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All meine Facebook-Freunde sind radikale Jihadisten

Vor einigen Wochen erst hat Facebook meinen Account gelöscht, zu viele radikale Posts, denke ich. Aber ich wurde nicht einmal vorgewarnt, und von einem Tag auf den anderen waren alle meine 750 Jihad-Freunde plötzlich weg.
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Im Netz ist alles zu finden, wonach man sucht. Ob die neuesten Hollywood-Blockbuster oder eben die Bauanleitung für eine Bombe. Aber was den Online-Jihad angeht, so ist es nicht leicht, auf dem Laufenden zu bleiben. Das weiß ich aus eigener, bitterer Erfahrung. Vor einigen Wochen erst hat Facebook meinen Account gelöscht, zu viele radikale Posts, denke ich. Aber ich wurde nicht einmal vorgewarnt, und von einem Tag auf den anderen waren alle meine 750 Jihad-Freunde plötzlich weg. Meine Informationen über die Szene damit auch. Zum Glück war mein zweiter Arbeits-Account gesichert. Es ist nicht leicht, sich im Jihad-Online-Untergrund durchzusetzen, Vertrauen aufzubauen und Kontakte zu halten. Der Markt ist durchsetzt von „Verfassungsschmutz“, wie er in einschlägigen Kreisen genannt wird, und von Journalisten wie mir, die auf der Suche nach den neuen, heißen Infos zum aktiven Jihad in Deutschland suchen. Alle sind misstrauisch, mich eingeschlossen. Man weiß ja nie: Chatte ich gerade mit einem wirklich radikalen Fanatiker oder mit einem Verfassungsschutzmitarbeiter, der sich ebenso wie ich ein radikales Interface zugelegt hat. Zum Beispiel so: Geburtstag: 11. September. Politische Ansichten: Kampf. Religiöse Ansichten: Islam. Na ja und Geburtsort: Kabul oder so oder Bonn. Ausgerechnet Bonn? Die ehemalige Hauptstadt von Westdeutschland, die Provinz. Ja, immer wieder gerät Bonn im Zusammenhang mit militantem Jihadismus in die Schlagzeilen. Das kleine Städtchen am Rhein ist nicht nur für den Karneval und die Alte Republik bekannt, sondern seit einigen Jahren auch für jihaditische Aktivitäten. In diesem Jahr ging es in Bonn in Sachen Militanz stürmisch zu. Vergangene Woche wieder. Eine herrenlose Sporttasche am Bonner Hauptbahnhof, Gleis 1. Ein Tag im Advent. In der blauen Nylontasche befindet sich eine Bombe. Darin ein 40 Zentimeter langes Metallrohr, gefüllt mit Ammonium-Nitrat, ein Kabel führte zu den Batterien. Sprengfähig. Die Bombe zündet nicht, die Apokalypse im Advent bleibt aus. In Bonn bleibt es ruhig. Es waren mehrere Täter, die die Tasche am Hauptbahnhof abstellten, so rekonstruierten die Behörden mithilfe von Videobildern aus der nahegelegen McDonalds-Filiale den Tathergang. Die Videoüberwachung der Deutschen Bahn nämlich wurde nicht gespeichert, daher gibt es keine Bilder von der Tat. Ein Sicherheitsrisiko, meinen Politiker, und prompt wird die Überwachung im Öffentlichen Raum erneut diskutiert. Londonlike.
Die Bombe war baugleich mit einer Bauanleitung, die online zu finden ist, und zwar gar nicht so tief verborgen. In dem Online-Magazin Inspire wurde in der ersten Ausgabe im Sommer 2012 der Artikel "How to build a Bomb in the Kitchen of Your Mother" veröffentlicht.

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Herausgeber ist der al-Qaida-Ableger im Jemen. Der Jihad findet online statt und ist digital geworden. Inzwischen sind neue Hefte erschienen, jedes in schickem Layout, aber mit eindeutiger Ideologie: Globaler Jihad—auf Englisch. Scheiterte der Bau einer Bombe bisher noch daran, dass die Chemikalien in Europa nicht verfügbar waren, die Übersetzungen aus dem Arabischen, Urdu oder Dari fehlerhaft waren oder simpler, die klimatischen Verhältnisse nicht übereinstimmten, so steht einer selbstgebastelten Bombe heute nichts mehr im Weg. Denn auch die Ideologie hat sich gewandelt. Dieser Anschlag offenbart eine neue Dimension in der Strategie militanter Jihadisten in Deutschland. Es hat längst ein Umdenken in einschlägigen Kreisen stattgefunden: vom großen Anschlag á la 9/11 oder Sauerlandzelle geht der Trend heute zum kleinen Anschlag á la Bonn. Die Ereignisse in dem kleinen Provinznest begannen dieses Jahr im Mai. Die Sicherheitsbehörden vermuten über hundert Sympathisanten in dem 300.000-Einwohner-Städtchen, manche davon stufen sie sogar als Gefährder ein. Bei einer Demonstration im Mai mit Auseinandersetzungen zwischen der rechtsradikalen Splitterpartei Pro-NRW, die Mohammed-Karikaturen zeigte, und muslimischen, salafistischen und jihadistischen Demonstranten. Ein Akteur der Gewalt war Murat K., ein 26-jähriger Türke aus Hessen, der Polizisten mit einer 22 cm lange Messerklinge angriff und zustach. Er wurde noch am Tatort festgenommen und später zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Murat war extra zur Demonstration angereist.

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Und tatsächlich wurde die Messerattacke von Bonn in einem Video aufgegriffen. Am Mittwoch wurde auf einschlägigen Internetseiten eine Botschaft von Cuspert für Murat K. veröffentlicht. Es ist ein Loblied für den „Helden der Umma“, für den „Löwen Allahs“. Doch Denis Cuspert geht noch einen Schritt weiter, als ihn nur zu lobpreisen. Er droht damit, deutsche Staatsbürger als Geiseln zu nehmen, um ihn freizupressen. „Oh Löwe Allahs wisse, wir vergessen dich nicht. Dich zu befreien machen wir uns zur Pflicht!“ und erfährt fort: „Jeder Beleidiger des Gesandten wird geschlachtet, ob fern oder nah. Und wisse, oh Bruder, die Deutschen sind auch zum Greifen nah. Wir werden sie gefangen nehmen, bis du frei bist für deine edle Tat.“
Der ehemalige Gangster-Rapper Deso Dogg, mit dem bürgerlichen Namen Denis Cuspert, der vom klassischen Bad Boy zum Sprach- und Gesangsrohr des militanten Flügels wurde, war bei der Demonstration in Bonn auch dabei. Er hat aus seiner radikalen Gesinnung nie ein Geheimnis gemacht, so rief er in zahlreichen Nasheeds (islamischen Liedern) zur Gewalt auf: „Wir kämpfen, fallen, Shohada (Märtyrertod), den Feind im Auge Bismillah (Mit Gottes Segen).“ Auch sein Facebook-Profil hat eine eindeutige Sprache gesprochen. Mit meinem inzwischen gelöschten Facebook-Account konnte ich damals noch ein Profilbild von ihm sichern. Darauf kuckt er grimmig und streckt den Zeigefinger mahnend in die Luft. Auch er wurde bei der Demo festgenommen, kam aber schnell wieder auf freien Fuß und hat sich inzwischen ins Ausland abgesetzt, nach Ägypten und dann weiter nach Libyen.

Auch auf Facebook, der einschlägigen Szene, werden die Medienberichte über die neueste Videobotschaft von Cuspert kommentiert: So schreibt ein User: „man alter walter subahnallah langsam platzt mir die seifen blase immer diese lügen die kuffar gehen mir echt langsam auf die Nüsse was für Geiselnahme subahnallah ich würde diesen kerl sein genick brechen der so über unsre brüder redet“.
Ein anderer User ergänzt: „Die Schreiberlinge von den Juden wollen so darstellen, als hätte der Bruder ne schwere Kindheit und Jugend, keine Persönlichkeit und sei dadurch so anfällig für Islam Praktizieren geworden. …. Die stellen dort auch eine Sache mit einem Bild bestimmt total falsch dar, um ihn auch als Schwächling darzustellen, der nicht zu seiner Sache steht und nicht einmal wüsste ob für Prophetenbeleidigung der Tod steht…..Und überhaupt immer und immer wieder: Die sind Terroristen, Vergewaltiger, Urinierende Sadisten, Quäler, der letzte Satanische Abschaum und reden von Menschenrechte und das was sie unter Freiheit von Frauen verstehen (Prostituiert, durchgeknallt, zügellos, schamlos, verdorben, sich verkaufend) authu billah - kein Vergelich mit einer muslimsischen Frauen mit Schamhaftigkeit und Ehre.“

Die Botschaft des radikalen Jihad verbreitet sich online. Das Netzt kennt keine Grenzen: Dort werden nicht nur Bombenanleitungen heruntergeladen, sondern auch die passenden Ideologien verbreitet. Am Ende laufen die Fäden zwischen Jihad online und offline zusammen. Ich beobachte die Online-Szene weiter und hoffe, dass mein Facebook-Account heute nicht gelöscht wird.