Lässt sich der Fotograf Tyler Shields von anderen Künstlern nur inspirieren oder kopiert er sie dreist?

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Lässt sich der Fotograf Tyler Shields von anderen Künstlern nur inspirieren oder kopiert er sie dreist?

Der „beliebteste Fotograf Hollywoods" scheint sich verdächtig oft bei anderen zu bedienen. Ist der Vorwurf wirklich gerechtfertigt?

Linkes Foto: Tyler Shields, 2010; rechtes Foto: Terry Richardson, 2005

Tyler Shields ist ohne Zweifel ein sehr erfolgreicher Mensch. So wurde er schon als der „beliebteste Fotograf Hollywoods" bezeichnet und in einem GQ-Profil aus dem Jahr 2012 heißt es, dass „großkotzige Hollywood-Produzenten früher noch Banksy-Kunstwerke über ihren Pseudo-Kaminen hängen haben wollten. Heute sind jedoch nur noch Shields' herrlich verdrehten Fotografien gefragt." Laut einem Vertreter von Guy Hepner (eine Galerie, die Shields' Arbeiten verkauft), bringt ein Bild des Fotografen zwischen 5.000 und 15.000 Dollar ein. Shields selbst hat auch schon behauptet, dass für seine Werke sogar bis zu 175.000 Dollar hingeblättert werden. Der Künstler hat bereits eine ganze Reihe an Celebritys fotografiert—darunter Lindsay Lohan, Aaron Paul und Demi Lovato—und seine Arbeiten wurden schon auf der ganzen Welt ausgestellt.

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Dieser Erfolg ist allerdings doch etwas überraschend, wenn man bedenkt, dass jeder Mensch mit nur ein bisschen Ahnung von der Geschichte der Fotografie gleich erkennt, dass viele von Shields' Bildern denen anderer Fotografen doch sehr ähnlich sehen. Und dabei handelt es sich nicht mal um unbekannte Fotografen—viele von Shields' Aufnahmen haben eine verblüffende Ähnlichkeit mit den Arbeiten einiger der berühmtesten Fotokünstler aller Zeiten.

Linkes Foto: Tyler Shields, 2011; rechtes Foto: Guy Bourdin, 1979

Dabei dreht es sich gar nicht mal ausschließlich um einzelne Fotos. So veröffentliche Tyler Shields eine Bildreihe von Models, die vom Himmel fallen—und das Jahre nachdem Ryan McGinley das Ganze zu einem seiner visuellen Markenzeichen gemacht hat. Auch Shields Serie von Retro-Americana-Fotos mit strahlend blauem Himmel als Hintergrund kam erst fünf Jahre, nachdem sich Alex Prager diesen Stil angeeignet hatte. Und dann haben wir noch Shields' Fotos von Lippen, die doch sehr an die Arbeiten von Rankin und Marilyn Minter erinnern.

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Natürlich könnte man das Ganze jetzt auch als „kreative Inspiration" ansehen, aber soweit ich weiß, hat Shields noch nie in irgendeiner Art und Weise verlauten lassen, dass seine Bilder von den Werken anderer Künstler beeinflusst sind. In einem Interview wurde der Fotograf sogar direkt gefragt, was ihn inspirieren würde. Seine Antwort: „Ich zeige den Leuten einfach nur gerne, wie ich die Welt sehe. Für mich ist es wichtig, meine Umgebung zu erforschen und mich davon inspirieren zu lassen. Andere Künstler sind mir dabei nicht wichtig, sondern nur die Welt." In einem anderen Interview wollte man von Shields wissen, ob Terry Richardson für ihn eine Inspiration sei. Darauf antwortete er: „Um ehrlich zu sein, schaue ich mir die Werke anderer Künstler gar nicht an. Ich weiß nur, wer Terry ist, weil ich schon oft gefragt wurde, ob ich seine Arbeiten mag."

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Linkes Foto: Tyler Shields, 2015; rechtes Foto: Henry Leutwyler, 2012

Henry Leutwyler, der das rechte obere Foto der Ballerina-Füße geschossen hat, nutzte bereits Instagram, um Shields öffentlich zur Rede zu stellen. „Sein Foto war mir zwar bekannt, aber als dann auch noch Unternehmen wie Hasselblad oder Nowness damit anfingen, es zu promoten, musste ich einfach handeln", erzählte mir Leutwyler. „Ich empfand es als nötig, mein Werk zu verteidigen. Genau das habe ich dann auch gemacht." Shields hat sich zu diesem Vorfall nie geäußert.

Was Leutwyler scheinbar am bittersten aufstieß, war die Tatsache, dass Shields zu seinem Foto eine ganze Hintergrundgeschichte postete. Darin behauptet er, dass ihm die Idee schon vor Jahren gekommen ist:

„Ich habe mich 2009 zum ersten Mal an diesem Foto versucht, war aber mit dem Ergebnis nicht zufrieden. 2011 kam dann der zweite Versuch, aber das Foto war wieder nicht zufriedenstellend. Deshalb legte ich die Idee erstmal auf Eis und hoffte einfach darauf, dass es irgendwann klappen würde. Immer wenn ich mit einer Ballerina zusammenarbeitete, wollte ich ihre Füße sehen. 2014 fotografierte ich dann für ein anderes Ballett-Projekt und traf dabei endlich jemanden, der mich meiner Meinung nach der Ballerina vorstellen würde, mit der ich das Bild genau nach meinen Vorstellungen schießen könnte. Nach sechs Jahren wurde mir dann auch klar, dass die Aufnahme mit einer Hasselblad-Kamera das Ganze noch mal auf ein ganz anderes Level brachte. Die Wartezeit war es also wirklich wert."

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Leutwyler meinte mir gegenüber, dass sich diese Geschichte „falsch" anfühlen würde.

„Er meint, dass es Jahre gebraucht hat, um dieses Foto richtig hinzubekommen. Ein solches Bild ist jedoch dokumentarisch und sollte nicht gestellt sein", erklärte mir Leutwyler. „Ich habe mein Foto geschossen, während ich für ein Buch über das New Yorker Ballett hinter den Kulissen einer Aufführung gearbeitet habe. Auf meinem Bild sind echte Ballerina-Füße nach einem richtigen Auftritt zu sehen. Letztendlich handelt es sich dabei um eine ziemlich spontane Aufnahme."

Linkes Foto: Tyler Shields, 2014; rechtes Foto: Sally Mann, 1989

Picasso hat (möglicherweise) mal gesagt: „Gute Künstler kopieren, große Künstler stehlen." Ist Tyler Shields also ein großer Künstler? Genau diese Frage habe ich Paddy Johnson, einer Kunstkritikerin, Gründerin von Art F City und Kunstdozentin an Universitäten wie Yale, Rutgers oder Parsons, gestellt.

Ihrer Meinung nach ist Shields Nachahmung von anderen Werken nicht das größte Problem seiner Fotos. „Der Knackpunkt bei den Arbeiten von Tyler Shields ist nicht so sehr die Tatsache, dass er sich anderer Künstler bedient—auch wenn man sich das jetzt nicht gerade als künstlerisches Ziel setzen sollte. Ich sehe das Problem eher darin, dass bei seinen Entwendungen der einzigartige Blickwinkel des Originals mit billigen Schock- und Nostalgie-Maschen ersetzt wurde", schrieb sie mir per Mail.

„Nehmen wir doch mal die Sally-Mann-Kopie [oben abgebildet] als Beispiel: Das Original geht einem aufgrund des trotzigen Blicks des Mädchens mit der Zigarette nicht mehr aus dem Kopf", meinte Johnson. „Sie ist zwar noch nicht erwachsen, aber trotzdem an einem Punkt in ihrem Leben angekommen, an dem man bereits erkennen kann, wer sie später einmal sein wird. Bei dem Foto hat man den Eindruck, als ob dieser Punkt etwas zu früh gekommen ist. Shields' Bild ist hingegen kein bisschen authentisch, sondern von vorne bis hinten gestellt. Man sieht nur ein posierendes Kind, während im Hintergrund zwei Frauen lüstern in die Kamera blicken. Sollen diese Frauen das darstellen, was mal aus dem Mädchen werden wird, oder sollen sie nur das Foto ausschmücken? Shields nimmt sich auf jeden Fall ein unglaublich eindringliches Kunstwerk als Vorlage und verwandelt das Ganze in ein kitschiges Postkartenmotiv."

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„Mir fällt wirklich keine dümmere und beleidigendere Interpretation des Originals ein", fügte Johnson abschließend hinzu.

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Um noch mal eine Sache klarzustellen: Ich kann keine tatsächlichen Beweise dafür vorbringen, dass Shields seine Ideen bei anderen Künstlern zusammenklaut. Ich habe jetzt aber schon eine ganze Reihe an Beispielen gefunden, wo die Ähnlichkeit wirklich frappierend ist. Es folgen nun einige dieser Beispiel, damit ihr euch selbst ein Bild machen könnt. Vielleicht liest sich Shields diesen Artikel auch zufällig durch und denkt sich dann nur: „Oh, scheiße!" Auf meine Bitte zu einer Stellungnahme hat der Fotograf übrigens nicht reagiert.

Linkes Foto: Tyler Shields, 2014; rechtes Foto: Helmut Newton, 1982

Linkes Foto: Tyler Shields, 2014; rechtes Foto: Diane Arbus, 1966

Linkes Foto: Tyler Shields, 2015; rechtes Foto: Irving Penn, 1986

Linke Fotos: Tyler Shields, 2009; rechte Bilder: Screenshots von Vimeo aus dem Video „We Are All Made of Stars" von Moby, 2002

Linkes Foto: Tyler Shields, 2014; rechtes Foto: Annie Liebovitz, 1984

Linkes Foto: Tyler Shields, 2015; rechtes Foto: Helmut Newton, 1975

Linkes Foto: Tyler Shields, 2015; rechtes Foto: Helmut Newton, 1967 (Newtons Foto scheint von Hitchcocks North by Northwest inspiriert worden zu sein)

Linkes Foto: Tyler Shields, 2015; rechtes Foto: Yeah Yeah Yeahs Single-Cover, 2009

Linkes Foto: Tyler Shields, 2013; rechtes Foto: Ryan McGinley, 2007

Linkes Foto: Tyler Shields, 2013; rechtes Foto: Ryan McGinley, 2007

Linkes Foto: Tyler Shields, 2011; rechtes Foto: Roberta Bayley, 1976

Linkes Foto: Tyler Shields, 2012; rechtes Foto: Nick Veasey, 2008

Linkes Foto: Tyler Shields, 2012; rechtes Foto: Nick Veasey, 2010

Linkes Foto: Tyler Shields, 2015; rechtes Foto: Larry Clark, 1968

Linkes Foto: Tyler Shields, 2015; rechtes Foto: Terry Richardson, 1998