Geschichten von einer Zürcher Club-Garderobe
Foto von Kamil Biedermann

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Geschichten von einer Zürcher Club-Garderobe

"Seither kommt er immer wieder vorbei, drückt seine Lippen auf meine und flüstert mir verruchte Dinge ins Ohr. Dabei weiss ich bis heute nicht einmal, was er beruflich macht oder wie alt er ist."

Wir wissen bereits, mit was sich SBB-Kontrolleure, Tierpfleger und Zahnärzte in ihrem Alltag herumschlagen müssen. Der Horror des Arbeitsalltags kommt erst so richtig zum Vorschein, wenn sich dieser in der Nacht abspielt. Menschen vergessen zuerst ihre gesellschaftlich auferlegten Rollen und am Morgen danach, was sie ohne diesen Rollenzwang angestellt hatten. Doch zum Glück gibt es Menschen wie mich: An deinen wilden Wochenendnächten bin ich diejenige, die (meistens) nüchtern in der Garderobe sitzt und deine Besitztümer hütet.

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Neben meinen offensichtlichen Aufgaben (Jacken entgegennehmen, aufhängen und ausgeben) beantworte ich quasi als Auskunft Fragen wie "Wo ist das Männerklo?", "Kann ich bei dir Kokain kaufen?" oder auch mal einfach "Darf ich deine Nummer?". Sollten einmal sogar diese Fragen ausbleiben, versuche ich gerne auch mal anhand deines Verhaltens beim Vorbeigehen zu erraten, welche Drogen du dir geschmissen hast. Hier sind meine Lieblingsgeschichten von der Garderobe.

Der "Schwanzlutscher"

Im Club, in dem ich arbeite, ist es völlig egal, ob du homo, hetero, bi oder queer bist, du an Jesus, Buddha, Mohammed oder Nietzsche glaubst oder deine Eltern Serben, Schweizer oder Kurden sind. Vorurteile werden beim Zücken des Portemonnaies gleich an der Kasse abgegeben und was bleibt, sind Feierlaune und hoffentlich viel Nächstenliebe. Trotzdem schaffen es manchmal Typen rein, die nicht willkommen sind. Die meisten von ihnen finden den Ausgang selbstständig wieder, nachdem sie das erste Schwulenpärchen schmusen sehen. Einzelfälle kommen sich aber bei mir erst auskotzen.

Einmal beschwerte sich einer, dass man in diesem Club gar keine Frauen abschleppen könne, weil alles Lesben seien. "Du Wichser", dachte ich mir, sagte aber, dass er es mit dieser Aussage gerade bei der scheinbar letzten Hetero-Frau hier verbockt habe. Dieser harmlose Kommentar geriet meinem Gegenüber komplett in den falschen Hals. Er fing an, mich und die Leute, die zufällig gerade vorbeigingen, zu beschimpfen. Als er ein "Schwanzlutscher" ziellos in den Raum schrie, dachte ich schmunzelnd: "Ausser den Lesben sind das wirklich viele hier." Doch mit dem Schmunzeln schüttete ich zusätzliches Öl ins Feuer. Er wurde so laut, dass etwa ein Viertel aller Gäste sich entrüstet um ihn scharte. Endlich begriff er, dass er sich zum Affen machte und brauste wutentbrannt davon.

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Vom Fremden geküsst

Da mein Chef und ich uns schon seit Kindesalter kennen, kam er mal mit einem hübschen Mann an der Garderobe vorbei und sagte: "Laura, das ist Frank. Er ist im gleichen Dorf wie ich aufgewachsen." Frank und ich unterhielten uns daraufhin kurz, bis er mich plötzlich fragte, ob er mich küssen dürfe. Seither kommt er immer wieder vorbei, nimmt mein Gesicht in seine Hände, drückt seine Lippen auf meine und flüstert mir verruchte Dinge ins Ohr. Dabei weiss ich bis heute nicht einmal, was er beruflich macht oder wie alt er ist. Ich weiss nur, dass er eine Freundin hat.

Würde sein Kuss nicht so süchtig machen, würde ich ihn ja sofort abschiessen. Nicht nur wegen seiner Freundin, die mir Leid tut, sondern vor allem, weil es an meinem Ego kratzt. Während er es reizvoll findet, jemand Unbekanntes zu küssen, würde er nie die Person dahinter kennenlernen wollen. Muss er ja nicht. Er hat ja eine Freundin, mit der er Dinge unternehmen oder tiefgründige Gespräche führen kann. Ich sollte ihn als das grösste Arschloch des Jahres abstempeln, lasse die Knutscherei aber jeweils hin und hergerissen mit mir geschehen.

Ménage à quatre auf der Toilette?

Foto von Les Chatfield | Flickr | CC BY 2.0

Einmal fragte mich ein junger Mann schüchtern, ob er nach seiner Freundin in der Frauentoilette schauen dürfe. Ich erklärte ihm, dass das mein Chef nicht gerne sehe. Von der Garderobe aus habe ich nämlich die perfekte Kontrolle darüber, wer sich dort hinten aufhält. Der Junge beichtete, dass sie ihm fast den Kopf abreisse, weil sie so spitz sei und wir verloren uns im Gequatsche darüber, dass es in Clubs eigentlich ein Bumsörtchen geben sollte. Gerade für Paare und frisch-auf-der-Tanzfläche-Gefundene wäre das doch besonders attraktiv. Er fragte mich nochmal, ob ich nicht ein Auge zudrücken könne. Oder beide. Es sei ja sowieso gerade niemand drin. Da es mir, abgesehen von meinem Chef, wirklich egal war, tat ich einfach so, als hätte ich ihn nicht hinter der Toilettentür verschwinden gesehen.

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Nachdem bereits einige Mädels aus der Toilette rausgekommen waren, huschten zwei weitere rein. Diese blieben ziemlich lange drin. Womöglich, um sich die Nase zu pudern und eine Line zu ziehen. "Ihr zwei! Sagt doch was … Stören wir?", hörte ich eine der beiden plötzlich fragen. Wieder verging eine Weile. Dann kamen alle vier zusammen raus. Beim Vorbeigehen nickte mir der junge Mann dankend zu, was ich mit einem Zwinkern erwiderte. Wenig später kam das Paar zurück und schob mir eine Zehn-Franken-Note zu.

Der Grapscher

Eine Zeit lang hatten wir einen bestimmten Stammgast. Wenn er im Club war, wünschte ich mich weit, weit weg. Dabei machte er einen so harmlosen Eindruck: Er war klein, hatte lange, braune Locken und einen spanischen Akzent. Er machte viele Komplimente, doch irgendwas an seinem Blick hat mich von Anfang an gestört. Er checkte mich nicht nur kurz ab, wie es andere Gäste tun, er starrte mich regelrecht an. "Ju arr so biutiful", hauchte er jeweils so leise, dass ich es gerade noch knapp hören konnte. Wenn jemand an die Garderobe kam, bewegte er sich kaum vom Fleck—seine dunklen Knopfaugen immer noch auf mich gerichtet. Irgendwann schlich er jeweils davon und war für eine Weile weg, aber ich wusste, dass ich sein Starren noch einige Male aushalten werden müsse.

Eines Vormittags nach Clubschluss sassen alle Mitarbeiter im Fumoir zusammen und tauschten sich aus, wie die Nacht verlaufen war. Eine Kollegin von der Bar erwähnte einen kleinen, "schmierigen" Typen, der sie ständig anstarrte, sodass sie sich nicht mehr auf ihre Arbeit konzentrieren könnte. Da rief eine andere, sie glaube, derselbe Typ hätte ihren Arsch begrapscht, als sie an ihm vorbei hinter die Bar schlüpfen wollte. Er habe sich ihr so in den Weg gestellt, dass sie ihren Körper an ihm vorbeischieben musste.

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Das war's für den Widerling. Seither darf der Typ keinen Schritt mehr durch die Clubtür machen. Trotzdem schaudert es mich noch heute, wenn ich irgendwo jemand Kleines mit braunem Wuschelkopf sehe.

Der verpasste Dreier

Ab und zu kommen Typen bei mir vorbei, die mir ganz gut gefallen. Einer davon fiel mir schon auf, als er seine Jacke abgab. Später kam er nochmals mit seinem Kumpel vorbei und wie sie so nebeneinander standen, konnte ich mich kaum entscheiden, wen ich schöner fand. Der Anblick allein löste bei mir bereits einen unkontrollierten Schweissausbruch aus. "Die sind viel zu schön. Mit denen käme ich eh nie klar", versuchte ich mich zu beruhigen. Erfolglos. Von aussen betrachtet war unsere Begegnung ziemlich nüchtern. Kaum jemand sagte etwas. Als sie die Garderobe und mich wieder hinter sich liessen, musste ich erst drei Mal tief durchatmen.

Stunden später standen sie aber wieder da, um ihre Jacken abzuholen. Wieder tauschten wir nur das Nötigste an Worten aus. Sie verabschiedeten sich. Ich atmete durch. Es vergingen aber nur drei Minuten und sie tauchten wieder auf. Sie fragten mich, ob ich mit ihnen nach Hause käme. "Ja, ja, ja!", dachte ich und machte innerlich einen Freudentanz. "Äh, ich muss arbeiten … ", stammelte ich stattdessen. Wie lange ich denn noch arbeiten müsse, fragten sie. Sie wären nämlich auch bereit, ein bis zwei Stunden auf mich zu warten. "Ja, wisst ihr, ich weiss halt nie wirklich, wann ich hier fertig bin. Es kommt auf die Laune der Leute an", hörte ich mich sagen und hatte es damit so richtig verkackt. Darauf gingen sie nach Hause. Ohne mich.

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