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Reisen

Mein Tag mit dem kosovarischen Hitler-Doppelgänger

Ein Familienvater kam eines Tages auf einen ganz gewieften Businessplan. Seitdem posiert er im Hitler-Kostüm und nimmt dafür Geld. Ob sich das auszahlt?

Mitrovica ist eine Stadt in dem teilweise anerkannten Staat Kosovo. Da ist es kein Wunder, dass Mitrovica auch ein Ort ist, wo sich brodelnde ethnische Spannungen und politische Instabilität oft zuspitzen. Wenn man zu dem Ganzen jetzt noch ein Hitler-Double hinzufügt, das sich mit den NATO-Blauhelmen verbrüdert, dann erhält man eine alarmierend hohe Dosis an Exzentrik. Das konnte unser Autor bei einem vor Kurzem stattgefundenen Besuch am eigenen Leib erfahren.

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Er nennt sich selbst „Kosovos Adolf-Hitler-Wiedergeburt" und kommt dem Ganzen zumindest optisch sehr nahe. Emin Gjinovci, 55 Jahre alt, ist ein Veteran der Befreiungsarmee des Kosovo ( UÇK) und lebt derzeit von seiner Rente und dem Geld, das er als Hitler-Doppelgänger verdient.

Gjinovci trägt die ganze Zeit sein—wie er es nennt—„Hitler-Zeug" bei sich: ein paar Abzeichen mit Hakenkreuz-Prägungen, Hakenkreuz-Halsketten und eine Ausgabe von Mein Kampf.

„Schon zu Armeezeiten wurde ich Hitler genannt", erzählt er und zeigt mir dabei ein Foto von sich in Uniform. „Die Leute sagen, dass ich ihm wirklich ähnlich sehe—ganz im Gegenteil zu dem einen englischen Typen, der Hitler in diesem Film darstellt", fügt er noch hinzu und bezieht sich dabei auf Charlie Chaplin in Der große Diktator.

Gjinovci reicht mir seine Visitenkarte, auf der ebenfalls ein Hakenkreuz abgebildet ist. Er erzählt, wie er oft für diverse Veranstaltungen—darunter auch Hochzeiten und Beerdigungen—„in persönlicher als auch in beruflicher Funktion" gebucht wird.

Gjinovcis Visitenkarte

„Ich nehme als Hitler an Beerdigungen teil. Manchmal ruft das auch negative Reaktionen hervor und diejenigen, die dort eigentlich trauern wollen, reden mit mir, anstatt zu weinen."

Während unseres Spaziergangs durch seine Heimatstadt Mitrovica scheint sich niemand wirklich an Gjinovci zu stören. Viele Menschen bleiben sogar stehen und heben ihre Hand zu dem Gruß, für den man in den meisten anderen Ländern ziemlich viel Kritik einstecken oder sogar gleich ins Gefängnis wandern müsste.

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Selbst die NATO-Blauhelme, die als Teil des Kosovo-Schutzkorps in dem Ort stationiert sind, halten an, um Hallo zu sagen. Ich frage mich, ob sie in ihrer leicht erkennbaren Uniform und mit den Flaggenaufnähern auf ihren Schultern in ihren jeweiligen Heimatländern einen Mann wie Gjinovci genauso herzlich grüßen würden.

„Hier respektieren mich die Leute, egal ob jung, alt, männlich oder weiblich. Überall wird mir ein ‚Heil Hitler' entgegengebracht." Als wir durch die Stadt laufen, werde ich davon mehrmals Zeuge. Gjinovci scheint jedoch nicht zu bemerken, wie nach dem Gruß normalerweise gefeixt und gelacht wird.

Es hat den Anschein, als nehme Gjinovci seine Rolle sehr ernst. „Hitler hat nicht geraucht", sagt er als ich ihm eine Zigarette anbiete. Danach bemängelt er noch mein Zuspätkommen, denn er arbeitet immer mit „deutscher Pünktlichkeit". Er scheint jedoch kein Vegetarier zu sein, denn er schlägt vor, in seiner Lieblingsdönerbude essen zu gehen.

„Frauen fassen mir gerne ins Gesicht. Sie glauben, ich trage eine Maske. Sie ziehen dann an meinen Haaren und fragen, ob sie mich küssen dürfen. Wenn ich mit meiner Familie unterwegs bin, dann halten mich die Leute oft an, um mit mir zu reden. Meiner Frau macht das aber nichts aus, sie ist kein eifersüchtiger Mensch."

Ich frage Gjinovci, ob er zwischen sich und der verhassten Person Adolf Hitler Parallelen sieht. „Das ist ziemlich einfach", antwortet er mir. „Ich kann mich mit Hitler identifizieren, weil er gegen meinen Feind gekämpft hat. Der Feind meines Feindes ist mein Freund." Er scheint ziemlich zufrieden mit seiner Antwort zu sein. Irgendwie habe ich jedoch das Gefühl, dass er sich gar nicht bewusst ist, was diese Aussage überhaupt impliziert.

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„Wer genau ist dein Feind? Die Kommunisten?", frage ich. „Ja. Die Serben", erwidert er.

Die Befreiungsarmee des Kosovo war eine albanische paramilitärische Organisation, die in den hochbrisanten 90er Jahren gegründet wurde. Die meisten Kosovo-Albaner verbinden diese Zeit jetzt mit der Unterdrückung durch den damaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milošević.

Aufgrund der Situation im Kosovo nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens ist diese Zeit vielen Menschen in der Region natürlich nicht gerade in positiver Erinnerung geblieben. Viele verbinden ihre Erinnerungen an Jugoslawien mit den schwierigen Zeiten, die 1999 in den NATO-Bombardements mündeten.

Gjinovci selbst kam Anfang 1998 nach Kosovo—übrigens ausgerechnet aus Deutschland—, um sich am Krieg zu beteiligen. „Ich habe meine Familie in Deutschland zurückgelassen, um mich der UÇK anzuschließen", sagt er. Später sei ihm seine Familie dann in den Kosovo gefolgt.

Er war seitdem nicht mehr in Deutschland—bis auf das eine Mal, als er hier aufgrund von Kriegsverletzungen operiert werden musste. „Zu dem Zeitpunkt passierte es, dass sie mir für die Operation einen Teil meines Schnauzers abrasieren mussten. Als die Ärzte dann mein Zimmer betraten, haben sie nicht schlecht geschaut."

Da wurden ihm zum ersten Mal die Verdienstmöglichkeiten bewusst. Zurück im Kosovo begann Gjinovci damit, sich für Geld mit seinem Hitlerbart ablichten zu lassen. „Ich kann pro Foto zwischen 20 und 80 Euro verdienen. Manchmal mache ich sogar bis zu 200 Euro am Tag, wenn ein besonderes Event ansteht oder sich internationale Touristen in Mitrovica aufhalten", erklärt er weiter.

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Gjinovci lebt mit seiner Frau und seinen fünf Töchtern in Mitrovica. An der Schule nennt man die Mädchen auch „Hitlers Kinder". Er betont, dass sie damit kein Problem hätten.

„Ich gehe so auch zu Elternabenden und keiner hat ein Problem damit. Jedes Mal, wenn ich meine Mädchen von der Schule abhole, werde ich von Schülern umringt, die mit mir reden wollen."

Mit diesem verstörenden Bild in meinem Kopf nähern wir uns der Brücke über den Ibar und machen dort für ein paar Fotos mit einem italienischen Carabinieri Halt. Ich will von ihm wissen, ob er auch in den Norden der Stadt geht, wo die serbische Bevölkerung von Mitrovica lebt.

„Ich könnte da nur mit einer Waffe hin", antwortet er. Vor dem Krieg haben die unterschiedlichen ethnischen Gruppen von Mitrovica—vor allem Albaner, Serben und Türken—auf beiden Seiten des Flusses gelebt. Jetzt gehört der südliche Teil der Stadt zum unabhängigen Kosovo, wohingegen der Norden Belgrad die Treue schwört.

„Ich bin enttäuscht vom heutigen Kosovo. Ich hatte gehofft, dass wir nach Kriegsende eine Art Gemeinschaft wären", erzählt mir Gjinovci. Wie für andere Kosovaren auch hat sich für Gjinovci die Jobsuche als äußerst schwierig gestaltet. Er hat nach Kriegsende ein Restaurant eröffnet, musste es aber kurz darauf wieder schließen. Mehr will er darüber nicht erzählen.

Bisher hat Gjinovci für seine Auftritte kaum Kritik einstecken müssen. Doch in einem Land, das erst vor Kurzem seine Unabhängigkeit erlangt hat und noch ganz in den Kinderschuhen steckt—und das mit riesigen Herausforderungen wie anstehenden Kriegsverbrecherprozessen, korrupten Politikern und erschreckenden Arbeitslosenzahlen zu kämpfen hat—sorgen skurrile Hitler-Imitatoren nur für ein Schulterzucken.

Die Einheimischen haben ihn einfach als durchgeknallt abgeschrieben. „Ich habe in meinem Leben echte Probleme zu bewältigen. Ich muster den Typen vielleicht mal, wenn er an mir vorbeigeht. Ansonsten interessiert er mich nicht", sagt Arsim Peci, ein 43 Jahre alter Tischler aus Mitrovica.

Was Gjinovci betrifft, sieht es nicht so aus, als würde er demnächst seine Hitler-Stiefel an den Nagel hängen. „Ich bin stolz auf mein Aussehen und will bis zu meinem Lebensende nichts daran ändern. Die Leute sollen sich so an mich erinnern", sagt er.