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Sex

Nein, weibliche Bisexualität ist kein Generation-Y-Symptom

Weibliche Sexualität muss unabhängig von der männlichen funktionieren. Und egal, ob Mann oder Frau: Sie muss für sich entdeckt werden.
Foto: Marco Monetti

Gestern kündigte 20 Minuten ein neues Zeitalter an: Das der flexiblen Sexualität, des erotischen Experimentierens und des hemmungslosen Hungers nach stimulierenden Erfahrungen. Die Mentalität der „Jungen" bringe diesen Wandel mit sich, denn die Generation Y habe keinen Bock mehr darauf, sich festzulegen. Schon klar, das Generation-Y-Symptom eben. Wir schieben Entscheidungen vor uns her, haben keinen Plan von der Zukunft und dümpeln deshalb lieber mit zugedröhnter Birne in dunstigen Kellerräumen vor uns hin und suchen in anderen Körpern nach Befriedigung unseres angestauten Drucks.

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Ich tue mich schwer, von mir selber zu sagen, dass ich mich mit der Generation Y identifiziere. Ich glaube aber auch, dass ich gut genug in jede Gen-Y-Schublade passe, um all den anderen stereotypischen Generationen einen Strick aus diesem Vorwurf drehen zu können. Ich tue mich schwer mit Entscheidungen, habe zwar eine Matur, mein Uni-Studium dann aber doch kurzerhand über Bord geworfen. Ich habe ein bisschen von dem betrieben, was mir Spass macht. Fliegen, Reisen, Feiern, Trinken und ja, auch mir zu überlegen, wo ich mein Glück finden würde. Auf der beruflichen Ebene, auf jeder Ebene, auch auf der sexuellen.

Foto: Dangerous Mathematicians | Wikimedia | CC BY-SA 3.0

Ich finde es sehr gefährlich, „die Jungen" grundsätzlich als Zugehörige der Generation Y zu bezeichnen. Ihre sexuellen Neigungen aber zusätzlich noch zu pauschalisieren ist offensichtlich nicht einmal ein Versuch, die Komplexität der Diversität verstehen zu wollen. Alle Menschen ab dem Jahrgang 1980 über einen Kamm zu scheren, kann wohl kaum Klarheit schaffen, wenn man die „neue Sexualität" verstehen möchte. Zu behaupten, dass die ganze Generation gleich bumst, ist dumm. Klar, auch während der Hippie-Bewegung war sexuelle Freiheit chic. Und doch führte nicht jedes junge Pärchen eine polyamoröse Beziehung. Man versuchte einfach, ein Leben zu leben, das man für richtig hielt. Und man fand seinen eigenen Weg.

So ist es auch bei der Gen-Y und so ist es auch bei mir. Irgendwann, wenn du deine ersten Erfahrungen gemacht und deine erste Beziehung gelebt hast, beginnst du dich zu fragen, wer du wirklich bist. Was du wirklich willst. Was dich als Menschen ausmachen soll und wird. Ich interessierte mich grundsätzlich früh für Mädchen und Jungen. Trotzdem stellte ich mir kein einziges Mal die Frage, ob meine Gefühle anderen Mädchen gegenüber etwas anderes als Freundschaft sein konnten. Es war mir immer klar: Ich würde einen Mann heiraten und Kinder bekommen. Mädchen waren Freundinnen. Ich war in meinem Denken über Zukunft, Liebe und Sexualität konditioniert.

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Diese Konditionierungen zu erkennen, ist der erste Schritt, zu sich selbst zu finden. Und dieser Schritt war für mich äusserst wichtig, um mit mir ins Reine zu kommen und mich ein Stück weit der Freiheit anzunähern, die ich für eine Selbstverwirklichung als notwendig empfinde. Also begann ich, mir Gedanken über mich und meine Tendenzen zu machen. Ich begann, mir einzugestehen, dass ich auch Frauen auf dieselbe Weise attraktiv finde wie Männer, mit denen ich schlafen würde. Und ich wusste plötzlich, dass ich mir selbst die Chance geben musste, diese Neigung in mir zu entdecken.

Es folgten vor allem betrunkene Nächte, die mir nicht allzu präsent in Erinnerung geblieben sind. In meine Erinnerungen—bestehend aus Euphorie-Fetzen, harten Beats, vielen Shots und feuchten Küssen—mischen sich nun Gefühle, die mir die Gewissheit geben, mich meiner wahren Person angenähert zu haben. Ich hatte keine ernsthaften Sachen mit Frauen. In Clubs haben mich Männer noch nie wirklich interessiert, bisher habe ich mich nur verliebt, wenn ich einen Mann näher kennengelernt habe.

Foto: Eva Rinaldi | Flickr | CC BY-SA 2.0

Mit Frauen war das anders. Frauen begannen mich vor allem hier zu interessieren. Die sexuelle Anziehung beim ersten Blickkontakt war ungemein viel grösser, als ich es jemals bei einem Mann erlebt hatte. Ich habe noch nie eine Frau wirklich geliebt. Ich habe noch keine Beziehung mit einer Frau geführt. Trotzdem weiss ich, dass ich klare bisexuelle Tendenzen habe.

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Ich fühle mich grundsätzlich schneller von Frauen sexuell angezogen, habe mich aber bisher immer in Männer verliebt. Grundsätzlich macht es aber für mich keinen Unterschied—es geht mir um Menschen, nicht Geschlechter. Ich bin nicht bisexuell, weil ich Zugehörige der sogenannten Gen-Y bin, ich bin nicht bisexuell, weil Promis wie Miranda Kerr oder Cara Delevingne Bisexualität so schön chic gemacht haben. Ich bin bisexuell, weil ich ich bin und frei sein will.

Dass sich Jugendliche plötzlich nicht mehr als eindeutig heterosexuell verstehen, ist nur deshalb eine neue Entwicklung, weil sie sich Freiheiten einräumen wollen. Die Freiheiten, über ihre Sexualität nachzudenken, bevor sie sich einordnen. Dass einem alle Möglichkeiten offen stehen, dass man Konditionierungen hinterfragt und dass man sein Leben möglichst frei gestalten kann, hat konsequenterweise einfach zur Folge, dass man auch sein Liebesleben neu überdenkt und feststellt, dass man mit einer vorschnellen Zuordnung seiner eigenen Sexualität vielleicht etwas verpasst. Oder sich eine Option, die noch gar nicht ausprobiert oder entdeckt wurde, verspielt. Bisexualität ist keine Phase. Bisexualität ist auch kein Symptom der Generation Y, so wie 20minsie definiert. Die Mentalität unserer Generation stellt bloss den Anspruch auf persönliche Freiheit und räumt so Chancen ein, den individuell richtigen Weg für sich selber zu entdecken.

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Foto: Mark Crossfield | Flickr | CC BY-SA 2.0

Jungs haben es laut 20 Minuten schwerer: Die gesellschaftliche Akzeptanz von männlicher Bisexualität sei deutlich geringer. Wieso aber ist das bei der weiblichen anders? Wenn ich mit einer Freundin in einen Club gehe, höre ich von Männern oft Sachen wie: „Küsst euch mal. Das sieht eh voll heiss aus." Weibliche Bi- oder Homosexualität wird von Männern oft für die eigenen Fantasien beansprucht. Weibliche Sexualität ist insofern akzeptiert, wenn sie der männlichen zuträglich ist. Das ist falsch.

Die weibliche Bisexualität muss an sich akzeptiert werden, ohne eine Funktion für die männliche Sexualität darzustellen. Erst dann ist sie wirklich akzeptiert und keine Phase oder sogar ein Gen-Y-Symptom. Wenn zwei Frauen mit Kurzhaarschnitt in der Öffentlichkeit rumknutschen, werden sie als Kampflesben beschimpft. Wenn zwei Blondinen mit Model-Massen dasselbe tun, werden Porno-Fantasien visualisiert. Anstatt die weibliche Sexualität für sich zu pachten, sollten auch die männlichen Angehörigen der Gen-Y zum nächsten Schritt ansetzen: Die eigene Sexualität revolutionieren, indem sie eigene Konditionierungen hinterfragen und sie dann brechen. Um frei zu werden.

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Titelbild: Marco Monetti | Flickr | CC BY-ND 2.0