Schweizer Muslimas verraten, was sie über die Burkadebatte denken
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Interviews

Schweizer Muslimas verraten, was sie über die Burkadebatte denken

Die Verschleierung unterdrücke muslimische Frauen, hört man von allen Seiten. Wer dabei kaum zu Wort kommt: muslimische Frauen

"Dass Frauen ebenso wie Männer in der Öffentlichkeit ihr ganzes Angesicht jederzeit zeigen, ist ein Gebot elementarer Gleichberechtigung", schreibt das Initiativkomitee des Schweizer Burkaverbots auf seiner Homepage und sagt dadurch: Verhüllte Frauen sind Männern nicht gleichgestellt. Die Leute des Egerkinger Komitees sind aber bei weitem nicht die einzigen, die diese Gedanken an die Öffentlichkeit tragen. Im Aargau versuchte die CVP damit ein Kopftuchverbot an Schulen durchzubringen und im Tessin darf seit diesem Juli überhaupt niemand mehr mit verhülltem Gesicht einen Fuss vor die Türe setzen.

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Die Verteidiger der Rechte muslimischer Frauen haben dabei meist etwas gemeinsam: Sie sind keine muslimischen Frauen. Nur selten kommen jene zu Wort, die wirklich von einer allfälligen Unterdrückung betroffen sind—wir haben deshalb junge muslimische Frauen gefragt, wie sie es finden, dass ständig über sie, aber kaum mit ihnen gesprochen wird.

Esraa, 22

Wenn nicht anders angegeben: Foto zur Verfügung gestellt

Die momentane Berichterstattung über Muslime ist in der Schweiz meiner Meinung nach extrem rechts und manipulierend. Tendiert eine Zeitung nach recht, ziehen alle anderen sofort mit. Letztens im Zug wurde ich wieder Zeugin davon: Zwei Frauen redeten über den Burkinivorfall in Nizza. Die eine sagte zur anderen: "Mit all diesen Terroranschlägen ist es ja klar, dass man gegenüber Muslimen vorsichtiger ist." Für mich ist so eine Äusserung extrem beleidigend. Ich gehe auch nicht zu einem beliebigen Mann hin und verbiete ihm, auf einem Spielplatz zu stehen, weil er pädophil sein könnte. Heutzutage trauen sich die Leute, etwas Rassistisches zu sagen, ohne sich dafür zu schämen— das finde ich schade.

Vielfach werden in den Medien weisse, europäische Expertinnen interviewt. Muslimische Frauen können aber auch für sich selbst sprechen. Wieso nicht einfach eine Muslimin nehmen? Die klärt euch liebend gerne über Unterdrückung und ihren Glauben auf. Nicht jede Frau fühlt sich automatisch unterdrückt, nur weil sie ein Kopftuch trägt. Genauso wenig muss eine Frau sich unterdrückt fühlen, wenn sie in einem Burkini baden geht. Weder ich noch meine Mutter (die übrigens ein Kopftuch trägt) empfinden das als Unterdrückung. Medien und Politiker wissen aber oft nicht gut genug über dieses Thema Bescheid und pauschalisieren sehr stark. Wer sich nicht mit dem Thema Verschleierung auseinandersetzt, der wird nie verstehen können, wieso es Frauen gibt, die diesen Weg trotzdem wählen. Aber wegen unseres Aussehens nimmt uns niemand ernst. Das beste Beispiel ist meine Mutter, die schon mehrere Male Terroristin genannt wurde und ihren Schweizerpass erst nach 28 Jahren und mehreren Anträgen erhielt.

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Amal, 19

Momentan geben viele Medien bei jedem kleinen Vorfall Muslimen die Schuld. Sie finden, überspitzt gesagt, irgendeinen Verwandten dritten Grades eines Onkels des Täters, der Muslim war. Dann ist allen plötzlich klar, wieso der Täter das getan hat. Die Rechnung bei Medien und Politikern ist oft dieselbe: Kopftuch + Bart + Religion = Terror. Dabei wissen sie kaum etwas über die Menschen, die sie ständig verurteilen. Man kann auch ein guter Mensch sein, wenn man an Allah glaubt, so wie man auch ein schlechter Mensch sein kann, wenn man an Jesus Christus glaubt. Ich finde es schade, dass wir im 21. Jahrhundert immer noch mit solchen Vorurteilen zu kämpfen haben.

Viele Europäer denken, dass muslimische Frauen die Sklavinnen ihrer Männer sind. Das ist aber überhaupt nicht so. Bei einzelnen Ehepaaren mag das stimmen, aber die meisten vertrauen ihren Frauen und verbieten ihnen nichts. Um solche Vorurteile aus der Welt zu schaffen, sollte man mehr mit muslimischen Frauen direkt reden, anstatt nur über sie. Den Gedanken hinter dem Burkaverbot kann ich jedoch verstehen. Obwohl ich für Religionsfreiheit bin, finde ich, dass man sich an die Kultur des Landes, in dem man lebt, anpassen sollte. In Algerien würde ich auch nicht in Hotpants rumlaufen, hier tue ich es. Aber das muss jede Frau für sich selbst entscheiden.

Hanifa, 27

Ich finde es unnötig, dass die Medien ständig über Muslime berichten. Manchmal glaube ich, dass gewisse von ihnen mit voller Absicht diejenigen Ereignisse herauspicken und übertrieben betiteln, bei denen Muslime involviert waren. Zudem werden ständig Leute interviewt und befragt, die kaum eine Ahnung von der muslimischen Kultur haben, aber nie Muslime selbst. Man sieht alles gerne mit den Augen eines Europäers.

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Das ist der Grund, warum es so viele Missverständnisse gibt. Viele Schweizer reagieren oft sehr negativ, wenn sie mich sehen und meinen Nachnamen hören. Erst wenn sie mit mir ins Gespräch kommen und hören, dass ich perfekt Schweizerdeutsch rede, sind sie positiv überrascht.

Ich finde, jede muslimische Frau soll selbst entscheiden, ob und wie sie sich bedecken möchte. Nonnen laufen immerhin auch verschleiert herum und denen sagt man auch nicht, sie sollen sich ausziehen. Damit diese Diskriminierung und diese Vorurteile ein Ende nehmen, wünsche ich mir mehr Aufklärung über den muslimischen Glauben. Denn wer Dinge kennt, der versteht sie auch.

Zeynep, 32

Seit es vermehrt zu Terrorangriffen in Europa kommt, herrscht meiner Meinung nach medial und politisch eine negative Stimmung zu Muslimen vor. Wir werden alle in einen Topf geworfen. Vor einiger Zeit hat jemand sogar eine Freundin von mir in einem Café angespuckt und als Terroristin beschimpft. Wenn das keine Pauschalisierung auf unterstem Niveau ist, was dann?

Ich verstehe, dass durch all die Terrorangriffe der Zuspruch zu Ideen wie dem Burkaverbot gestiegen ist. Trotzdem macht für mich ein solches Gesetz keinen Sinn. Die Schweiz, die immer auf die persönliche Freiheit achtet, schränkt mit diesem Gesetz eben jene persönliche Freiheit ein—und dann noch von einer Minderheit. Ich meine, wie viele Frauen gibt es in der Schweiz, die eine Niqab tragen? Ich zumindest habe noch nie eine gesehen.

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Die Annahme, dass eine Frau sich auf Grund ihres Mannes verschleiert und sich deswegen unterdrückt fühlt, stimmt so auch nicht. Muslime wachsen vielfach mit dem Glauben auf, dadurch wird die Verschleierung automatisch sympathisch. Wer sich verschleiert, tut das für sein eigenes Wohlbefinden. Für mich ist die Verschleierung ein Dienst an Gott und ich tue es gerne. Natürlich gibt es hin und wieder Frauen, die sich ihrer Familie oder ihrem Mann zuliebe bedecken, aber das kommt wirklich sehr selten vor.

Noura, 23

Ich finde, dass die vorherrschende Meinung über Muslime in der Schweiz sehr oberflächlich und einseitig ist. Jeder weiss in etwa, was der Islam ist, aber niemand beschäftigt sich wirklich tiefgründig damit—trotzdem denken viele bei dem Wort "Islam" sofort an den IS. Aber der Islam ist als Religion eigentlich sehr friedlich. Er hat sogar sehr viel Ähnlichkeiten mit dem Christentum. Es gibt beispielsweise in beiden Religionen die zehn Gebote. Auch die Rechte der Frau werden im islamischen Glauben sehr geachtet. In der Türkei ist es beispielsweise sogar üblich, dass eine Frau studieren geht. Das Problem ist einfach, dass hier in Europa die Religion einen kleineren Stellenwert hat als im arabischen Raum. Und Menschen, die noch nicht bereit sind, die Religion hinten anzustellen, werden sofort als verdächtig eingestuft.

Ich persönlich bin gegen Burkas. Dass man die Haare bedeckt, sehe ich ein, aber meines Wissens verlangt es die Religion nicht, sich bis auf die Augen zu verschleiern. Ich unterstütze das Burkaverbot abernicht, weil ich finde, dass es sich hierbei um eine Einschränkung der persönlichen Freiheit handelt.

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Arijeta, 24

Mich ärgert es, dass Politiker und Medien einem Worte in den Mund legen wollen. Es gibt in jeder Religion und in jeder Nation gute und schlechte Menschen. Man sollte einen Menschen wegen seines Charakters und nicht wegen seiner Herkunft kritisieren. Aber um das zu schaffen, müsste man sämtliche Vorurteile ablegen können, und das ist in der heutigen Gesellschaft fast unmöglich. Sogar ich selbst erwische mich immer wieder dabei, wie ich gegenüber Menschen, die ein Kopftuch tragen oder bedeckt angezogen sind, Vorurteile hege. Zum Beispiel redete ich mit einer koptuchtragenden Freundin meiner Kollegin automatisch Hochdeutsch, weil ich davon ausging, dass sie kein Schweizerdeutsch versteht. Nachdem sie mir jedoch in perfektem Schweizerdeutsch antwortete, war es mir ein wenig peinlich.

Ich denke, jede Frau soll selbst entscheiden, ob und wie sie sich verschleiert. Ich habe einfach schon viel zu oft gesehen, wie Frauen sich nur ihrem Mann zuliebe bedecken und sich wie Dreck behandeln lassen. Deswegen bin ich für das Burkaverbot. Ich finde, keine Frau sollte gezwungen sein, etwas zu tun, was sie nicht tun möchte. Aber natürlich wird man nicht automatisch unterdrückt, nur weil man eine muslimische Frau ist. Ich kenne einige Schweizerinnen, die freiwillig zum Islam konvertierten. Sie tragen jetzt täglich ein Kopftuch und sind superglücklich damit.

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Titelfoto von Nitin Madhav | Wikimedia | Public Domain