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Ich war auf dem Neustifter Kirtag und es war ziemlich skurril

Im Endeffekt war das alles viel härter als gedacht.

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Der Neustifter Kirtag ist das Straßenfest der Elite. Das Event des Jahres, wo sich auch Normalsterbliche in Tracht werfen und so tun können, als wären sie auch aus dem 19. Bezirk. Fast könnte man von einem „kommunistischen Geist" sprechen: In Tracht sind wir alle gleich. Das Wochenende, an dem die Passage, Volksgarten und Platzhirsch Gäste auch untertags öffentlich zusammen trinken dürfen. Aber zurück zum Anfang.

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Eigentlich wollte ich den Neustifter Kirtag am Freitagabend besuchen. Dazwischen gekommen ist mir mein Dirndl, das ich in der Zeit vor der Grill-Session gekauft habe. Resultierend daraus stand ich Freitag Abend mit einem geplatzten Dirndl da und ich habe mich geweigert, ohne ein solches hinzugehen. Ich wollte ja auch gleich sein. Außerdem liebe ich mein Dirndl heiß und ich habe kaum Möglichkeiten es anzuziehen.

Deshalb praktizierte ich mit einer Freundin ein desaströses Frusttrinken und in späterer Folge ein noch desaströseres Fortgehen. Den nächsten Vormittag verbrachte ich mit einer Suche nach einem Schneider, dem Formulieren von monetären und emotionalen Bestechungen um es am selben Tag noch heil zurückzubekommen und der Frage, wie ich mit drei Stunden Schlaf den Kirtag überleben soll. Oder sonst irgendetwas überleben soll.

Um 19:00 Uhr kamen wir vor Ort an. Das erste, was mir auf dem Event auffiel, waren die vielen Menschen. Es war ein bisschen so wie samstags im Ikea, nur betrunkener und traditioneller. Aus irgendwelchen Gründen musste ich die ganze Zeit daran denken, dass eine neue Pest das Problem der Überbevölkerung aus der Welt schaffen würde—keine Ahnung, weshalb.

Vor dem Eingang waren zwei FPÖ-Stände und ein Neos-Stand. Seltsamerweise habe ich keinen KPÖ- oder SPÖ-Stand entdecken können. Auf Facebook habe ich gesehen, dass niemand Geringerer als Manny Juraczka das Fest eröffnet hat—und das ist sowieso die allergrößte Ehre. Die Neos verteilten Luftballone, deshalb sah ich ganz viele Kinder mit pinken Luftballons auf denen „Bereit für die erste Mille" stand. Ich glaube der Schmäh an dem Spruch ist, dass Mille für Million und Promille steht, aber ich weiß nicht, ob die 8-jährige Oberschicht das verstanden hat.

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Es gab ganz viele Männer, die vom Beruf vermutlich „Sohn" sind, wohlstandsverwahrloste Teens, Pensionisten mit Klischee-Parolen und Menschen die so tun, als würden sie dazugehören. Also eigentlich eh ein repräsentativer Querschnitt der Döblinger Bevölkerung, dachte ich. Ich war komplett verloren, also entschied ich mich, mit der Masse mitzugehen.

Das Ganze schaut so aus: Man geht eine Straße rauf. Und dann geht man sie wieder runter. Das wiederholt man, so oft man möchte. Auf den Straßenseiten sind so lustige Dinge wie Frozen Yoghurt- und Coffee to go-Standln. Außerdem habe ich ein Stand gesehen, wo man Tier-Schädel-Skelette besetzt mit Glitzersteinen kaufen konnte.

Da standen auch echt Leute und haben mit einem Kauf geliebäugelt. Zugehört habe ich zum Beispiel einem Typen in Lederhose samt Seitenscheitel und seiner sehr schönen russischen Freundin, die sich für 15 Zentimeter hohe High-Heels zum Kirtag entschieden hat. Ich wollte schon fragen, ob sie einen Privat-Hubschrauber anrufen würden, weil so ein Hirschschädel mit Geweih sonst ja kaum zu transportieren ist (erst recht nicht mit solchen Schuhen).

Es gab keine Sitzplätze, weil die kleinen Heurigen natürlich von Einheimischen ausgebucht sind und so etwas wie ein „großes gemeinschaftliches Zelt mit Bänken" wahrscheinlich zu sehr Mittelschicht wäre. Deshalb spaziert man mit 300 Menschen pro Quadratmeter diese eine Straße auf und ab. Alle fünf Meter stehen Polizisten, die sich aber für die jugendlichen Alkoholleichen am Rand nicht wirklich interessierten (andererseits, so interessant waren sie auch wirklich nicht). Ich glaube, es ging der Polizei—genau wie den Besuchern—einfach nur darum, Präsenz zu zeigen.

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Noisey: Meine Nacht in der Passage

Die Getränkeausgabestellen hätte ich beinah zu meinem neuen besten nichtmenschlichen Freund gekürt, wenn ich nicht 20 Euro für zwei große weiße Spritzer und zwei Jägermeister gezahlt hätte. In der Warteschlange, die nie aus weniger als 50 Leuten bestand, sprach ich mit ein paar reschen Burschen.

Sie waren alle sehr freundlich; einer hat mir sogar Koks angeboten. Ich habe ihn—natürlich völlig schockiert—gefragt, wo man hier bitte Drogen konsumieren würde. Er hat allen Ernstes auf den Platz hinter einem Polizeiauto gezeigt, weil ja die Klos so überfüllt wären. So einen „Fuck the System"-Geist gibt es nicht mal bei mir an der Soziologie.

Da ich mir leider keine Polizei leisten kann, meine Eltern auch nicht Freunde vom Polizeichef sind und Drogen sowieso schlecht sind, habe ich dankend abgelehnt. Weitere Sätze, die ich aufschnappen konnte: „Ich bin ja kein Rassist, ABER …", „Ruf doch einfach ein Taxi, dann fahren wir halt ins Burgenland" und „Sie hat ein Alkoholproblem, ich mag sie ur". Die Schlange vor der Getränkeausgabe war eigentlich mein persönliches Highlight des Kirtags.

Als ich im Laufe eines Gespräches mit zwei Burschen gesagt habe, dass ich ein Bericht für VICE mache, haben sie sich angewidert weggedreht und nicht mehr mit mir gesprochen. Die „Setzt euch zu uns"-Einladung war somit auch automatisch passé. Menschen aufgrund eines Merkmals nicht zu mögen und nicht zu integrieren, finde ich persönlich sehr falsch, deshalb hat es mir nicht so sehr wehgetan, meine neuen Freunde zu verlieren.

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Außerdem haben mich die Jägermeister-Shots motiviert, zu Helene abzugehen, die einfach bei jedem Heuriger, nur fünf Minuten versetzt, gespielt hat. Es war wie ein ganz arger Fiebertraum: Die eine Straße vollgefüllt mit schönen Menschen und edlen Ständen. Auf der Seite hinter den Standln—Schmutz, Elend und Kotze. Auch hier, fand ich, hat der Kirtag Döbling ganz gut getroffen.

Irgendwann musste auch ich aufs Klo und wagte mich deshalb mit meiner Begleitung in einen der Heurigen rein. Das war klarerweise eine Scheiß-Idee, da in einem Raum, in dem die Fassungsmenge bestenfalls 50 Menschen beträgt, zirka 300 drinnen waren.

Technopartys werden vom Amt sofort abgedreht, sobald die zulässige Besucheranzahl auch nur um vier Menschen überschritten ist. In Wien ist Brandschutz und so ja extrem wichtig. In Neustift geht man in einem Raum aus Holz mit 200 Menschen aber samt Tschick in der Hand nicht, von einem Brand aus.

Die Kloschlange war riesig, was alle rauskommenden Männer zu dem Spruch „Na Ladys, gibt's hier was gratis?" bewegt hat. Mit einem Lacher reagierten nur blondierte +40 Frauen, die wahrscheinlich auf der Suche nach dem nächsten reichen Ex-Mann waren. Die jungen Mädels schauten nur beschämt auf ihre MK-Tasche. Mein Ziel ab dem Zeitpunkt war einfach nur, das Ganze zu überleben.

Nächstes Jahr komme ich ausgeschlafen, reserviere mir einen Tisch und werde im Vorfeld 500 Euro sparen—dann wird das sicher eine coole Party.

Bei der Bar wollte ich mir unbedingt „Die Internationale" wünschen, so just for fun, ein bisschen das Jedermann-Ensemble nachäffen. Es gab leider keine Ansprechperson („I woas ned, wer die Musik mocht, schauen'S nach vorn") und außerdem hatte ich Angst, totgetrampelt zu werden. Ich bin bereit, einen Märtyrer-Tod zu erleiden, aber nicht zum Sound von Helene. Auch wenn der Tod „Totgetrampelt von der Oberschicht" etwas schrecklich Schönes und Bezeichnendes hätte.

Irgendwann verwandelte sich die ganze Party in eine (anscheinend nicht genehmigte) Afterhour. Der Kirtag hat laut Facebook nur bis 22:00 Uhr offen, aber auch lange nach elf kamen immer mehr und mehr Menschen. Auch das schien die überpräsente Polizei nicht zu stören. Mich eh auch nicht, ich war sehr glücklich mit meinem Spritzer. Ich habe mich auch supergut unterhalten.

Lange blieb ich trotzdem nicht, ich war zu fertig und ich hatte einfach bereits seit zwei Stunden kein Geld mehr. Die Menschenmengen haben es außerdem unmöglich gemacht, meinem Körper zu Andreas Gabalier zu bewegen, wofür ich heute dankbar bin. Nächstes Jahr komme ich fit und ausgeschlafen. Und ich reserviere mir einen Tisch. Außerdem werde ich im Vorfeld 500 Euro sparen. Und dann wird es eine ziemlich coole Party. Glaube ich.

Fredi ist auf Twitter: @schla_wienerin