfang an mit einzubeziehen, und hat den Anbau zu Zwecken, der vom Staat überwacht und kontrolliert wird, auf privatwirtschaftlicher Basis organisiert. In Jamaika ist das Gesetz, das Details zum Anbau genau regelt, vor ein paar Tagen in Kraft getreten und die ersten Pflanzen werden sehr bald blühen.

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Darüber hinaus wurde der Besitz von bis zu zwei Unzen Gras für alle über 18 entkriminalisiert. Wer weiß, wie locker Jamaika schon vor dem neuen Gesetz mit Kiffern umgegangen ist, kann sich ungefähr vorstellen, wie sich die Lage seitdem entwickelt hat.

Während im Touristenzentrum Negril bereits High Times Cannabis Cups und andere Ganja-Events veranstaltet werden, ist die Zahl der Verhaftungen wegen Weed im vergangenen Jahr um 14.000 Fälle gesunken. Man denkt nicht nur auf Jamaika, sondern sogar bei der Gesundheitsorganisation der karibischen Staaten (CARPHA) ganz offen über einen medizinischen Cannabis-Tourismus nach und erst gar nicht daran, Fertigprodukten aus dem Pharma-Labor den Vorzug gegenüber der heimischen Kräutermedizin zu geben. Jamaikas Justizminister Golding war vergangenes Jahr sogar Teilnehmer der International Drug Reform Conderence in Washington D.C., der größten Konferenz in den USA zur Cannabis-Legalisierung sowie anderen Reformen in der Drogenpolitik. Natürlich mischt die allgegenwärtige Marley-Familie mit einer Firma, die spezielle Bob-Marley-Samen und -Sorten anbietet, auch als Pionier im legalen jamaikanischen Ganja-Business mit.

Aber nicht nur Jamaika, wo sowieso alle an Reggae, Weed und leider auch an Homophobie denken müssen, hat Cannabis als neuen Wirtschafts- und Sozialfaktor entdeckt. Der kleine Inselstaat St. Vincent und die Grenadinen ist jetzt schon einer der größten illegalen Produzenten und Exporteure der Region. Präsident Gonsalves würde dem Beispiel Jamaikas am liebsten folgen und sogar noch einen Schritt weiter gehen. Er hatte beim jüngsten Treffen der Karibischen Gemeinschaft (CARICOM) auf St. Lucia die Idee, den Bananenexport durch den Verkauf von Medizinalhanf zu ersetzen.

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„Das Resultat der Bananenwirtschaft ist Entwaldung und Erosion auf den Bergen und in den Tälern. So geht das mit Bananen jetzt seit 50 Jahren. Wenn es regnet, kommen Überflutungen, das Land wird in die Flüsse gespült, die Stauden werden ausgerissen und weggespült, stauen die Flüsse an und zerstören Brücken und Häuser. Und sie töten Menschen", zitiert Telesur TV den Präsidenten auf der jüngsten Sitzung der CARICOM.

Der Delegierte Valentine C. James aus St. Lucia unterstützt die bananenfeindliche Haltung des Staatsoberhaupts und geht in seiner Rede sogar noch weiter: „Ich habe das Gefühl, es gibt mehr zu exportieren als Bananen, weil es im Ghetto viele junge Menschen gibt, die es gerne anbauen und verkaufen würden. Bananen verkaufen sich nicht so schnell wie Marihuana." Selbst der Chef des Caribbean Drug & Alcohol Research Institute in St. Lucia, Marcus Day, ist nicht besonders besorgt, sondern scheint es gar nicht abwarten zu können. „Ich glaube, es ist an der Zeit, im 21. Jahrhundert anzukommen und das Verbot, das so viel Schmerz verursacht hat, zu beenden."

Neben Jamaika hat Puerto Ricos Gouverneur Alejandro Garcia Padilla im vergangenen Jahr Cannabis als Medizin überraschend per Dekret legalisiert und setzt, ähnlich wie Jamaika, in Zukunft auf eine gewinnbringende Cannabis-Industrie.

Kiffen gehört nicht nur in Jamaika zum Alltag

In den meisten Ländern der Karibik ist Cannabis eine Alltagsdroge, aber nach wie vor verboten. Selbst die damalige Premierministerin von Trinidad und Tobago, Kamla Persad-Bissessar, wurde 2013 mit fünf Gramm einer „cannabis-ähnlichen Substanz" erwischt, die bislang nie offiziell analysiert wurde. Doch nicht nur St. Vincent und Puerto Rico oder Jamaika haben sich mit dem Gedanken von Ganja-Tourismus und Weed-Export angefreundet, auch die restlichen Länder der CARICOM warten gespannt auf die Ergebnisse einer Cannabis-Kommission, die im März 2014 gegründet wurde und in Jamaika, Puerto Rico und anderen Ländern Erfahrungen über bereits existierende Abgabemodelle sammeln soll. Aufgabe der Kommission ist es, Möglichkeiten und Auswirkungen von legalem medizinischem Cannabis und einer Entkriminalisierung wie in Jamaika im gesamtem karibischen Raum zu evaluieren.

St. Vincents Präsident Gonsalves hat es trotz seiner eindeutigen Positionierung, mit der er spätestens seit 2013 nach Wählerstimmen sucht, versäumt, sein Vorhaben in einem Gesetz umzusetzen. Auf dem Papier ist Ganja in dem kleinen Inselstaat auch zum Eigenbedarf oder zu medizinischen Zwecken immer noch höchst illegal, auch wenn es nach solchen Worten des Präsidenten wohl kaum noch jemanden interessiert. Bleibt noch abzuwarten, ob Jamaika 2016 mehr Weed aus medizinischen oder aus religiösen Gründen anbauen wird.

Es wäre doch eine nette Idee, auch in Deutschland im Rahmen der nahenden Gründung einer Cannabis-Agentur, ähnlich wie jetzt die karibischen Staaten, das touristische Potential von medizinischem Cannabis zu berücksichtigen. In den meisten Staaten der Welt ist medizinisches Cannabis illegal, Patienten unterliegen häufig repressiven Maßnahmen, die Kundschaft stünde also Schlange, um sich auf Usedom mit Weed kurieren zu lassen.

Kalifornien hat nicht nur beim Internet und den Schwulenrechten vorgemacht, wie es geht. Los Angeles und San Francisco waren (und sind) schon lange vor der Legalisierung in Colorado und vier anderen Bundesstaaten auch Hotspots für Touristen, die Cannabis auf Rezept brauchen. Unsere Kurbäder oder der Wienerwald wären ideale Erholungsorte für legale verfolgte Cannabis-Patienten, inklusive der notwendigen medizinischen Infrastruktur, die ein Kurort aufweist. Das wäre auf jeden Fall gesünder als ein verkokstes Wochenende in Zürich oder ein Besäufnis auf dem nächsten Kurzurlaub am Villacher Fasching.