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Nervt deine kleine Schwester? Dann bring sie halt um

Wir haben zwar 2013, aber in Jordanien musst du als Frau immer noch Angst haben, wenn du die Scheidung willst, oder vor der Ehe flirten willst. Die Männer bringen die im Namen der Ehre einfach um. Du kannst dich einbuchten lassen, denn nur im Knast...

Die Amman Festung in Jordan. Foto: via

In Jordanien ist es ziemlich einfach, mit Mord davon zukommen, solange das Opfer deine Frau, Schwester oder Tochter ist.

Rund 15 bis 20 Ehrenmorde werden jedes Jahr in dem arabischen Ländern an Frauen verübt. Im Gegensatz zu „klassischen“ Morden, ist das Strafmaß weitaus milder. Im Namen der Ehre zu töten scheint ein etwas paradoxes Konzept—jemanden umzubringen, um deine Probleme und Familienehre verschwinden zu lassen, ist so ziemlich genau das Gegenteil von ehrenhaft.

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Historisch gesehen ist Jordanien ein patriarchales Land und somit profitieren Männer seit jeher vom Justizsystem. Und wenn du weißt, dass du mit einem Verbrechen durchkommst—offenbar selbst dann, wenn das Verbrechen der Mord an deiner eigenen Schwester ist, weil sie dich blamiert hat—gibt es traurigerweise Menschen, die das dann tatsächlich machen.

Vor kurzem wurde eine Frau tot in der Nähe der jordanischen Hauptstadt Amman aufgefunden. Man hatte ihr die Kehle durchgeschnitten, den Bauch aufgeschlitzt und ihren vier Monate alten Fötus herausgenommen. International wurde kaum darüber berichtet und auch nicht aufgeklärt, warum das passiert ist.

Sawsan Zaidah.

Sawsan Zaidah, eine Journalistin, Medienanalystin und Feministin aus Amman, erklärt mir, dass die Tatsache, dass über dieses Verbrechen nicht als Ehrenmord berichtet wurde, immerhin eine „leichte Verbesserung, aber immer noch keine Fundamentale“ ist. Das scheint  gegen jedes Verständnis für Gerechtigkeit zu gehen. Aber in der Vergangenheit  „entschuldigte das den Mörder auf der legalen Ebene und er bekommt eine leichtere Strafe. Außerdem sympathisieren die Leute häufiger mit dem Mörder, wenn es sich um ein Verbrechen im Name der Ehre handelt.“

Im islamischen Recht gilt das Wort von zwei Frauen genau so viel, wie das von einem Mann, was schonmal kein guter Anfang ist. Wenn eine Frau umgebracht wird, weil sie fremd gegangen ist, sich geweigert hat, in eine arrangierte Ehe zu heiraten, Zeit mit einem Mann verbracht hat, der nicht ihr Ehemann ist, außerhalb der Ehe schwanger geworden ist oder sich mit jemandem verlobt hat, den die Familie nicht akzeptiert hat, gibt es Artikel 98 (für mildere Strafen) und Artikel 99 (Strafen werden gemildert, wenn die Familie des Opfers es entschuldigt) im jordanischen Strafgesetzbuch. Diese Artikel sind dafür da, dem Mörder die Strafen zu erleichtern oder die Klage wird, in manchen Fällen sogar komplett fallen gelassen.

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Eva Abu Halaweh von der Mizan Law Group for Human Rights erzählt mir, dass jordanische Richter, die—praktischerweise—größtenteils männlich sind, die Artikel 98 und 99 oft nutzen, um die Strafen von Männern zu milder. Sie wenden sie allerdings niemals für Frauen an, obwohl sie sich auf beide Geschlechter beziehen.

Und dann ist da noch Artikel 308, auch „Vergewaltigungsgesetz“ genannt, der Vergewaltigungsopfer zusätzlich belasten würde. Jedem Menschen der modernen Welt würde hier die Galle hochkommen. Das Gesetz verpflichtet Vergewaltigungsopfer, ihren Peiniger zu heiraten. Der wiederum wird nicht angeklagt. Obwohl es aus vorsinntflutlichen Zeiten zu stammen scheint, wurde das Gesetz erst im April 2012 wieder angewandt, was zeigt, wie tief Jordanien noch im Patriarchalismus verwurzelt ist.

Foto: via

Dank dieser Gesetze ist es schwer zu sagen, wieviele dieser Ehrenmorde tatsächlich etwas mit Ehrgefühl zu tun haben und wieviele mit Absicht so dargestellt werden, um der harten Strafe zu entgehen. Zaidah erklärt: „Bei einem Ehrenmord zeigen die Polizei und die Medienberichte nur die Sicht des Mörders, was dazu führt, dass die Öffentlichkeit Verständnis mit ihm hat. Aber es gibt viele—auch der Justizminister, den ich interviewt habe—die glauben, dass die Mörder manchmal lügen.“

Jordanien habe nur ein Frauenhaus, sagt Zaidah, dass „von der  jordanischen Frauengemeinschaft geführt wird. Aber viele Frauen wissen nicht einmal davon und viel Platz gibt es dort auch nicht, deshalb werden Viele zu ihrer eigenen Sicherheit ins Gefängnis gesteckt.“ Unnötig zu sagen, dass Menschen einzusperren, damit sie nicht angegriffen oder umgebracht werden, nicht gerade ideal ist. Es ist wenig überraschend, dass diese Frauen „nicht ins Gefängnis wollen, obwohl sie so verzweifelt sind. Und sie können nicht beeinflussen, wann sie wieder freigelassen werden.“

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Laut Halaweh sind rund 50 Frauen aus diesen Gründen im Gefängnis—zusätzlich zu den ungefähr 30 Frauen, die jede Woche zu ihrer Organisation kommen, um Zuflucht vor physischen Bedrohungen zu suchen oder rechtliche Unterstützung, weil sie sich demnächst scheiden lassen wollen.

Halaweh beschreibt mir einen Fall, an dem sie seit der vorherigen Woche arbeitet: „Eine Frau war zu Hause als ihr Bruder einbrach, weil er wütend über ihre bevorstehende Scheidung war. Er drohte an, sie zu verprügeln. Sie rief uns also an. Ich rief die Polizei, die gingen zu ihrem Haus. Ihr Ex-Mann und ihr Bruder wurden mit aufs Revier genommen, aber sie wurden weder festgehalten noch angeklagt. Wir suchen jetzt eine Wohnung für sie, sodass ihre Familie sie nicht mehr finden kann.“

Obwohl sie in diesem Fall im ersten Moment durchaus geholfen haben, „sind Polizisten oft Teil des Problems“, sagt Zaidah. „Von dem, was von ihren Untersuchungen durchsickert, sehen wir, wie voreingenommen sie sind. Wir können nicht komplett beweisen, dass sie auf der Seite der Männer stehen, aber viele Fälle weisen darauf hin, dass das leider der Fall ist. Zum Beispiel hatten wir früher das Problem, dass eine Frau, die zur Polizei ging um ihren Mann oder Vater anzuzeigen, von den Polizisten ein schlechtes Gewissen eingeredet bekommen hat: 'Wie kannst du das machen? Du kannst doch nicht deinen eigenen Vater anzeigen.' Als würde sie etwas falsch machen, obwohl sie diejenige war, die verprügelt wurde.“

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Eva Abu Halaweh (hinten links) beim International Women of Courage Awards in 2011. Foto: via

In einer jordanischen Zeitung wurde vor kurzem eine Studie veröffentlicht, in der es hieß, dass „70 Prozent der Frauen akzeptieren, dass ein Mann seine Frau schlagen kann, wenn sie einen Fehler gemacht hat“. Und nach der Scharia dürfen Männer Frauen schlagen. Aber die Studie war problematisch, wie Zaidah mir erklärt, weil sie in einem islamischen Kontext ausgeführt wurde und nur wenig Diskussionsfreiraum ließ. „Frauen akzeptieren es nicht, geschlagen zu werden“, sagt sie. „Der Islam kreiert diese Verwirrung und es ist viel komplizierter, als die Studie es darstellt.“ Laut Zaidah werden solche Studien fast einmal im Jahr veröffentlicht, die die gesellschaftliche Erwartungshaltung verstärkt, nach der Frauen unterwürfig sind und akzeptieren, dass ihnen für die kleinsten Dinge die Scheiße aus dem Leib geprügelt wird.

Angesichts solch eines Aufwands hinter der offenbar religiöse Pro-Frauen-Verprügel-Kampagnen stehen, könnte man denken, dass Ehrenmorde vor dem gleichen Hintergrund entstanden sind. Aber sie sind kein direktes Produkt des Islams. „Das passiert in Städten wie Madaba und Karak, mit christlichen Gemeinden“, erklärt Halaweh. „Es könnte auf die alten patriarchalen Stammestraditionen zurückgehen oder von unterschiedlichen religiösen Interpretationen stammen. Es gibt auch Leute, die glauben, es habe etwas mit der wirtschaftlichen Lage der Menschen, die diese Verbrechen verüben, zu tun, weil das hauptsächlich in armen Familien passiert—arbeitslose Mörder, die sich in der Gesellschaft etwas beweisen müssen.“

Es ist ein äußerst bizarrer Beweis der eigenen Existenz, aber es ist einer, der sich in die jordanische Kultur eingebrannt hat. Vielleicht dauert es noch Jahre, bevor sich für die Frauen in Jordanien etwas ändert, sagt Zaidah. „Was Verbrechen im Namen der Ehre angeht, mögen sich ein paar Dinge verbessern, aber dann wird man wieder neue Wege finden, um Frauen zu diskriminieren. Selbst wenn Ehrenmorde verschwinden, wird es neue Bereich geben, in denen Frauen mies behandelt werde.“