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Popkultur

Kommunizieren wir in Zukunft alle nur noch über Emojis?

Die Oxford Dictionaries haben in diesem Jahr ein Grinsegesicht zum „Wort des Jahres" gekürt. Ein weiterer Beweis, dass unsere Hochkultur am Ende ist—oder?

Foto: Jed Record | Flickr | CC BY 2.0

Ich tippe dies mit zitternden Fingern, aber immerhin kann ich noch tippen. Buchstaben zu Worten und Worte zu Sätzen zusammenfügen, um mich meiner Umwelt mitzuteilen. Ich lese gerne. Ich teile mich gerne auf schriftlichem Wege mit und das nicht nur, weil es ganz zufälligerweise auch mein Job ist. Aber mittlerweile habe ich das Gefühl, dass ich damit einer aussterbenden Bevölkerungsgruppe angehöre.

Die Oxford Dictionaries, eine Abteilung der altehrwürdigen Oxford-Universität, hat jetzt zum ersten Mal ein Emoji (das lachende mit den Tränen in den Augen) zum „Wort des Jahres" gekürt und wenn es einen weiteren Beweis dafür gebraucht hat, dass unsere Hochkultur sich dem unausweichlichen Niedergang entgegenschunkelt, dann ist es vielleicht das. Um es mit den Worten der Washington Post zu fragen: Ist die Zeit des Lesens und Schreibens vorbei? Sind wir zurück beim rein visuellen Narrativ, wie damals in der Steinzeit?

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Wenn wir wissen wollen, wo die Kommunikation der Zukunft hingeht, müssen wir natürlich zur jungen Generation gucken. Den Hashtag-Entscheidern der Zukunft. Ein Kollege hat das kürzlich gemacht und Menschen auf der Straße gefragt, warum sie so gerne Emojis benutzen. Die Antwort war ebenso einhellig wie deprimierend: Weil es einfach schneller geht und nicht so anstrengend ist, wie ein Wort zu formulieren. In Anbetracht dessen ist es eigentlich gar nicht mehr so überraschend, dass sich die Oxford Dictionaries gar nicht mehr mit Buchstaben aufhalten, sondern direkt die am meisten genutzten Grinsegesichter auswerten.

Der Vlog hat den Blog abgelöst, zumindest bei den ziemlich jungen Menschen, und wenn Journalisten, insbesondere im Popkulturbereich, jedes Mal einen Euro bekommen würden, wenn ein Leser ein Interview mit „Was Text? Warum nicht Video?!" kommentiert, wir könnten unsere Pension alle zwischen den blattgoldbedeckten Schenkeln wollüstiger Liebessklaven verbringen. Mich macht das so ein bisschen traurig, weil ich es sehr gerne mag, das geschriebene Wort. Lieber in jedem Fall als diese gruselig überzeichneten Emojis, deren Lächeln nie in den Augen ankommt und die mich in ihrer Maskenhaftigkeit manchmal ein bisschen an Uschi Glas erinnern.

Wer schreibt denn überhaupt noch irgendwas, so im Alltag, außer Statusmeldungen, Tweets und E-Mails? Insbesondere abseits eines Touchscreens oder einer Computertastatur? Ich habe mich kürzlich, beim gezwungenermaßen handschriftlichen Verfassen eines Briefes, mit meiner eigenen Handschrift überrascht, weil ich wirklich sehr lange keine längeren Texte mehr aufs Papier gebracht habe. Dabei gehöre ich schon von Berufswegen der schreibenden Zunft an!

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Wie das in der Praxis aussehen kann, wenn Worte durch Bildchen ersetzt werden, kann man sich beispielsweise auf den Twitter-Accounts von Dagi-Bee-Fans angucken. Vielleicht werde ich langsam echt alt, aber so richtig schön ist das nicht. Sind wir zu faul geworden für Sprache? Für das Ausformulieren von Dingen? Erkennt niemand mehr die Schönheit in komplizierten Satzkonstruktionen? Hat denn keiner mehr Lust zu lesen? Von irgendwoher muss es ja kommen, dass selbst etablierte Nachrichtenportale vielen ausführlichen Artikeln eine Kurzfassung (zu viel Text, LOL) voranstellen.

Ich kann ja noch nicht mal behaupten, dass es bei mir (abgesehen von meiner ausgeprägten Emoji-Abneigung) sonderlich anders ist. Man guckt sich ein Zusammenbau-Tutorial an, weil das anschaulicher ist, als eine Bedienungsanleitung zu lesen (diese zynischen IKEA-Zettel gelten nicht. Die helfen niemandem). Man schickt sich Tonaufnahmen über WhatsApp, weil einen das zum einen davon enthebt, stundenlange Telefongespräche führen zu müssen, und zum anderen so viel weniger anstrengend ist als irgendetwas ins Smartphone zu tippen. Außerdem ist es sowieso die absolute Hölle, auf dem Touchscreen längere Texte zu schreiben—egal ob mit oder ohne Autokorrektur.

Motherboard: Welche Emojis sind in welchen Ländern am beliebtesten?

Zusammengefasst weist ziemlich vieles darauf hin, dass die Zeiten der umfangreichen schriftlichen Kommunikation und der Hoheit des Worts über das Bild—zumindest im privaten Bereich—vorbei sind. Jede aktualisierte Smiley-Palette ist eine Newsmeldung. Wenn noch großes Aufheben gemacht wird um Wortneuschöpfungen, dann ist es der pervers anmutende Sprachdurchfall, der zum Jugendwort des Jahres gekürt wird. „Spricht wirklich jemand so oder haben wir uns diesen Begriff nur ausgedacht?", flüstert Jonathan Frakes in meiner Vorstellung jedes Mal mysteriös, wenn sich das Feuilleton wieder das Maul über die Alpha-Kevins und Smombies da draußen zerreißt. Was sie natürlich zu Recht tun. Sprache kann manchmal nämlich auch verdammt hässlich sein. Dann vielleicht doch lieber verzerrte Smiley-Gesichter, die aussehen, als hätte einer von den Simpsons gerade einen Schlaganfall erlitten—oder?

Lisa hat auf Twitter noch kein einziges Mal einen Emoji verwendet. Folgt ihr doch mal.