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Warum Krankheiten googlen eine beschissene Idee ist

Sich selbst via Google einer Selbstdiagnose zu unterziehen, mag auf den ersten Blick praktisch erscheinen. Letztlich beschert es euch aber mehr Probleme und Sorgen als ein Besuch beim Arzt.
Titelbild via photopin

Ich werde bald 30. Alt fühle ich mich noch nicht, mein Körper ist da aber mitunter anderer Meinung. Neben kleineren Wehwechen kommen in letzter Zeit Leiden dazu, von denen ich bislang nicht einmal wusste, dass es sie überhaupt gibt. Da wäre zum Beispiel eine Prostata-Entzündung vor gut anderthalb Jahren.

Zu den Symptomen der „Prostatitis" zählt neben einem unangenehmen Ziehen im Unterleib auch, dass beim Samenerguss auch etwas Blut beigemischt ist. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass ich beim Anblick von (eigenem) Blut generell schnell mal wegkippe. Das Bild des eigenen, rötlichen Spermas hat sich so in mein Gedächtnis geätzt, dass es mir beim Gedanken daran jetzt noch kalt den Rücken runterläuft und ich innerlich zusammenzucke.

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Die folgende Nacht verbrachte ich schweißgebadet und hellwach damit, in diversen Internet-Foren nach „Blut im Sperma" zu googeln. Als Mitglied einer Familie, in der fast jeder männliche Verwandte schon die ein oder andere Form von Krebs oder zumindest einen Tumor hatte, war ich davon überzeugt, dass es sich hier nur um etwas Lebensbedrohliches handeln müsste. Meine Gedanken kreisten darum, wie es sein würde, vom Arzt die vernichtende Diagnose gestellt zu bekommen.

Bei mir verläuft eine Krankheiten-Suchanfrage in mehreren Phasen: Zunächst sehe ich mich auf Medizin-Ratgeber-Webseiten um, die selbst bei den seltsamsten und furchteinflößensten Symptomen meist beruhigende Worte finden. In einer Mischung aus Neugierde, Quellenskepsis und Hypochondrie bohre ich mich danach immer tiefer in die Eingeweiden von Medizin-Foren, um schließlich Menschen zu finden, die mindestens so im Arsch sind und so viel Angst haben wie ich selbst.

Sich selbst via Google einer Selbstdiagnose zu unterziehen, mag auf den ersten Blick ja praktisch erscheinen und wirkt ähnlich komfortable wie via Tinder den Fuckbuddy fürs nächste Wochenende zu finden oder per App zu erfahren, wie man seinem Facebook-Nemesis gekonnt aus dem Weg geht. Letztlich bleibt aber irgendwie das Gefühl, dass technologiefeindliche Hippies doch recht haben und uns das Internet—in Kombination mit Smartphones—in moralisch und intellektuell verwahrloste Vollidioten verwandelt. Vielleicht aber auch nicht und Gesundheits-Internetforen und Webseiten sind nur der erste Schritt in eine glorreiche Zukunft, in der dir nicht mehr dein Arzt, sondern dein Badezimmerspiegel sagt, dass du Krebs hast und deshalb bald sterben wirst.

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Während Letzteres aktuell noch als Science-Fiction durchgeht, ist zumindest die Beliebtheit solcher Ratgeber-Webseiten längst Wirklichkeit. Ich habe bei netdoktor.at, einer der größten Medizin-Ratgeber-Webseiten, um Statements gebeten und bekam prompt von Dr. Ludwig Kaspar, Facharzt für Innere Medizin, der sich auf Kardiologie und Diabetologie spezialisiert hat und zuvor stellvertretender Generaldirektor des Wiener Krankenanstaltenverbundes war, einige Antworten retour.

Laut Dr. Kaspar werden alle Infos zu Erkrankungen, Diagnosemethoden und Behandlungen vor der Veröffentlichung von externen medizinischen Fachleuten auf ihre inhaltliche Richtigkeit geprüft.

„Das garantiert höchste medizinische Qualität. Die Redaktion bereitet die Inhalte für den Laien verständlich auf", sagt Dr. Kaspar. Am Beispiel von Kopfschmerzen erklärt er den Ablauf so: Der Text wird von einem Netdoktor-Redakteur verfasst und vor der Veröffentlichung von einer Neurologin–in diesem Fall der Leiterin der Neurologie am Sanatorium Hera Wien–auf seine inhaltliche Richtigkeit geprüft. Unter dem Text werden die verwendeten Quellen angegeben und das Datum der letzten Aktualisierung ist dort zu finden. Außerdem ist Netdoktor.at HONcode-zertifiziert. Dabei handelt es sich um den ältesten und am meisten benutzten ethischen Verhaltenskodex für die Veröffentlichung von medizinischen Informationen im Internet.

Dr. Kaspar ist aber dennoch der Meinung, dass eine Online-Recherche niemals den klassischen Arzt-Besuch ersetzen kann: „Der Vorteil einer selbständigen Recherche im Internet ist, dass die gebotene Information hilft, den User zum mündigen Patienten zu machen. Zudem erhalten User Informationen zu ‚intimen' Themen, zum Beispiel Hämorrhoiden. Das hilft, die Hemmschwelle herabzusetzen. Der Nachteil ist aber, dass trotz unserer Hinweise, dass Netdoktor den Arztbesuch nicht ersetzen kann, es passieren kann, dass Menschen eine Selbstdiagnose stellen, anstatt medizinische Fachleute zu konsultieren."

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Motherboard: Die graueste Zone des Darknets: Medikamentenhandel in der „Lifestyle-Apotheke".

Usern von Netdoktor eine individuelle Beratung via Internet anzubieten, sei laut Dr. Kaspar außerdem nicht geplant. „Wir verstehen unser Angebot als zusätzliche Information. Eine Recherche auf Netdoktor kann den Arztbesuch aber in keinster Weise ersetzen."

Doch zurück zu meinem Blut-im-Sperma-Problem: Als ich am Tag darauf völlig fertig in das Behandlungszimmer des Urologen torkelte, war ich unglaublich erleichtert darüber, dass es sich nur um eine Entzündung der Prostata handelte. Ich war so glücklich, dass es mir völlig egal war, dass mir der Arzt den Finger in den Arsch gesteckt und an meiner schmerzenden, entzündeten Prostata herumgetastet hatte.

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass die Selbstdiagnose via Google—zumindest für mich, aber ziemlich sicher auch für die meisten anderen—eine beschissene Idee ist. Sie hat so viel Aussagekraft wie eine Astrologie-Kolumne, die dir so richtig den Tag versauen will und so viel aussagt wie: „Venus und Saturn stehen aktuell auf fuck you. Du wirst bald sterben, also finde dich am besten schon mal damit ab." Lasst euch meine nervenaufreibenden Odysseen durch die Weiten des Internets also eine Lehre sein und geht einfach zum Arzt.


Titelbild: King George Military Hospital, 3rd floor theatre, Dr. Barrington Ward and Dr. Lillian via photopin (license)