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Die besten Schweizer des Internets

Mike Shiva ist ein gütiger Social Media-Messias

Mike Shiva hat das Internet verstanden – ob er will oder nicht.

Screenshot von Instagram

Ich kann nicht genau sagen, wann Mike Shiva zum ersten Mal in meinem Leben aufgetaucht ist—irgendwann war er einfach da. Vielleicht war es an einer dieser Home-Partys meiner Jugend, an denen alle vor dem Fernseher rumgammelten, weil wir—wohl aus Alkoholmangel—doch nicht die Sturmfrei-Party unseres Lebens hatten. Vielleicht war es beim gelangweilten rumzappen nach der Schule. Vielleicht aber auch nur irgendwo im Internet. Der Punkt ist: Jeder kennt Mike Shiva von irgendwoher und jeder hat eine Meinung zu ihm.

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Manche sehen in ihm den heuchlerischen Abzocker, der verzweifelten oder einsamen Menschen mit ihren Sorgen auch gleich mal 4.50 Franken pro Minute abknöpft. Manche sehen in ihm nicht mehr als einen wirren Freak. Und für manche ist er einfach der Typ, der bei schlechten Home-Partys nachts im Fernsehen lief.

Ich war entweder nie verzweifelt genug oder einfach zu geizig, um Mike Shivas Angebot wirklich zu nutzen—stattdessen wich ich in Down-Phasen lieber auf den um einiges billigeren und pathetischeren Casper aus, blame me. Das führte dazu, dass sich Mike Shivas Dasein als Medienproduzent und mein Dasein als Medienkonsument über die letzten Jahre nie gekreuzt haben. Oder zumindest nicht so, dass ich Mike Shiva bewusst wahrgenommen hätte.

Erst vor einigen Wochen, am 22. Februar, blieb mein Blick auf einem Tweet hängen, der mit den Worten: „Falls es eu jemals schlecht gaht. Lueged em Mikeshiva sini Snapstory (mikeshivanews)" Grosses versprach. Nun ging es mir zu jener Zeit nicht sonderlich schlecht, ich fragte mich aber trotzdem, was ein 51-jähriger Schweizer Esoterik-Guru auf Snapchat zu suchen hatte. Schliesslich ist Snapchat in der Schweiz immer noch als Medium für die Jungen gebrandmarkt, für genau jene also, die wiederum Facebook als Medium für die Alten brandmarken—auch wenn die Faceswap-Funktion von Snapchat wirklich das Zeug zum Party-Hit an jeder Familienfeier hat.

Screenshot von Instagram

Ich selbst benutze Snapchat vorwiegend als Konsument. Ich kann mir nicht vorstellen, was andere daran spannend finden sollten, wie ich am Morgen im Bus stehe, mein Outfit im Spiegel anschaue oder einfach nur müde vor meinem Laptop sitze. Allerdings finde ich es wichtig, über neue Trends und Möglichkeiten zumindest grundlegend Bescheid zu wissen, um nicht mit 30 schon als uninformierter, alter Sack abgestempelt zu werden.

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Also tippte ich an jenem 22. Februar mit dem Daumen auf den gelb umrahmten Geist in meinem Smartphone, suchte nach dem Benutzer mikeshivanews und addete ihn. Keine fünf Minuten später fügte Mike Shiva auch mich als Freund hinzu.

Ich erwartete wirklich nichts Grossartiges von dieser Snapchat-Freundschaft—wie gesagt: Ich verstehe weder Snapchat, noch Mike Shiva. Doch Mike Shiva scheint den ganzen Tag lang kaum etwas anderes zu tun, als seine Snapchat-Story zu ergänzen. Jeden Morgen begrüsst er all seine Follower (heissen Menschen bei Snapchat so?) mit einem scheinbar ernst gemeinten „Guten Morgen" und dem Ziehen einer Tageskarte aus seinem Tarotkarten-Deck („Die heutige Tageskarte ist der Ärger. Das heisst: Vorsicht in diesem Weekend, es könnte kleine Eskalationen geben"). Natürlich ist das in etwa so banal und unsinnig wie die Horoskope auf der letzen Zeitungsseite. Doch Banalitäten sind nach meinem Verständnis genau das, was Snapchat ausmacht. Und gerade deswegen kann man Mike Shivas Instagram-Bio „ICH BIN IMMER FÜR DICH DA" kaum widersprechen.

Jedes Mal, wenn ich nun Snapchat oder Instagram öffne, lächelt mich Mike Shiva mit zu glitzrig geschminkten Lippen an, trägt dabei eine schrecklichen Sonnenbrille und wahlweise eine Cap mit goldener „Miami"- oder „Selfie"-Aufschrift, die aussieht, als hätte er sie auf dem Arbeitsweg einem frühpubertären Schlüsselkind mit merkwürdigen Stilvorbildern geklaut. Dazu erzählt er irgendeinen neuen Nonsense zu seinem Mittagessen, seinem Hund Chocolat oder noch viel banaler: zum Wetter. Und in diesen Banalitäten ist Mike Shiva richtig gut. Zumindest so gut, dass er mich regelmässig zum Lachen bringt und mir tatsächlich ein wenig der positiven Energie gibt, von der er ständig redet—wo steckt diese sonst, wenn nicht im Lachen?

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Dabei bin ich wirklich alles andere als ein Esoterik-Fan. Ich finde zwar Esoterik-Messen spannend, allerdings nicht wegen der allwissenden Karten und dem anderen Hokuspokus, sondern weil die Menschen dort so verschroben und neben der Spur sind—und natürlich auch, weil ihre Verrücktheit eine sehr solide Basis bildet, um die eigene Verrücktheit vergessen zu lassen.

Screenshot von Instagram

Bei Mike Shiva ist das aber etwas anderes. Ähnlich wie bei Moneyboy hege ich eine gewisse Bewunderung für ihn als Person—es sei denn, er schmeisst irgendwann auch Mikros auf seine Fans. Mike Shiva ist sowas wie der liebenswerte Freak im Schweizer Mediendschungel. Füllen sonst mal mehr, mal weniger gut gemachte Kopien grosser US-Stars die Boulevard-Spalten, ist Mike Shiva das medienwirksam inszenierte Stadtoriginal.

Und dieser Vogel hat Social Media—zugegebenermassen mit dem Startvorteil der Skurrilität—besser verstanden, als ein Grossteil der anderen C-Promis der Schweiz. Mike Shiva antwortet meist innerhalb von Minuten auf private Snapchats—auch wenn es nur mit einem Daumen-Hoch-Foto ist. Er zieht für jeden seiner Kanäle (Facebook, Instagram, Snapchat) eine andere Tageskarte—weil es schlussendlich eh nicht darauf ankommt, ob seine Vorhersage nun stimmt oder nicht. Und am wichtigsten: Man merkt ihm an, dass er das, was er tut, wirklich gerne tut.

Man mag von Mike Shiva halten, was man will. Manche werden ihn—angesichts seiner Call-In-Show wohl nicht ganz zu Unrecht—auch zukünftig als Abzocker betiteln. Doch für mich als Nicht-Nutzer von Call-In-Shows und intensiver Nutzer sozialer Medien ist klar: Mike Shiva macht dank seinen Social Media-Auftritten einen grossen Schritt in Richtung bester Mensch des Internets. Jedes einzelne seiner Postings bringt mich zum Lachen und löst damit sein grösstes Versprechen ein: Er ist immer für mich da.

Sebastian auf Twitter: @seleroyale
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