So interpretieren Künstler die Liebe

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So interpretieren Künstler die Liebe

Rachel Stern hat fast 50 Künstler gebeten, das Konzept der Liebe zu visualisieren.

Was für Bilder hast du vor Augen, wenn du an Liebe denkst?

Es ist gar nicht so einfach, diese vermeintlich einfache Frage konkret zu beantworten. Stellst du dir gerade eine Geste vor wie auf diesem Bild von Elliot Erwitt, die quasi eine Essenz dieses Gefühls verkörpert? Oder ist es doch etwas Simpleres wie ein Screenshot einer Textzeile oder ein schmalziges Instagram-Gedicht? Oder geistert dir vielleicht so etwas wie das Bild hier oben mit den Rosen durch den Kopf?

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Künstlerin und Kuratorin Rachel Stern ist es gewohnt, diese Frage zu stellen, und hofft damit in ihrer Ausstellung LOVE 2016, die momentan in der LeRoy Neiman Gallery an der Columbia University läuft, zumindest an der Oberfläche des Themas kratzen zu können. Die Gruppenausstellung umfasst knapp 50 Künstlerinnen und Künstler, die sich alle mit den Vorstellungen von Liebe und Eros auseinandersetzen. Sie ist als eine Art Stimmungsbild über die verschiedenen Erscheinungsformen gedacht, die Liebe heute hat. Stern hofft, sich dadurch einer Vorstellung darüber anzunähern, wie Liebe heutzutage definiert wird—oder zu akzeptieren, dass es schlichtweg unmöglich ist, dieses große Konzept auf etwas Konkretes festzulegen. Ich bekam vor Kurzem die Gelegenheit, die Ausstellung vor ihrer Eröffnung begehen zu dürfen und mit Stern darüber zu reden, wie es ist, eine Ausstellung zu so einem universalen und schier unendlichen Thema zu kuratieren.

VICE: Warum hast du dich dazu entschieden, eine Ausstellung zu diesem verrückten und sperrigen Thema zu kuratieren? Das klingt unglaublich anstrengend und ich bin natürlich entsprechend neugierig auf deine Antwort.
Rachel Stern: Es war wirklich anstrengend. Als ich noch Studentin war, hatte ich einen Fotoblog, in dem ich Fotoarbeiten nach Themenbereichen gruppiert habe, anstatt nach historischen Augenblicken oder kulturellem Kontext. Das waren Fotos von Hunden, von Essen oder Bilder aus Russland—generell eher abwegige und sehr weitgefächerte Kategorien. Ich glaube, dass ich dadurch erkannt habe, dass die Kategorie, die mich am meisten interessierte, romantische Fotos waren. Ich hatte also die Idee, ein Magazin darüber ins Leben zu rufen. Daraus sind dann ein paar verschiedene Entwürfe geworden, die es alle nie wirklich über diverse InDesign-Dateien hinausgeschafft haben.

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Ja, davon habe ich auch eine Menge rumfliegen.
Ja, vor allem weil ich nicht wirklich so ein Publikationsmensch bin. Ich bin keine Designerin, ich bin nicht gut darin, vernünftig zu schreiben und Information aufzubereiten.

Das Druckformat funktioniert einfach nicht so gut für mich. Meine Arbeit hinterfragt, wie Liebe aussieht oder wie Menschen sie wahrnehmen oder warum Menschen sie wollen; wie sie funktioniert oder wie man sie nennen kann. Es ist einfach unmöglich, das in irgendeiner Weise zu definieren. Und da es undefinierbar ist, wollte ich sehen, wie es in den Augen anderer aussieht. Dadurch können wir vielleicht Punkte finden, über die ein Konsens besteht; oder Abzweigungen verschiedener Punkte, die sich dann gegenseitig erklären. Mir gefällt die Tatsache, dass das Vorhaben, eine Ausstellung über Liebe zu machen, ungefähr genau so ist, wie eine Ausstellung über Luft zu machen. Der Begriff macht einem dieses Vorhaben eigentlich fast unmöglich, also dreht sich am Ende alles viel mehr um die Menschen. Wer sind sie, warum ist ihr Bild von der Liebe wichtig und warum sprechen mich ein paar dieser Werke besonders an?

Ist es dir schwergefallen, ein breitgefächertes Feld an Künstlern zu repräsentieren?
Ja, ich wache eigentlich jede Nacht mit einer Panikattacke auf, weil ich vielleicht jemanden nicht für die Ausstellung angefragt habe, der eigentlich unbedingt hätte dabei sein müssen. Es war auch spannend für mich zu sehen, wie die Künstler-Liste am Ende aussah. Zu Beginn hatte ich einfach intuitiv ein paar Namen aufgeschrieben. Dieser erste Durchlauf bestand dann fast ausschließlich aus schwulen, weißen Männern. Es war schon fast erschreckend, als ich die Liste durchging und realisierte, dass ich über 20 Künstler hatte und nur sechs Frauen darunter waren. Danach fragte ich mich: Warum ist das passiert und welcher Gedankenprozess lag dem zu Grunde? Mir ging es letztendlich darum, Menschen für die Ausstellung zu fragen, die mich mit etwas überraschen würden. Was einige der Arbeiten anging, wusste ich wirklich nicht, wie sie aussehen würden, bis wir dann hier die Kiste aufgemacht haben.

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Bryan Jabs

Welche Arbeit hat dich denn am meisten überrascht?
Ich glaube, das war die von Peter Clough. Er war einer der letzten Künstler, die ich für die Ausstellung angefragt hatte. Das war wirklich auf den letzten Drücker, weil ich eine Arbeit von ihm gesehen hatte—einen Fels mit Augen—und ich wollte diese Arbeit für die Ausstellung. Er meinte dann, dass wir diese aus diversen Gründen nicht für die Ausstellung haben könnten, er aber extra etwas Besonderes machen würde. Er bat uns dann, für ihn einen bestimmten Platz an der Wand freizuhalten. Ich war schon etwas nervös, weil seine Werke viele verschiedene Formen annehmen—meistens jedoch Video. Es hätte also alles Mögliche sein können und da war diese riesige Lücke an der Wand. Alles andere hing schon und wir wussten nicht, was uns erwarten würde. Er ist dann Freitagmorgen hier reinspaziert und hat es an die Wand gepackt. Es war großartig!

Hast du persönlich ein Referenzbild für Liebe?
So viele. Das kuratorische Statement enthält diese Zeile aus „Designs of Love" von Stevie Nicks. Das ist eine Zeile, über die ich viel nachdenke. Das erste Mal, als ich sie hörte, war ich gerade alleine in Brüssel—ich reise gerne alleine, weil einen das melancholisch macht, man macht sich Notizen und ist generell sehr romantisch. Ich muss mir den Song ohne Witz 3.000 Mal angehört haben.

Immer wenn ich über die Künstler der Ausstellung und an Liebe denke, vor allem an Jason Lazarus' Projekt Too Hard to Keep, denke ich zuerst an Verlust.
Er ist jemand, den ich weniger wegen einer spezifischen Arbeit eingeladen habe und mehr wegen seiner generellen Herangehensweise, die Liebe in einem sehr großen Maßstab behandelt. Er könnte jede seiner Arbeiten in der Ausstellung ausstellen und es würde dem Thema in jedem Fall mehr als gerecht werden. Als ich mal einen Atelierbesuch bei ihm machte, bevor er nach Chicago gezogen ist, hatte er eine komplette Wand voller Too Hard to Keep und auf dem Boden waren diese überdimensionalen Geviertstriche. Er hatte ein paar Personen des öffentlichen Lebens ausgesucht, die ihm aus unterschiedlichen Gründen wichtig waren—einen Landarzt, einen Jazzmusiker … Er arbeitet immer in einem historischen Kontext. Er hatte jedenfalls Abdrücke vom Bindestrich zwischen dem Geburts- und dem Todestag von ihren Grabsteinen genommen und diese in überdimensionale Granitskulpturen verwandelt, die auf dem Boden standen. Dadurch wurde der Raum zu einem Friedhof ihrer Leben, weil diese Geviertstriche ihre Lebensspanne repräsentieren.

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Leigh Ledare

Einiges davon, inklusive der Gedichte, wird in MATTE publiziert werden. Wonach hast du die Gedichte und ihre Autoren ausgesucht?
Man kann keine Ausstellung über Liebe ohne Liebesgedichte oder Blumen machen—die gehören einfach dazu. Mit der Tapete haben wir beide Themen dann direkt bedient. Paul Legault ist ein Dichter, mit dem ich ständig zusammenarbeite—wenn meine Foto-Arbeiten von Text begleitet werden sollen, dann machen wir in der Regel etwas zusammen. Er hat die Gedichte geschrieben, die an den Wänden der LeRoy Neiman Gallery zu lesen sind. Die anderen sind von meiner Cousine, Natasha Ochshorn, die Romane für junge Erwachsene schreibt. Sie hat diese Gedichte auf Instagram geschrieben und sie funktionieren als Tagebuch für die letzten paar Jahre. Wir haben also eine ältere Kollektion dieser Gedichte ausgewählt, die zusammen mit Yoshie Sakais Herz-Arbeiten als kleine Brücken funktionieren.

Das Projekt könnte man wirklich unendlich weiter führen und das macht es auch so aufregend.
Ich fände es großartig, damit weiterzumachen. Ich möchte unbedingt LOVE 2017 machen und weiter und weiter.

Hier kannst du dir eine Auswahl von LOVE 2016 anschauen:

Michael Stablein Jr.

Allana Clarke

Genesis Breyer P-orridge

Martin Gutierrez

Michelle Handelman

Thomas Roma

TM Davy

Brooke Holloway

Bobby Gonzales

Matthew Morrocco