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Popkultur

Meine frittierte Drogen-Oscarnacht

Mein traditioneller Oscarnacht-Ticker mit Drogen, Frittiertem und viel Zuneigung.
Alle Fotos von Claude Hurni

Ich weiss nicht wirklich, warum ich seit meinem Teenager-Alter jedes Jahr die Oscars schaue. Vielleicht ist es das perfekte Zusammenspiel von Inszenierung und Spontanität, vielleicht die Hoffnung darauf, dass es in unserer Welt doch noch so etwas wie Glamour und eine Leitkultur gibt, über die wir uns verständigen können. Oder vielleicht einfach, weil die Oscars live übertragen werden (Dabei sein ist alles!). Zusammen mit meinem Kumpel Luc und anderen Freunden habe ich die nominierten Filme „recherchiert" (Danke Torrent-Uploaders) und das Schaulaufen erneut zelebriert.

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Alle Fotos von Claude Hurni

21:07 Uhr: Es gilt sich einzustimmen. „Oscar Winning Songs" ist die Spotify-Playlist unserer Wahl, von der Academy Of Motion Picture höchstpersönlich (also vom Praktikanten) zusammengestellt. Zu „Moon River", „My Heart Will Go On" und dem Thema von „Shaft" stossen wir das erste Mal an (Bier, Weisswein oder beides) und während ein Freund einen Joint dreht, lassen wir das Öl heiss werden, denn: Oscar-Nacht heisst Frittier-Nacht. Gemüse, Pilze, Weichkäse und ganze Pizzastücke, Erdbeeren, Marsriegel und Schokoküsse. Wir glauben noch an den Glamour Hollywoods und darum auch an das amerikanische Sprichwort: Frittiert schmeckt alles besser!

21:48 Uhr: Bei den Oscars ist es wie beim Fussball. Ohne Favorit gibt es keine Spannung. Und wenn das Herz für keinen der Nominierten einer Kategorie schlägt—wer kennt sich z.B. schon bei den ausländischen Filmen aus?—hilft nur eins: Wetten abschliessen. Ich schenke mein Vertrauen den Favoriten „Birdman", „Boyhood" und „Grand Budapest Hotel". Kein Risiko, keine Ambitionen (bei meinen Wetteinsätzen).

23:21 Uhr: Ob es am Wetten liegt oder am Paniermehl weiss ich nicht, aber mich überkommt eine erste Welle der Müdigkeit. Dagegen aber haben wir vorgesorgt. Ein kleiner Spiegel, ein SBB-Generalabo und ein 20er liegen dafür im Badezimmer bereit.

00:02 Uhr: In vierzig Minuten ist es soweit. Um auch sicher gar nichts zu verpassen, wechseln wir von Youtube („Best Of Oscars 2014") via wilma schon mal auf Pro7, doch nach zwei Minuten vom Billig-Thriller „Kite—Engel der Rache" zappen wir trotzdem weiter: Die 70er-Jahre-Sendung „The Joy Of Painting" erklärt uns die Freuden des Fingermalens. Das schreit nach Kiffen, was wiederum einen weiteren Gang ins Badezimmer unumgänglich, will ich bis zum Morgen durchhalten.

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00:41 Uhr: Endlich geht es los. Pro7 schaltet live zum roten Teppich und damit zu einem meiner persönlichen Highlights jeder Oscar-Nacht: Steven Gätjen. Wie das ewige Hollywood-Groupie bei Stars um Interviews bettelt, und sie dann seine einstudierten Fragen („Mit wem würden sie gerne ein Selfie machen?") gar nicht wirklich beantworten lässt, weil jemand noch Berühmteres vorbeikommt, erzeugt immer wieder Schadenfreude und Mitleid zugleich.

01:49 Uhr: „Who are you wearing?" Meinen halben Jahresverdienst! Die Frauen tragen hübsche, teure Kleider, die Männer Anzüge, gerne auch in hellblau, weiss oder karmesinrot.

02:30 Uhr: „American Sniper is Oprah", witzelt Host Barney Stins … Äh Neil Patrick Harris zum Einstieg. Weil eine afroamerikanische TV-Queen und ein das gezielte Töten zum patriotischen Akt stilisierenden Irak-Streifen von Clint Eastwood ja ziemlich ähnlich sind.

02.33 Uhr: Das Schöne an den Oscars: Ihre Verlässlichkeit. Wie das Amen in der Kirche kommt die Singeinlage des Gastgebers. Und wie das Amen in der Kirche gehen die ersten meiner Freunde danach pennen.

02:45 Uhr: „Und der Oscar für den besten Nebendarsteller geht an …"—Bildstörung! Pro7 hat weder Ton noch Bild. Wir nehmen die vorgelagerte „Better Call Saul"-Werbung in Kauf und schalten um auf ORF1. Dort geht es zwar noch, aber bei der Direkt-Synchronisation kommt fast noch einmal die frittierte Pizza im Mundraum Hallo sagen. Also wieder zurück—noch einmal der „Better Call Saul"-Spot—immer noch Störung—wieder zurück auf ORF und wieder „Saul".

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03:27 Uhr: „Everything is awesome" grölen Tegan & Sara und wir grölen mit, nicht wegen der Lego-Oscars oder der 08/15-Show, sondern weil wir bei einem Pegel angelangt sind, der uns wirklich glauben macht, wir wären mit dabei. Und weil mein Photograph Claude Bier mitgebracht hat und zwar nicht irgendeines, sondern Kiss-Bier.

05:15 Uhr: Luc und ich erleben ein Wechselbad der Gefühle. Wir freuen uns mit allen mit, die gewinnen (umso mehr, wenn es sich mit unseren Wettprognosen deckt—meine Gewinnchancen sind intakt). Wir liegen uns in den Armen, als John Legend „Glory" singt und recken jedes Mal die Faust in die Höhe, wenn etwas Ernstes gesagt wird zu Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit und Whistleblowing. Ob die Oscars nüchtern auch so mitreissen würden? Diejenigen unserer Freunde, die sich nicht darauf eingestellt haben, die Woche mit einem Kater zu beginnen, haben sich auf jeden Fall verabschiedet.

06:20 Uhr: Und der Gewinner ist: meine Wenigkeit! Hab ich doch gewusst, dass es richtig ist, bei den SchauspielerInnen auf Alzheimer und ALS zu setzen (dass dann kein Eiskübel für Eddie Redmayne parat steht, macht mich schon etwas traurig). Mein Herz rast. Als ich aufstehe, dreht sich die Welt um mich. Ich will mich verbeugen, lasse es sicherheitshalber sein. In der ganzen Wohnung riecht es nach Frittieröl, Gras und Zigaretten. Als ich ins Badezimmer gehe, ist Luc am Zähneputzen. Wir umarmen uns und ich sage: „Nächstes Jahr wieder, ja?"

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