Geschichten eines Wiener Nachttaxifahrers

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Geschichten eines Wiener Nachttaxifahrers

Nackte Fahrgäste, 260 Euro Trinkgeld und unsichtbare Freundinnen auf dem Beifahrersitz.

Ich habe Pepi kennengelernt, als ich gerade die Mariahilfer hinunterkugelte und mit Bedauern feststellen musste, dass es Donnerstag und 3 Uhr morgens war. Jedes Mal will ich wirklich die letzte U-Bahn erwischen, jedes Mal verpasse ich sie ganz knapp um zweieinhalb Stunden. Da muss man sich Alternativen überlegen. Der Nightline habe ich seit einer kalten Winternacht, die einschlafbedingt irgendwo in Liesing endete, auf ewig abgeschworen und für Uber bin ich einfach zu sehr Bauer. Also Taxi.

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Bislang hatte ich nur wenig Glück mit Wiener Taxlern: Die meisten sahen in mir eine Art Seelsorge, an der sie ihren Weltschmerz auslassen konnten, oder waren ganz einfach die Sorte Mensch, die ich als Ungustl definiere. Ich hingegen bin die Sorte Mensch, die Taxifahrern gerne Hochachtung vortäuscht, um die Fahrt im Ganzen irgendwie erträglicher zu machen. Aber nicht mit Pepi. Pepi ist nämlich die Sorte Mensch, die es dir nicht übel nimmt, wenn du in sein Taxi speibst.

Pepis richtigen Namen kenne ich nicht, ich weiß nur, dass er Perser ist, nicht fotografiert werden möchte und seit 1989 in Wien Nachttaxifahrer ist—heißt, er hat um 19:30 Uhr Dienstbeginn, fährt die Nacht durch und schläft untertags. Heißt auch, ein Großteil seiner Fahrgäste ist entweder zwielichtig, halbnackt, bumzua oder alles davon, und an manchen Abenden gehöre ich da dazu. Also habe ich Pepi einfach gebeten, mir seine besten Geschichten zu erzählen, als er mich letztens beim Würschtler aufgeklaubt hat. Zu meinem Glück ist Pepi redefreudig, ich hätte es nicht mehr geschafft.

VICE: Danke fürs Abholen, Pepi, du guter Mann. Stuwerviertel bitte. Und bitte erzähl mir bitte eine Anekdote aus deinem Beruf. Hier in mein Handy. Laut. Bitte.
Pepi: Wie lange hast du Zeit? Ich könnte ein ganzes Buch schreiben. OK. Also, einmal bin ich gerade am Franz-Josefs-Kai gefahren. Da war dann ein Junge, ein Deutscher. Er hat mich herbeigewinkt, ist hinten eingestiegen und hat gesagt, er müsse in den 13. Bezirk, in die Gaßmannstraße. Dann hat er die ganze Zeit hinten irgendwas gemacht, ich hab's nicht gesehen. Irgendwann fragt er mich, ob ich eine Unterlage hab—ich wusste nicht, was er damit meint, eine Unterlage? Dann meinte er, er bräuchte Zeitungen, Magazine, irgendwas. Er wollte sich im Auto was drehen, ich hab zu ihm gesagt "Bitte, tun Sie es nicht"—Taxifahren ist immerhin ein Gewerbe und ich kriege sonst Probleme mit der Polizei. Irgendwann hab ich gesagt "Scheiß drauf—mach, was du willst. Aber im Auto darfst du nicht rauchen, sonst steigst du sofort aus."

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Als wir dann gerade den Grünberg hochgefahren sind, hat er angefangen, mit dem Feuer zu spielen—wortwörtlich. Da hab ich gesagt, er muss jetzt aussteigen. Er war wirklich dabei, sich den Joint anzuzünden. Das hat mich nervös gemacht, also bin ich stehengeblieben und ausgestiegen, um ihm die Tür zu öffnen. Damals hatte ich noch meinen alten Toyota. Der war mit diesen Knöpfen—wenn man den an der Fahrertüre drückt, werden automatisch Türen alle zugesperrt. Und auf den hat er gedrückt, sobald ich aus dem Auto draußen war. Den Schlüssel hab ich auch stecken lassen. Wie gesagt, ich war nervös.

Dann wollte der mich sekkieren und hat die Handbremse gelöst. Dort, wo wir gestanden sind, ist es nicht steil, aber es geht schon bergab. Ich hab Angst gekriegt, bin sofort hinter das Auto gerannt und hab mit Händen, Füßen und meinem Kopf versucht, das Auto irgendwie festzuhalten, während ich "Mach auf!" geschrien und geflucht hab. Zum Glück kam genau in diesem Moment die Polizei vorbei. Das Auto konnte ich nicht loslassen, also stand ich da irgendwie an meinem eigenen Wagen angeklebt und hab verzweifelt "Hilfe!" gerufen.

Die Polizei schaltet also Blaulicht ein und der Junge zieht die Handbremse—dann kommen die Polizisten daher und fangen an, mit mir zu schimpfen, ob ich einen Pecker hätte, warum ich überhaupt den Schlüssel stecken lasse. Ich hab ihnen schnell die ganze Geschichte erzählt, mehr oder weniger. Dann wollten sie mit dem Jungen sprechen, haben an die Scheibe geklopft und gesagt, er soll aufmachen, woraufhin der sich einfach seinen Joint angezündet hat und Grimassen aus dem Auto heraus geschnitten hat. Er hat noch gemütlich seinen Joint fertiggeraucht und dann die Tür aufgemacht. Die Polizei hat ihn dann mitgenommen und mich bezahlt.

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Einmal wurde ich kurz in die Schulter gestochen von einem, der nicht zahlen wollte.

Ich heiße übrigens Franz. Nett, dich kennenzulernen!
Schön! Ich hatte mal einen Kollegen, der hieß Bauchstich-Franz. Der war damals eh überall in den Medien. Das wird wohl so 15 Jahre her sein. Zwei Jungs sind damals bei ihm eingestiegen, haben die Ziel-Adresse gesagt—und als sie dann angekommen waren, sind sie ausgestiegen und haben ihm 16 Mal oder so mit einem Messer in den Bauch gestochen. Die haben später dann gesagt, sie wollten einfach sehen, wie ein Mensch stirbt. Idioten. Die waren minderjährig. Zum Glück hat der Franz aber überlebt. Er war damals sechs Monate im Spital. Als ich ihn vor einem Jahr zum letzten Mal gesehen habe, hat er zwei Mädchen nicht bei sich einsteigen lassen, weil sie tätowiert waren und ein bisschen gefährlich aussahen. Nach der Attacke hat er nur noch ältere, friedliche Leute mitgenommen. Mittlerweile ist er aber pensioniert.

Was gibt es sonst noch für Geschichten aus deiner Fahrpraxis?
Vor zirka 15 Jahre—jedenfalls hatten wir schon Euro—hab ich mal einen Funkauftrag reinbekommen, in dem es hieß, ich sollte einen Gast von einem Kaffeehaus in der Kaiserstraße abholen. Ich fahre also dorthin, gehe ins Kaffeehaus rein und sage "Das Taxi ist da". Dann steht dort eine Frau, komplett nackt. Die Kellnerin sagt, die wäre der Gast. Ich dachte, das gibt's nicht, das ist Verstecke Kamera. Sie war einfach komplett nackt. Also, komplett.

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Die Kellnerin hat mir noch erzählt, dass die wohl Probleme mit ihrem Ehemann und deshalb zu viel getrunken hatte. Ihre Kleidung war auf jeden Fall nicht ausgezogen sondern zerrissen, da lagen solche Fetzen am Boden. Ich hab ihr dann meine Jacke gegeben und sie nachhause gebraucht. Bezahlt hat sie aber, ihre Tasche hatte sie noch bei sich. Willst du wissen, was mein höchstes Trinkgeld war?

Ja! Bitte!
OK. Es gibt den Roten Hiasl, das ist so ein Lokal im 22. Bezirk. Ich habe einen Anruf von dort bekommen, bin hingefahren und reingegangen. Meine Kunden waren ein Mann und eine Frau, die haben da gerade Rotwein getrunken und gefragt, ob ich noch kurz Zeit hätte; ich sollte einen Kaffee auf ihre Rechnung trinken. Ich hatte Zeit, aber bezahlt hab ich trotzdem selbst. Die Frau hat sofort gesagt "Sie haben sicher schon die Uhr eingeschaltet". Ich hab gesagt "Nein", weil ich meine Uhr prinzipiell immer erst dann einschalte, wen ich die Adresse weiß. Aus meinem einen Kaffee sind dann drei Kaffee geworden. Ich musste 40 Minuten warten, bis sie eingestiegen sind.

Der Mann hat dann zuerst gefragt, wie viel es ungefähr nach Orth an der Donau kostet. Das ist in Niederösterreich. "Um die 40 Euro", hab ich gesagt. Er war einverstanden und hat mir direkt einen Hunderter in die Hand gedrückt. "Stimmt so", hat er gesagt. Die Frau hat ihn dann gefragt, ob er deppert wäre. Er meinte dann zu ihr, ich wäre halt leiwand, weil ich so lange gewartet hätte. Und dann hat er mir quasi zum Trotz noch einen Hunderter in die Hand gedrückt. Dann hat die Frau angefangen, laut zu schreien, wieso er einfach so sein Geld verschenke. Dann sagt er zu ihr: "Weißt du was, wenn du jetzt so bist, geb ich ihm noch einen Hunderter." Also hatte ich drei Hunderter, 40 Euro für die Fahrt und 260 Euro Trinkgeld.

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Die Frau wurde so wütend, dass sie richtig angefangen hat, ihn zu schlagen. Ich musste sogar stehenbleiben und hab gesagt, dass ich das Geld eh nicht will und dass sie aufhören soll. Der Mann hat dann die Frau angebrüllt: "Wenn du jetzt nicht sofort aufhörst, dann gebe ich ihm noch mehr! Und ich hab keine Hunderter mehr, sondern nur noch Fünfhunderter!" Und er hat dabei wirklich mit einem Bündel Fünfhunderter gewedelt. Da war die Frau dann still. Zu dem Zeitpunkt war sein Gesicht schon voller Blut, die Frau war wie eine wilde Katze. Das Geld hab ich behalten.

Sie hat gesagt, ich solle bitte ihre Freundin anschnallen, die vorne sitzt. Aber da saß niemand. Ich hab dann einfach den leeren Sitz angeschnallt.

Wie lange ist das her?
Auch so 13, 14 Jahre.

Du fährst ja schon so lange, hat sich über die Jahre hinweg die Kundschaft irgendwie verändert? Merkst du da was?
Ja, die Leute sind aggressiver geworden. Die saufen mehr Alkohol. Früher haben nur bestimmte Leute viel getrunken, jetzt saufen Jung und Alt, einfach alle. Generell ist halt einfach viel mehr los. Früher gab es unter der Woche nur ein paar Diskotheken, die offen hatten, und bei denen war auch nicht viel los. Heute ist immer irgendwo was. Vor drei Wochen stehe ich gerade so bei meinem Taxi, kommt da so ein besoffener Hawara daher und fragt mich nach dem Weg. Auf einmal sehe ich hinter mir einen Schatten, ein anderer Typ macht die Tür vom Auto auf, nimmt meine Kasse und mein Handy und beide laufen weg. Haben sich sogar noch umgedreht und gelacht. Zehn Meter bin ich ihnen nachgerannt, aber ich bin alt geworden, so gut kann ich nicht mehr laufen. Früher war das nicht so, früher konnte ich mein Auto offen lassen und weggehen.

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Normalerweise kriegst du bei der Taxi-Innung 150 Euro zurück, wenn du als Fahrer beraubt worden bist. Da bin ich damals auch hin und mir wurde dann gesagt, es wäre zwar Diebstahl, aber eben kein Raub. Mir wurden dann Fotos gezeigt von einem Kollegen, der mit einem Baseballschläger attackiert wurde. Nicht mal mehr Autofahren konnte der nachher noch, so schlimm war der zugerichtet. Und das sei dann Raub, hat man mir gesagt. Ich wurde Gott sei Dank noch nie krankenhausreif geschlagen, aber wer weiß. Einmal wurde ich kurz in die Schulter gestochen von einem, der nicht zahlen wollte.

Was machst du, wenn jemand nicht zahlen kann?
Da bin ich heute nicht mehr so kleinlich. Über 10 Euro kann ich noch hinwegsehen. Gerade letztens habe ich ein Mädchen vom Bollwerk abgeholt, die hatte sicher irgendwas genommen. Sie hat ständig "Halt!" gerufen, "Halt! Halt!", und gesagt, ich solle bitte ihre Freundin anschnallen, die vorne sitzt. Aber da saß niemand. Ich hab dann einfach trotzdem den leeren Sitz angeschnallt.

Eine andere Frau, schon etwas älter, wollte vor ein paar Wochen nach Graz gebracht werden. Irgendwann hat sie angefangen, sich auszuziehen und gesagt, überall wären Dämonen und dass ich so eine Brille bräuchte wie sie, um die Dämonen auch sehen zu können. "Da! Da wohnt der Teufel!", hat sie gebrüllt und auf ihren Intimbereich gedeutet. Ich hab sie sofort zur Polizei gebracht. So, hier abbiegen, oder? Hier im Stuwerviertel war übrigens früher der Babystrich. Also, die Mädchen haben schon ausgesehen wie 25, 26, aber in Wahrheit waren sie erst 14 oder 15.

Was? Woher weißt du dann, dass sie in Wahrheit erst 15 waren?
Ich bin Taxifahrer!

Franz twittert manchmal aus dem Taxi: @FranzLicht


Titelfoto: Evan Blaser | Flickr | CC BY 2.0