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Mundtot im Asyl

Das Leben eines Flüchtlings, der auf seine Abschiebung wartet, ist traurig, einsam und langweilig.

Jerry

Es ist schon ein gutes Jahr her, als Lampedusa, eine kleine sizilianische Insel, von sich Reden gemacht hat. Damals drängte der Arabische Frühling Tausende Tunesier, wegen des Chaos im eigenen Land ins relativ friedliche Europa. Es wäre lächerlich zu sagen, dass das, was damals in Lampedusa geschehen ist, ein Einzelfall war. Irgendwo auf der Welt gibt es jeden Tag Menschen, die Asyl suchen, aus diesem oder jenem Grund. In diesem Fall war es ein äußerst medienträchtiger Vorfall: 20.000 verzweifelte Nordafrikaner überquerten die knapp 120 Kilometer des Mittelmeeres, um auf eine idyllische Urlaubsinsel mit einer Einwohnerzahl von 6.300 Menschen zu gelangen, deren Infrastruktur daraufhin unter der schieren Menschenmasse kurzzeitig zusammenbrach. Selbstverständlich gerieten die hysterischen, rechten Medien in Italien total außer Rand und Band und die „Schande“ von Lampedusa war überall als Schlagzeile in der Zeitungen zu sehen und beherrschte auch die Fernsehlandschaft für Tage. Aber wie so oft geriet die Geschichte schnell in Vergessenheit, sobald die anfängliche Sensationswut nachließ. Öfter als man denkt, ist das auch im Vereinigten Königreich so. Die hochgradig kritisierten Festnahmen von Kindern, das Wegsperren von Asylbewerbern und die damit einhergehenden Depressionen und Suizide werden fast vollständig ignoriert. Es bleibt die Aufgabe von gemeinnützigen Organisationen, sich darum zu kümmern. Ich habe für die Organisation Freedom from Torture, die jede Menge Zeit damit verbringt, dem Grenzschutz zu erklären, warum man Opfer von Folter nicht einfach zurück schicken kann, gearbeitet. Noch etwas, das man wissen sollte, ist, dass manche Haftanstalten für Asylanten von privaten Sicherheitsfirmen geleitet werden, die pro Tag und Insasse bezahlt werden. So wird es zu einem profitablen Geschäft, mehr und mehr Leute für immer längere Zeiträume zu inhaftieren. Ich beschloss, eine dieser Haftanstalten in Colnbrook, in der Nähe von Heathrow, zu besuchen, um Jerry zu treffen, der vor 10 Jahren aus Zimbabwe geflohen war, um nach London zu kommen. Er wurde hier für ungefähr vier Jahre weggesperrt.

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Es gibt 13 dieser „Ausweise-Anstalten“ im Vereinigten Königreich, jede davon direkt am Flughafen oder dem Meer.

„Ausweise-Anstalten“ sind theoretisch keine Gefängnisse … Nach einer langen Reise mit dem Zug, bei der ich zweimal umsteigen musste, und einer Busfahrt kam ich zu einem Ort, der dann doch an ein Gefängnis erinnert. Ich konnte mich gut in die missliche Lage des Architekten versetzen, der wohl das Beste im Sinn hatte und es wie einen Wohnblock aussehen lassen wollte. Aber die hohen Mauern mit dem Stacheldraht und die Gitterstäbe in den Fenstern waren unübersehbar. Immerhin hatte man im Inneren versucht, den Ort mit ein paar Postern ein bisschen wohnlicher zu machen. Mein Lieblingsposter war: „Friede: Partnerschaft: Respekt“ und dann folgte „WILLKOMMEN“ auf zigtausend Sprachen. Ich fragte den Wärter, ob ich ein Bild machen dürfte, aber er ignorierte meine Frage und fing stattdessen an, mich zu verhören und wollte erfahren, warum ich hier wäre. Ich sagte ihm, dass ich einen Freund besuchen würde, was ihm zu gefallen schien–sie mögen hier keine Leute, die über diesen Ort schreiben. Dann ging es mit den Sicherheitsvorkehrungen weiter: Fingerabdrücke, Fotos und ab durch den Metalldetektor. Zwei weitere Wächter eskortierten mich dann durch die riesigen, elektrischen Gefängnistüren in einen Innenhof. Dieser war von hohen Mauern umgeben und nur um sicher zu gehen, dass wirklich keiner rauskommt, mit noch mehr Stacheldraht dekoriert.

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Nochmal Jerry. Sobald Jerry in den Warteraum kam, war es klar, dass die vier Jahre Haft an seinem Äußeren genagt hatten. Er war ausgemergelt und sah für einen 29-Jährigen viel zu verbraucht aus. Noch lachte er, auch wenn ihm ein Zahn fehlte. Er sagte, er hätte Probleme zu schlafen, was echt scheiße ist, da er einen Großteil seiner Zeit hier in Colnbrook mit Schlafen verbringt. „Es gibt hier ja sonst nichts zu tun“, erklärt er mir. „Ich habe bereits den einzigen Lernkurs, der einem hier angeboten wird, abgeschlossen. Es gibt einen Fitnessraum und ein Bastelzimmer, wo du Grußkarten und Perlenketten herstellen kannst.“ Kein Wunder dass die Leute hier wahnsinnig werden. „Es ist ruhiger als in Brook House [eine Anstalt in Gatwick], aber die Wächter hier sind viel aggressiver.“ Jerry war eigentlich in Brook House untergebracht. Wurde aber nach Colnbrook verlegt, nachdem es Probleme mit seinem Zimmergenossen gab. „Er war ein verurteilter Vergewaltiger, in fünf Fällen. Brook House war auch für Kriminelle vorgesehen und es gab jeden Tag Prügeleien.“ Jerry ist selbst verurteilter Straftäter, aber viele hier haben noch nie eine Straftat begangen. (Außer vielleicht, am falschen Ort zur falschen Zeit geboren zu sein.) Vor viereinhalb Jahren musste Jerry wegen Körperverletzung ins Gefängnis, aber nachdem er 18 Monate abgesessen hatte, wurde er direkt in die Ausweisungsanstalt verlegt. Dort sitzt er jetzt effektiv die doppelte Zeit ab. „Sie haben gesagt, sie können mich nicht zurück in mein Land schicken, weil es zu gefährlich ist. [Zimbabwe hält derzeit Vorwahlen ab, was die Zeit ist, wo einfach die härteste Scheiße passiert.] Und sie wollen mich nicht raus lassen, weil sie sagen, ich wäre eine Gefahr für die Gesellschaft. Ich kann es zwar nachvollziehen, dass ich es verdiene, hier zu sein, da ich etwas Schlimmes getan habe, aber ich bin nicht gefährlich. Ich habe von psychischen Problemen gehört, die durch den Stress entstehen, dem man die Insassen hier aussetzt: Nicht zu wissen, ob du morgen gehen darfst oder erst in zehn Jahren. Die Ungewissheit, ob du in Großbritannien bleiben darfst oder zu einem Ort des Grauens zurückgeschickt wirst. So wie Jerry die Situation beschrieb, wird sie für mich viel greifbarer. „Ich konnte mal drei Monate nichts von meinem Essen behalten. Sie glauben dir nicht, wenn du krank bist. Alles, was sie dir geben, ist Paracetamol und Wasser. Manche springen einfach, letzte Woche versuchte ein Mann, eine Flasche Bleichmittel zu trinken, weil er herausfand, dass er nach Hause geflogen wird.“

Mugabes Kindersoldaten. Es ist so, dass die meisten Leute ihr Heimatland aus gutem Grund verlassen. Sie in einem Zustand der ständigen Ungewissheit zu lassen, ob sie nach Hause müssen oder nicht, ist einfach total verkorkst. Ich habe Jerry nach seinem Leben in Simbabwe befragt und ob er dorthin zurückkehren möchte. „Ich kann nicht, mein Leben hängt davon ab. Sie würden mich töten. Die Leute, vor denen ich mich verstecke, sind immer noch dort, also gibt es keinen Weg zurück.“ Jerry wurde als Kind einer Familie geboren, die der Opposition zu Mugabes Zanu-PF-Partei angehörte und diese unterstützten. Trotz der mehrfach und gut dokumentierten Gewalt durch Mugabes Regime, ist Jerrys Asylbewerbung immer noch nicht bewilligt worden. „Sie [die Leute der Zanu-PF-Partei] kamen zu deiner Haustür und sagten, du müsstest zur Versammlung kommen oder die Armee kam zu dir nach Hause und verprügelte und folterte dich. Meine Mutter ging manchmal zu den Versammlungen, damit es so wirkte, als würden wir sie unterstützen, aber meine Schwester war von Anfang an stark in der MDC [die Oppositionspartei] engagiert. Das machte uns zum Ziel. Mit 14 wurde ich von den Green Bombers gekidnappt.“ Die Green Bombers sind eine von der simbabwischen Regierung kontrollierte Jugend-Miliz und für weitaus mehr verantwortlich als Jerrys fehlenden Zahn. „Ich konnte einfach nicht tun, was sie von mir verlangten. Ich sah Dinge, die nicht schön waren. Ich habe gesehen wie Menschen gefoltert wurden, verletzt, getötet. Ich sah, wie Mädchen vergewaltigt wurden. Sie nahmen einfach irgendein Mädchen und zwangen die Jungs dazu, es zu tun. Wenn du nicht gemacht hast, was sie wollten, dann bestraften sie dich. Ich versuchte mit ein paar Freunden, weg zu laufen, aber wir wurden geschnappt. Sie haben uns gefoltert. Sie ließen uns hungern und trennten uns. Sie wollten uns nicht gehen lassen, damit wir nicht verrieten, wo sich ihr Lager befand. Sie machten sehr schlimme Sachen. Ich hielt es einfach nicht aus. Ich habe ein weiches Herz.“ Angesichts dieser Geschichten–und mehr, die ich leider für mich behalten muss, im Angesicht von Jerrys Zukunft–könnte man glauben, die einzig annehmbare Lösung für Jerry wäre es, in Großbritannien zu bleiben. „Ich sollte bereits über zehnmal abgeschoben werden, aber das System ist eine Katastrophe. Ich sehe jeden Tag Menschen, die viel gewalttätiger sind und viel schlimmere Dinge getan haben als ich, die Anstalt verlassen. Ich habe immer Hoffnung. Jedes Mal glaube ich dran, dass ich der nächste sein werde.“ Ich verließ das Gebäude und fühlte mich ironischer Weise befreit und einfach nur froh darüber, wieder draußen zu sein.

Wenn dir die Geschichte gefallen hat und du dabei helfen willst, dass Jerry nicht nach Simbabwe ausgewiesen wird, kannst du diese Petition unterschreiben.