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Kranker Scheiss aus dem Leben von SBB-Kontrolleuren

"Als ich wieder vorbeikam, holten sie sich gegenseitig einen runter."

Foto von Flickr | David Lytle | CC BY 2.0 Kranker Scheiss passiert bekanntlich in jeder Branche. Sei es bei Zahnärzten, Balletttänzern oder gar Dönerverkäufern. Auch für diesen Text haben wir uns wieder an Leute gewandt, deren Alltag durch verstörende Situationen gesprenkelt wird. Jeder von uns kennt sie, aber kaum einer von uns freut sich darüber, sie zu kennen: Die Rede ist von SBB-Kontrolleuren.

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Wir wissen ja bereits, mit welcher Musik sich die Hüter der Züge durch ihren Alltag schlagen. Aber was bekommen sie in den grauen Stunden eines Sonntagmorgens zu Gesicht, wenn sie pflichtbewusst ihrem Job nachgehen, während du die Welt meist noch durch den schrecklichen Filter deines dröhnenden Kopfes wahrnimmst? Und rechtfertigen diese Vorfälle möglicherweise das grimmige Auftreten vieler SBB-Mitarbeiter?Um diesem Rätsel auf den Grund zu gehen, habe ich mir die Geschichten eines SBB-Kontrolleurs und zwei SBB-Kontrolleurinnen angehört.

Chantal, 29 Jahre:

Ich war im Jahr 2005 etwa sechs Monate lang im Zug tätig. Damals war das letzte Semester meiner KV-Lehre, ich stand kurz vor dem Abschluss. Der Job an sich gefiel mir sehr gut und eigentlich wäre ich nach meiner Lehre am liebsten in diesem Bereich geblieben—aber da ich nur eine Stelle bei den S-Bahnen bekommen hätte, lehnte ich ich ab und suchte mir einen anderen Job. S-Bahnen sind jene Züge, auf denen seltener ein Kontrolleur auftaucht. Darum sind die Passagiere dort immer ein bisschen aggressiver und unfreundlicher als im Fernverkehr. Wahrscheinlich liegt das am Überraschungseffekt.

Natürlich gab es auch im Fernverkehr den ein oder anderen unangenehmen Kunden. Sei es, weil er kein Wort Deutsch sprach und deswegen kein Ticket hatte, sei es, weil er fliessend Deutsch reden konnte und einfach keine Lust hatte, ein Ticket zu lösen.

Auf der Strecke von Zürich nach Bern weigerte sich einmal ein Passagier, eine Busse entgegenzunehmen. Er rechtfertigte sich mit der Begründung, er sei der ghanaische Diplomat Kofi Annan und brauche deshalb kein Ticket. Als ich ihn daraufhin aufforderte, sich auszuweisen, hatte er wenig überraschend keinen Ausweis dabei. Da Möchtegern-Kofi-Annan die Busse trotzdem nicht annehmen wollte, mussten wir die Bahnpolizei in Bern verständigen. Als wir in Bern ankamen, konnte Kofi jedoch entwischen.

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Ein anderes Mal hatte ich einen ganz schön absurden Abend. Es war an einem Freitag und ich war im letzten Zug von Basel nach Zürich. Wie immer am Wochenende floss auch an diesem Abend in den Abteilen viel Alkohol. Als ich die Fahrkarten von ein paar älteren, dunkelhäutigen Männern kontrollierte, bekam ich prompt einen spontanen Heiratsantrag. Der Mann war ganz schön dicht und ich nahm an, er möchte wahrscheinlich nur an meine Papiere ran. Ich schmunzelte also und machte weiter. Als wir in Zürich ankamen und ich die letzte Runde machte, waren die WCs in der Nähe des Abteils meines vermeintlichen Verlobten von oben bis unten vollgekotzt. Diese Ehe fing ja schonmal gut an.

Das Phänomen des grimmigen Zugkontrolleurs scheint international bekannt zu sein | Foto von Flickr | FaceMePLS I CC BY 2.0

Natürlich werden in Zügen nicht nur Alkohol, sondern auch andere Drogen rege konsumiert. Im Dienst habe ich das zwar noch nie gesehen aber privat gab es immer wieder mal solche, die sich am Morgen früh zu den Stosszeiten eine Line zogen. Einmal musste ich einen Typen kontrollieren, der am Sonntagmorgen von Zürich nach Chur fuhr (das ist übrigens die schlimmste Strecke, weil sich auf diesem Zug nur verstrahlte Partywütige und Alkoholleichen befinden). Als er sein Portemonnaie herausnahm, um das Billett vorzuweisen, fielen ihm etwa 30 Fahrkarten aus der Geldbörse. Natürlich dauerte es zuerst seine Zeit bis er die richtige Fahrkarte fand und als er mir sie rüberreichte, war die Hälfte davon für einen Filter abgerissen worden. Der Typ war aber so drauf, dass er das nicht mal gepeilt hat.

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Aber das Verstörendste, was ich während meiner Zeit im Zug erlebt habe, kommt erst noch. Damals hatte der Zug von Bern nach Zürich eine Stunde Verspätung. In der ersten Klasse sassen zwei ältere Herren. Sie waren zwischen 40 und 50 Jahre alt und hatten bereits ganz schön Einen sitzen. Nachdem ich sie kontrolliert hatte, ging ich weiter und dachte mir nichts weiter. Als ich aber noch einmal vorbeikam, sassen beide plötzlich untenrum nackt da und holten sich gegenseitig einen runter. Da wusste ich wirklich nicht, was ich tun sollte. Mein Lernbegleiter gab denen dann den Tarif durch. Genützt hat das aber trotzdem nichts. Kurz vor Zürich hatten sie die Hand immer noch zwischen den Beinen des anderen. Als sie dann in Zürich ankamen, verabschiedeten sie sich voneinander und gingen in verschiedene Richtungen ab.

Albert, 17 Jahre:

Ich bin im ersten Lehrjahr und war gerade sechs Monate als Zugkontrolleur im Fernverkehr tätig. Ich war oft in der italienischen Hälfte der Schweiz unterwegs und hatte gerade in der Zeit der Flüchtlingskreise viel mit Sans-Papiers zu tun. Oft waren Flüchtlinge aus Italien im Zug, die wahrscheinlich nach Deutschland weiter wollten. Bei so einem Fall müssen wir immer die Grenzwache einschalten. Die nehmen sie fest und schicken sie wahrscheinlich zurück.

Kontrolleure werden allgemein oft als herzlos abgestempelt. Aber ich verteile nicht jedes Mal eine Busse, wenn jemand kein Ticket hat. Ich finde, man muss schon ein wenig Menschlichkeit zeigen. Bei einer alten Omi, die vergessen hat, ein Ticket zu lösen, drücke ich schon mal ein Auge zu. Auf der Strecke von Zürich nach Genf Flughafen gibt es auch viele Touristen und Einheimische, die es nicht für nötig halten, ein Ticket zu kaufen. Dort bin ich schon ein wenig netter und gebe nicht jedem gleich eine Busse.

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Foto von Kecko | Flickr | CC BY 2.0

Aber auch alte Leute sind nicht immer nett und höflich. Ein Kollege von mir ist Kosovare und er durfte sich schon einige Male rassistische Bemerkungen anhören. Eine Passagierin hat sogar mal seine Busse abgelehnt und einen Schweizer Kontrolleur verlangt. Hin und wieder wird man aber auch als Schweizer Kontrolleur als "Arschloch" oder "Scheiss-Kontrolleur" beleidigt. Diese Sachen passieren aber vermehrt im regionalen Verkehr, also den S-Bahnen.

In Zügen wird man nicht nur verbal angegriffen, sondern manchmal auch physisch. Ein Kunde wollte einmal eine Freundin von mir schlagen. Er kam in die Kontrolle und hatte keine gültige Fahrkarte. Als sie ihm eine Busse ausstellen wollte, fing er an, herumzuschreien und sie zu bedrohen. Sie versuchte, ihn zu beruhigen, er fing aber an, sie herumzuschubsen und ging auf sie los. Sie rief sofort die Bahnpolizei und der Mann wurde beim nächsten Halt festgenommen.

Melissa, 18 Jahre:

Ich befinde mich gerade in meinem dritten Lehrjahr. Während meiner Zeit bei der SBB war ich etwa 15 Monate lang im Zug tätig. Der Job gefällt mir eigentlich sehr gut. Man trifft die unterschiedlichsten Menschen und wird quasi dafür bezahlt, in der ganzen Schweiz herumzufahren. Das kann interessant aber auch sehr anstrengend sein. Verschiedene Menschen haben eben auch verschiedene Charaktere und somit verschiedene Macken. Und als Kontrolleurin bekommt man die volle Breitseite ab.

Vor allem im Sommer ist die Arbeit im Zug sehr anstrengend: Es ist heiss, die Klimaanlagen fallen ständig aus, alle schwitzen, der ganze Zug stinkt und die Passagiere sind noch genervter als sonst schon. Auch letzten Sommer fiel auf der Strecke von Baden nach Zürich (wie so oft) die Klimaanlage aus und es war unglaublich heiss im Zug. Deshalb entschied sich einer der Passagiere prompt, etwas gegen die Hitze zu unternehmen und zog sich einfach aus. Er legte einen regelrechten Striptease hin, tänzelte in der Gegend herum und liess zum Schluss sogar die Unterhose fallen. Da wir ihn nicht davon überzeugen konnten, sich wieder anzuziehen, fuhr er die ganze Strecke über nackt. Am Zürcher Hauptbahnhof wartete aber schon die Polizei und die hatten überzeugendere Argumente als wir.

Ansonsten war meine Zeit auf dem Zug ziemlich ruhig. Im Allgemeinen bin ich eine kulante Person und versuche, Streit zu schlichten statt ihn zu verursachen. Ich habe aber bemerkt, dass das Dasein als Kontrolleurin mich verändert hatte. Je länger ich im Zug war, desto genervter wurde ich und desto eher wurde ich zur "Jägerin". Mit der Zeit wollte ich fast, dass die Leute etwas falsch machen, damit ich ihnen eine Busse ausstellen kann. In solchen Momenten merke ich, dass mir alles zu viel wird und ich wieder ein paar Monate Abstand von der Arbeit im Zug brauche.

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