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Menschenrechte, Neutralität und sonstiger Hokus Pokus

Ueli Maurer hat angezweifelt ob der Bundespräsident Burkhalter in seiner Funktion als OSZE-Vorsitzender neutral sein kann. Dafür wird er gerügt, weil er gegen die Kollegialität verstossen habe. In Tat und Wahrheit hat er aber das grosse Geheimnis der...

Den Bewohnern der westlichen Welt wird jeder politische Scheiss auf dem Rücken der Menschenrechte verkauft. Natürlich sind Menschenrechte eine tolle Sache, eine super Idee und sowieso die Grundlage der Freiheit und Demokratie und die helle Seite der Macht. Leider führt das dazu, dass wann immer ein Diplomat „Menschenrechte" sagt, er oder sie einfach keine andere populäre Erklärung parat hat, warum die durch ihn vertretene Nation, noch während diese mediale Zauberformel seine Lippen verlässt, Kampfverbände in irgendeinem gottverlassenen Streifen Hinterland absetzt.

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Die Menschenrechte waren noch nie und werden auch nie der wahre Grund für eine militärische Intervention sein. Ja auch in Zukunft nicht und nein, nicht mal Hitler wurde aus humanitären Gründen niedergerungen. Afghanistan, Kosovo, zwei mal Irak, Libyen, Kongo, Mali, Ukraine—wir verstehen uns.

Foto von Jean-Marc Ferré

Ganz ähnlich verhält es sich mit der Schweizer Neutralität. Sie ist nichts weiter als eine Universalbegründung für die Schweizer Diplomatie zu tun und zu lassen was ihnen gerade in den realpolitischen Kram passt.

So kritisiert Ueli Maurer in seinem umstrittenen Weltwoche-Interview den Bundespräsidenten und OSZE–Vorsitzenden Didier Burkhalter, weil letztgenannte Funktion die „Wahrnehmung der Schweiz als neutraler Staat" gefährde. Er hat sich für diese Aussage entschuldigt, offiziell weil er gegen die Kollegialitätsklausel des Bundesrates verstossen hat. Die echte Beleidigung ist aber dieses „die Neutralität gefährden"—Das ist die Kampfansage an den FDP-Mann. Übersetzt heisst das nämlich: „Nicht die Schweizer Interessen vertreten".

Im selben Interview bezeichnet er Russlands Vorgehen auf der Krim und in der Ukraine als „inakzeptabel". Warum eigentlich? Als Maurer nach Sotschi eingeladen wurde, wäre es seiner Meinung nach zu billig gewesen Russland wegen seiner Haltung gegenüber Homosexuellen zu verurteilen. Man wolle Sport und Politik nicht vermischen.Politik mischt sich bekanntlich nur mit Wirtschaft.

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Foto von SAAB

So ist es für den Bundesrat kein Problem an jeden x-beliebigen totalitären Schurkenstaat Waffen aus Schweizer Produktion zu liefern. Ausser wenn diese Waffen in den Medien auftauchen, wie letztens in der Ukraine oder in Syrien 2012 oder in Libyen 2011. Dann stellt man den Handel in diese Richtung vorübergehend ein, man ist ja schliesslich neutral. Neutral wie das NATO-Mitglied Schweden, wo man seine Kampfflugzeuge herholt. Die Dinger werden in über Zehn Staaten zusammengebastelt und keiner davon ist neutral. Aber irgendwie brauchen wir diese Kampfflugzeuge trotzdem wegen der Neutralität. Das klingt nach Hexenwerk, ist aber einfach Schweizer Politik.

Foto von Manoj Vimalassery

Nebenher hat der Ständerat vorgestern das Freihandelsabkommen mit China mit 25 zu 3 Stimmen angenommen. Menschenrechtsverletzungen scheinen auch da kein Hindernis zu sein. Eine Haltung, die sich mit Maurers Statement während der Olympischen Spiele in Sotschi deckt:„Wenn Russland eine andere Haltung zur Homosexualität hat, die mir nicht passt, dann habe ich das zu akzeptieren."

Wir sind also bereit so einiges zu akzeptieren; uns neutrale geht es nichts an was in anderen Staaten läuft.

Foto von World Economic Forum

Und jetzt kommt dieser Schneider-Ammann daher und erklärt die Freihandelsabkommen-Verhandlungen mit Russland für „auf unbestimmte Zeit verschoben". Inmitten einer vor Kriegspotenzial triefenden internationalen Krise zwischen dem Gros des Westens und Russland, tönt das zumindest etwas wenig neutral. Gegenüber SRF sagte Schneider-Ammann: „Der russische Markt ist wichtig, der Markt der Zollunion ist wichtig, aber nicht um jeden Preis."

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Was ist das wohl für ein Preis, der mehr wert ist als die magische Neutralität?

Foto von NHD-Info

Ich rief beim Wirtschaftsministerium an um zu fragen weshalb man diese Verhandlungen auf unbestimmte Zeit verschoben hat. Dort hat man mir eifrig erklärt, dass man dies nicht alleine entschieden habe (sondern mit den anderen EFTA-Staaten im Konzert) und weil die Situation gerade unsicher sei. Allerdings gäbe es keine nennbaren Kriterien, die eine Wiederaufnahme nach sich ziehen würden und man habe auch keinen Plan wann man diese Verhandlungen wieder aufnehmen wolle. Warum man konkret auf die Idee der Verschiebung kam und warum man als neutral wahrzunehmende Schweiz in dieser diplomatisch heiklen Situation Position bezieht, konnte oder wollte man mir nicht sagen und verwies mich an die EFTA. Auch die EFTA durfte keine Stellung nehmen und verwies mich ans Seco, respektive den Schweizer Gesandten Didier Chambovey, der mir ebenfalls keine Antwort auf meine herzlich naive und einfache Frage gab. Also sehe ich mich gezwungen, mir das selbst herzuleiten.

Foto von Robert Yarnall Richie

Dank der angeführten Beispiele wird klar, dass die Schweiz vornehmlich in wirtschaftlichen Fragen auf ihre Neutralität scheisst. Nämlich dann, wenn die Aufrechterhaltung der Neutralität mehr Opportunitätskosten verursachen würde, als sie fallbezogen aufzugeben. Dank der Geschichte mit dem Waffenhandel lässt sich der Preis der Schweizer Neutralität in etwa beziffern: 600 Millionen Franken.

Wir wissen auch, dass der Konflikt zwischen den USA, der EU und Russland sich neben geopolitischen Interessen um Energieressourcen dreht, hauptsächlich um Erdgas. Exxon und Chevron haben bereits ihre vorgezogenen Förderfelder in der Ukraine respektive dem schwarzen Meer bekannt gegeben und entsprechende Lizenzen bei der faschistisch geprägten Interimsregierung beantragt —für nach dem Krieg versteht sich. Das kennen wir aus dem Irak. Die EU hätte der durch Gerhard Schröder herbeigeführten Energie-Abhängigkeit von Russland gerne eine unabhängige Pipeline entgegengesetzt. Via die Krim wäre dieses Mahnmal der Selbstbestimmung verlaufen, das wird jetzt wohl nichts.

Die Schweiz ist da schlauer, hat weniger korrupte Bundespräsidenten und ihren Gashaushalt deshalb diversifiziert. Sie bezieht den grössten Teil, ca. 50% aus EU Ländern (ihrem wichtigsten Handelspartner generell) und den Rest zu etwa gleichen Teilen aus Norwegen (EFTA-Staat und Verhandlungsführer in der Russland-Kasachstan-Freihandelsfrage) und Russland (Mordor). Allerdings kommen diese letztgenannten knapp 25% des Schweizer Gesamtbedarfs nicht direkt aus Russland sondern fliessen über die Europäischen Staaten. So betrachtet wird es offensichtlich weshalb die Schweiz Sanktionen gegen Russland diskutiert und die Freihandelsverhandlungen einstellt: Es würde wohl mindestens 600 Millionen Franken kosten es nicht zu tun.