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​Leben wie Dominique Strauss-Kahn

Der ehemalige IWF-Chef soll Orgien veranstaltet haben. Ich wollte wissen, wie er sich dabei gefühlt hat und habe eine nicht ganz original römische in Cottbus besucht.

Dominique Strauss-Kahn, Ex-IWF-Chef und 2012 noch sozialistischer Anwärter auf den französischen Präsidentenposten, hat heute vor Gericht ausgesagt. Seiner Darstellung nach ist er unschuldig—und die Sex-Partys sollen nicht so wild wie von den beteiligten Damen beschrieben gewesen sein. Ihren Angaben zufolge wurden wilde Orgien gefeiert, bei denen DSK auch als Zuhälter agierte. Und das ist in Frankreich, im Gegensatz zur freiwilligen und selbstständigen Prostitution, verboten. In über 40 Ordnern, gefüllt mit Aussagen von Prostituierten, soll er als 65-Jähriger „mit einem außergewöhnlichen sexuellen Appetit" und einer „Vorliebe für Sexualkontakte ohne Kondom" beschrieben werden, der teilweise mit acht oder neun Frauen gleichzeitig zu Gange war. Der Angeklagte gab vor Gericht zu Protokoll, er habe nicht gewusst, dass es sich bei seinen Gespielinnen um Käufliche gehandelt haben soll. Falls er nun mit einem Dutzend anderen, teils als rassistisch und gewalttätig beschriebenen Männern der „bandenmäßigen Zuhälterei" schuldig gesprochen wird, so drohen ihm zehn Jahre Haft und eine Geldstrafe von bis zu 1,5 Millionen Euro.

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Natürlich wollten wir wissen, wie eine richtige Orgie abläuft und ob es sich lohnt, dafür über seine ausgefallenen und vielleicht illegalen sexuellen Vorlieben auf dem Höhepunkt seiner Karriere zu stolpern (bzw. in DSKs Fall wohl eher massiv auf die Fresse zu fallen). Während einem meiner zahlreichen Besuche auf der Venus, Europas größter Sex-Messe, wurde ich intensiv von nicht mehr ganz jungen, aber sehr „niveauvoll und gepflegt" (beides sehr strapazierte Begriffe in der Swinger-Szene; sie bedeuten, glaube ich, sowas wie „geschminkt mit dünnen Augenbrauen, intimrasiert, mit vom echten Friseur eingefärbten Strähnchen in der praktischen Kurzhaarfrisur") wirken wollenden Damen intensiv bearbeitet, mir „Schloss Milkersdorf", einen „Premium Sexclub" in einem Dorf bei Cottbus mal anzuschauen. Es gäbe dort auch „Römische Orgien", wurde ich versucht zu locken:

„Orgien im alten Rom…" - Geprägt von Lust & Völlerei… von Musik, Tanz & Spielen.. aber auch von Exzessen & Grausamkeiten. Wir bringen Euch die lustvollen Dinge dieser Zeit zurück und feiern mit Euch eine Orgie der ganz besonderen Art! Taucht für diese Nacht in eine andere Zeit und erlebt die schönen Seiten des alten Rom. Wir führen euch durch eine Zeitreise der LUST & LEIDENschaft. In diesem Sinne… „carpe noctem"…

Werbetext für die „Römische Orgie "auf Schloss Milkersdorf, nach eigener Aussage „Deutschlands bestem Swinger-Club "

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Aktiv wurde ich angeworben, „Solo-Damen" seien immer willkommen, und in den Eintrittspreisen um die 90 Euro sei schließlich „Buffet" und „freies Trinken an der Bar" inklusive. Von „Buffets und Champagner" war auch in den Anklageakten von DSK die Rede, die Prostituierte „Jade" beschrieb die Treffen im Hotel als „durchaus niveauvoll". Höchste Zeit also, sich am späten Samstagnachmittag, mit ein paar Alkopops, einem Haar-Einsteck-Eichenkranz, einer Tunika und einem Gladiatorinnenkostüm ausgestattet, von Berlin aus in den Regionalexpress nach Cottbus zu setzen und zu überprüfen, was auf einer Motto-Party namens „Römische Orgie" im Premium-Swinger-Segment so abgeht. Um 20:30 Uhr war die Abfahrt eines Reisebusses vom Treffpunkt-Hotel aus angesagt. Der 20-minütige Shuttle-Service kostete nur 20 Euro, was angesichts der Eintrittspreise von 90 Euro für „Solo-Römerinnen" und 185 Euro für „Paare und Solo-Römer" dann ja auch wieder irgendwie verhältnismäßig war.

Vor dem Hotel und in der Lounge warteten schon rund 20 Paare, die ihre RömerInnenkostüme in Reisetaschen verstaut hatten, nur wenige der Mittdreißiger- bis Mittfünfziger-Damen ließen schon Bein unter den Togas und Tuniken erahnen, straßbesetzte weiße Nuttenschuhe blitzen. Irritierend dazu wirkten die („gepflegten"?) praktischen Kurzhaarschnitte der meisten Römerinnen, auch die eifrig eingesteckten Lorbeerkränze aus dem Karnevalsbedarf ließen sie kaum römischer anmuten. Ich selbst hatte einiges an Zeit und Mühe investiert, um dem antiken Frauenideal mit kunstvoll hochgestecktem, auf heißen Wicklern aufgedrehtem Haar, dekoriert mit einem bronzenen Eichenhaarkranz, Armreifen, großen goldenen Creolen und einer immerhin in Athen erstandenen Designer-Tunika nahezukommen.

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Während der Busfahrt war das Hauptgesprächsthema das Programm der Nacht: neben „GladiatorInnenkämpfen" sollte es auch einen „SklavInnenmarkt" geben, ein „Tanz-Separée" und „Atrium", in dem man sich dem „Imperator" anbieten konnte und dann gab es noch ein kompliziertes Spielgeldsystem, mit dem alle nicht so recht klar zu kommen schienen. Mann und Frau konnten sich Spiel-Sesterzen durch Palmwedeln, Tanzen oder das Anbieten von Massagen und sexuellen Dienstleistungen im „Badetempel" erarbeiten, um sich dann später Sklaven oder sexuelle Dienstleistungen kaufen zu können. Da es aber ohnehin eine Swinger-Motto-Party war, verstanden viele nicht, was das Spielgeld denn sollte. Später stellte sich heraus: auch der „Imperator" und sein Zahlmeister, ein langhaariger „Numerus", waren mit ihren eigenen Spielgeld-Regeln überfordert.

Die Accesoires der Nacht

Wären einige Paare nicht so vertraut miteinander umgegangen und wäre es in allen Bus-Gesprächen nicht um Sex oder Asterix gegangen, so hätte es niemanden verwundert, wenn Rotkäppchen-Piccolos verteilt worden wären und die Ansage des Busfahrers „Die ostdeutsche Karnevalistengruppe wird gleich begrüßt vom Site-Manager des Heidepark Soltau" gelautet hätte. Um Punkt 21 Uhr erreichten wir ein hübsches dörfliches Einfamilienhaus, vor dessen Eingang ein Feuerspucker performte und die mittelalten Paare in wetterfester Reisekleidung anstanden. Neben über 50 Paaren hatten sich auch sechs „Solo-Römer" angemeldet, ich war die einzige „Solo-Römerin". „Wenn du jetzt nicht mitmachen willst, verstehen wir das, dann nehmen wir deine Reservierung zurück und du musst nicht mitmachen, aber wir haben über 50 Paare, also auch genau so viele andere Frauen dabei" erklärte mir die Zahlmeisterin, die nicht römisch, aber wie eine junggebliebene Puffmutter (weißblonder Kurzhaarschnitt), die schon alles gesehen hat, wirkte. Klar gab es für mich kein zurück. Wohin denn auch— zurück nach Cottbus, wo nur wenige rauchende junge Mütter Bahnhofsimbisse bevölkerten und der Rest der Stadt wie ausgestorben wirkte? Bewusst hatte ich nicht in das vom Veranstalter „Eroluna" empfohlene Cottbusser Kongreß-Hotel, sondern in ein billigeres eingecheckt—nichts kam mir gruseliger vor, als die vögelnden verkleideten Fremden der Nacht dann in praktischer Wochenendkleidung beim Frühstücksbuffet wiedersehen zu müssen. Aber zurück— Nein!

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Ich empfing fünf Plastik-Sesterzen und den Schlüssel für mein Schließfach. Zunächst hieß es Anstehen für den Umkleide- und Schließfachbereich. Die meisten hatten auf weiße, bettlakenartige Tuniken aus der Faschingsabteilung der Kaufhäuser gesetzt, ich stach mit meiner schwarzen Satin-Tunika, den unter ihr versteckten Riesenwedges und der antiken Hochsteckfrisur massiv aus der eher kleinen und tendenziell pummeligen Damenschaft heraus. Zudem schien meine Attitude „ich mach hier nix, und wenn, dann höchstens mit dem ‚Imperator'" Männer wie Frauen magisch anzuziehen. Von überall wurde ich begutachtet und von beiden Geschlechtern angezwinkert. Ich glaube, dass die Profi-Swinger mich ziemlich schnell als Novizin und „Solo" identifizierten. Ich, das auch in der polyamourösen Szene heiß begehrte „Einhorn".

Outfit Nummer eins

Beim Umkleiden war einem hübschen dicken Mädchen ein Po-Straps gerissen, ihr ebenso moppeliger wie putziger Freund mühte sich tapsig, ihn zu reparieren. „Na, ob die Römer sowas denn schon kannten?" eröffnete ich das Gespräch, beide lachten. Als ich fachkundig bemerkte, dass der Straps nicht ohne Nähen zu reparieren sei, eilte eine komplett gesichtsgepiercte Angestellte mit Nadel und Faden herbei und reparierte. Das süße Paar strahlte happy. Gemeinsam ging es rein in die auf ca. 35 Grad überhitzte Stube, die tatsächlich wie ein schönes— edles!—englisches Clubhaus wirkte, in dem man gerne mit Prince Harry, Kate Moss, Pete Doherty und besten Freunden eine wilde Party ohne verordneten Orgienansatz gefeiert hätte.

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Im „Atrium", einem grün gestrichenen Kaminzimmer mit Palmen, dessen Boden mit Matratzen und Kissen, gerahmt von schweren Ledersofas, bedeckt war, lag auch schon der „Imperator", ein glatzköpfiger Mann Mitte 40, aus Süddeutschland und der Gastronomie kommend. Veranstalter und Chef der Event-Company „Eroluna". Eine Dame mit schweren Naturbrüsten bepalmwedelte ihn, Paare lagen um ihn herum, bei einigen Herren lugten Ständer aus Tunika-Schlitzen oder hochgerutschten Togas keck heraus.

Ich brauchte Kraft für diese Nacht: zunächst ging es ans Buffet, das bei DSK sicherlich edler, doch auch hier genießbar war. Parmaschinken und Melone, Makkaroni, halbe Eier mit Kaviarersatz, Weißbrot mit roséfarberner Mayonnaise-Crème und zwei Spanferkel wurden geboten. Man aß an Stehtischen, Getränke wurden vom aufmerksamen Servicepersonal in Polohemden nach Wunsch gereicht. Erste Solo-Römer versuchten Kontakt zu mir aufzunehmen, ich sprach über meine bisherigen Erfahrungen in einem Swinger-Club und alle versicherten mir, dass es hier auf Schloss Milkersdorf ungleich edler, hygienischer und niveauvoller zugehen würde als in Berlin.

Bei Numerus erstand ich für meine fünf Plastik-Münzen einen dünnen Armreif, der mir den Eintritt in alle Gemächer ermöglichte. Zunächst schritt ich zum Imperator, der in der Zwischenzeit auf einem Plastikthron mit einer lustigen Rede das Fest eröffnet hatte. Er wies mir plangemäß einen Platz an seiner Seite zu und hieß mich „blankzuziehen" woraufhin ich—Dank meines Lateinlehrers auch in griechischem Versmaß geschult—in einem wilden Mix aus Jamben, Daktylen und Hexametern antwortete, dass ich in Alexandria und Athen studiert hätte und Geld für die Kunst der schönen Rede zu erhalten pflegte. Und meine Pracht wenn dann nur für den Imperator, ohne das lüsterne Fußvolk anbei, zu präsentieren gedachte. Schon warf mir der amüsierte Imperator eine Handvoll Taler zu, während die Frau mit den heraushängenden Riesenbrüsten (und einem irritierenden quadratischen Kassenbrillengestell) für nur einen Taler 30 Minuten palmwedeln musste.

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Mit neuer Kohle ausgestattet, checkte ich den im Keller gelegenen Badetempel, eine saubere, in schlichtem Granit gehaltene Wellness-Area, die sich genauso in Boutique-Hotels finden lässt. Ein Paar duschte, ein anderes war in der Sauna, auf heißem Stein ließ sich eine Frau von zwei Männern den Rücken massieren. Zwei Stockwerke höher sah es schon anders aus: die Luft roch nach Sex, nicht nach Schweiß; zum ersten Mal fühlte mein Körper massive Hormonkonzentration in der Luft. Auf mehreren Himmelbetten, in kleinen Kojen und Nischen, in einer Dusche und auf einem aus festem Leder nachgebauten gynäkologischem Stuhl hatten sich die ersten Paare an die Sache gemacht, die Beleuchtung war angenehm, das Vögeln jedoch uninspirierend. Mann oder Frau oben, nix besonderes, kaum jemand fasste paarübergeifend an, inszenierte schöne Bilder aus Körpern oder machte gar bei Fremden Ausgefallenes mit. Nix mit Double Penetration, nix S/M, nix alle Löcher stopfen, keine Rollenspiele, kein Drogenkonsum von Geschlechtsteilen der anderen. Auch kein Lutschen, weder Tittenfick noch Analverkehr—alle praktizierten, brav nebeneinander auf den großen Betten liegend, den Samstagabend Reiter- oder Missionar. Also: ganz die klassische römische Orgie nachspielend— denn im alten Rom bedeutete „Orgie" mitnichten „alle mit allen", sondern eher so etwas wie Live-Porno in den Zeiten vor Erfindung des Films. DSKs Idee von Orgie war demnach wohl eher die imperatorlastige Version: acht, neun Frauen und ein Mann—das gab es in antiker Zeit nur für den Kaiser und andere hoch stehende Herren.

Outfit Nummer zwei.

Die laute, heisere Stimme des hiesigen Imperators rief zum „Gladiatorenkampf" an der Open Bar im Untergeschoss. Den ersten Kampf der Männer verpasste ich, da ich von schwarzer Tunika in goldenes (in Goa erstandenes Hippie-Wildleder-) Gladiatorinnenkostüm wechselte. Stellte mich zur Wahl zum Frauenkampf, der aber zwischen zwei, exakt die gleichen Fitnesskurse besuchenden, jungen Frauen abgesprochen schien. Ein wenig wurde gerangelt und gejohlt, als sich die beiden schwarzgefärbten ostdeutschen Girls auf dem Parkettboden niederrangen. Einige Anmachen interessierter Herren wehrte ich ab, „die Nacht ist ja noch jung" flüsterte ich stets. Zwei Drinks an der Bar mit lockeren, aber uninteressanten Kontaktversuchen mittelalter Herren später, war es dann auch Zeit für den Sklavenmarkt, ein nicht schlecht aussehender Jungscher bat mich, ihn als Sklaven auf dem Markte feilzubieten. Einen Zettel, auf dem die Dienstleistungen des Sklaven angepriesen wurden, hatte der Verkäufer auszufüllen, dieser wurde dem Sklaven umgehängt und vom Imperator auf der Auktion vorgelesen. Meinen nannte ich mit seinem Einverständnis—und nachdem er mir seinen halberigierten Penis ungefragt präsentierte (unter großem Gekicher meinerseits) „Clitorius Extaticus Maximus" und dann gelang es mir durch tolles Feilbieten tatsächlich, den Höchstpreis von 55 Sesterzen für ihn zu erzielen, die mir Zahlmeister Numerus dann auch sofort ins Dekolletee ausschüttete. Die Dame mit den Riesennaturbrüsten hatte einen schlechten Verkäufer, sie erzielte nur fünf Sesterzen auf der Auktion. Sie knutschte dann mit dem Imperator, der sie erstanden hatte.

Plötzlich traf ich einen Bekannten samt Ehefrau, lustigerweise einen ehemaligen Chef von mir. Die beiden sind cool und wollten einfach nur den hedonistischen Aspekt der Orgie, ebenfalls inspiriert von DSK, ausloten. Ihr Anliegen war mitnichten, sich mit fremden Leuten wild und ohne Not in der Öffentlichkeit zu paaren. Wir plauderten ein wenig über die Stimmung im Club—für uns leider ziemlich unsexy, trotz engagierter Paare in den oberen Räumen – und dann schnell über den neuen Houellebecq, all unser neues Lieblingsbuch. Und natürlich über die darin beschriebenen Sex-Szenen, was uns einfach als Menschen des Wortes klassifizierte—denn wir fanden die Sex-Passagen in Unterwerfung allesamt deutlich anregender als den gelebten Live-Porn im Obergeschoss.

Gegen drei Uhr morgens waren die meisten Paare fertig mit ihrem Treiben, viele Gesichter traf man dann an der Bar wieder, von der Liebe waren sie noch rot. In der oberen Etage wurde die Stimmung deutlich trauriger: die vor allem älteren Solo-Römer saßen bekleidet herum; es war ihnen anzumerken, dass die Nacht voll Hoffnung begonnen hatte, aber nun in Enttäuschung endete. Ab 3:15 Uhr waren die Umkleiden voll mit aufs Niedlichste beglückt wirkenden Paaren. Der Shuttle-Bus kam pünktlich um 3:30 Uhr und lieferte mich und die Reisegruppe wieder in Cottbus ab. Wäre ich die französische sozialistische Präsidentschaftskandidatin gewesen und über so eine Art der Orgie gestolpert, so hätte ich bis ans Ende meiner Tage nichts weiter tun können als mich zu bedauern.