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20 Jahre nach dem Srebrenica-Massaker steht die Mitschuld der niederländischen Truppen fest

Ein niederländisches Amtsgericht entschied, dass die niederländischen Streitkräfte, die damals in Srebrenica stationiert waren, Schuld an den Toden von 300 Bosniaken tragen. Insgesamt wurden aber rund 8000 Menschen durch serbische Streitkräfte getötet.

Foto: flickrMartijn Munneke

Während des Sommers 1995, als sich der Bosnien-Krieg auf seinem Gipfel befand, hielten bosnisch-serbische Streitkräfte eine brutale Belagerung in der Grenzstadt Srebrenica ab. Die Tötung von Tausenden Männern gilt dabei als ausschlaggebendster Moment des Konflikts. Mehr als 19 Jahre später hat ein niederländisches Gericht einen ersten Schritt unternommen, um die internationale Gemeinde für das fehlgeschlagene Verhindern des Massakers verantwortlich zu machen. Das niederländische Amtsgericht entschied, dass die holländischen friedenserhaltenden Streitkräfte (Dutchbat), die damals in Srebrenica stationiert waren, Schuld an den Toden von 300 Bosniaken—darunter auch Kinder—tragen. Insgesamt wurden aber rund 8.000 Menschen durch serbische Streitkräfte getötet.

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„Das stellt eine wichtige Entscheidung dar, da die Angehörigen der Opfer seit fast 20 Jahren um eine Anerkennung der niederländischen Beteiligung bemüht sind. Dadurch wird ein Kausalitätszusammenhang hergestellt.“, so Jelena Subotic, außerordentliche Dozentin an der Georgia State University, gegenüber VICE News. Ob die Dutchbat-Streitkräfte und die UN-Friedenswächter genug unternahmen, um die Gräueltaten zu verhindern wird schon lange angezweifelt, 2002 trat im Zuge der Diskussion sogar das gesamte niederländische Regierungskabinett zurück.

Obwohl Srebrenica nur knappe 16 Kilometer von der serbischen Grenze entfernt liegt, wurde die Stadt im Bosnienkrieg 1992 bis 1995 zum Zufluchtsort für Bosniaken (bosnische Moslems), die vor der ethnischen Säuberung auf der Flucht waren. Trotz der Tatsache, dass das Gebiet unter UN-Schutz stand, begannen bosnisch-serbische Streitkräfte am 6. Juli 1995 mit der Belagerungs- und Beschusskampagne. Mehr als 20 000 Bosniaken suchten in der Friedenswächter-Basis und den Dutchbat-Anlagen Zuflucht. Sie wurden weggeschickt und man versichterte ihnen, dass ihre Sicherheit gewährleistet ist. Kurz danach wurden tausende bosniakische Männer von den Serben entführt und die ersten Berichte der Tötungen kamen am 13. Juli an die Öffentlichkeit.

„Als man die Männer wegschickte, hätte Dutchbat wisssen müssen, dass ein Völkermord stattfindet und die Männer einem ernsthaften Risiko, getötet zu werden, ausgesetzt sind.“, so Peter Blok, der bei dem Gerichtsentscheid vorsitzend war. Der Beschluss bestimmte: „Es kann mit ausreichender Sicherheit gesagt werden, dass die unter der Kooperation von Dutchbat abgeschobenen Männer noch am Leben wären, hätte man ihnen erlaubt, in der Anlage zu bleiben. Damit handelte Dutchbat rechtswidrig.“ Der Fall wurde von „Mütter von Srebrenica“, einer Gruppe von Angehörigen der Opfer, ins Leben gerufen. Das Urteil stellt die Ankläger aber nicht unbedingt zufrieden—viele sind verärgert, dass die Niederlande für relativ wenige der Morde zur Rechenschaft gezogen wird, nämlich nur die der 300 Männer, die im Dutchbat-Hauptquartier Zuflucht suchten.

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„Offensichtlich hat das Gericht kein Gefühl für Gerechtigkeit“, so Munira Subsasic, eine Repräsentantin der Gruppe gegenüber BBC. „Wie ist es möglich, dass man die Opfer so aufteilt und einer Mutter sagt, dass der Staat Holland für den Tod ihres Sohnes verantwortlich ist und nicht für den Tod des Sohnes einer anderen?“

Diese Entscheidung kommt nur ein paar Tage vor dem jährlichen Gedenktag für die Opfer von Srebrenica in Bosnien und anderen Ländern am 11. Juli. Dieses Jahr erinnerte Srebrenica während des Gedenktages mit einer Massenbeerdigung von 175 Opfern an das Massaker von 1995. Die Anti-Kriegs-Gruppe „Woman in Black“  wurde in Serbien, wo der Völkermord von 1995 noch immer nicht zur Gänze anerkannt wird, schon vor dem Abhalten ihrer Mahnwache bedroht.

„Alles was mit Srebrenica zu tun hat, öffnet immer Wunden, die nie richtig geheilt sind“, so Richard Kauzlarich, ehemaliger US-Botschafter  Bosnien und Herzegowinas, gegenüber VICE News. „[Der Gerichtsfall] ist in sich selbst bereits ein bitteres Mahnmal an diese furchtbaren Tage in denen Srebrenica fiel.“ Kauzlarich meint, dass die ethnischen Spannungen im Land nicht aufgelöst worden sind und diese Ereignisse einen Grund geben, die Auslöser für den Konflikt von damals erneut zu untersuchen.Der materielle Schaden des Kriegs wurde zum Großteil behoben, aber die psychische Angst und der Hass anderen gegenüber ist noch immer allgegenwärtig.

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Subotic erwartet nicht, dass diese Entscheidung die Versöhnungsbemühungen beeinflusst: „Ich glaube nicht, dass diese Entscheidung viel ausrichten wird, weil die Kultur der Verleugnung der bosnischen Serben-Gemeinschaft sehr stark ausgeprägt ist“. Weiters gibt es Bedenken, dass die Feststellung der Schuld der UN-Friedenswächter zukünftige Missionen beeinträchtigen könnte. Subotic, die mit diesen Annahmen nicht übereinstimmt, sagte: „Das Verhalten der niederländischen Truppen war so unerhört und gleichgültig dass ich glaube, dass jede profesionelle und ethisch ausgebildete Friedensmission in der Zukunft in der Lage sein muss, so ein Verhalten zu vermeiden.“.

Nichtsdestotrotz könnte der Schaden an den Fähigkeiten der UN, mit Konfliktsituationen umzugehen, schon lange vor dem Eingreifen des niederländischen Gerichts angerichtet worden sein. Im Bezug auf die UN als Ganzes, sagte Professor David Gibbs, von der University of Arizona, VICE News gegenüber: „Die Schuldfähigkeit der UN wurde zu stark betont und wirkt unfair im Angesicht der Tatsache, dass die UN-Truppen ohne klaren Auftrag oder der Absicht auf schweres Gefecht entsandt wurden.". Weiters erklärte er, dass Bosnien und besonders das Versagen in Srebrenica dafür verantwortlich sind, dass die UN als schwach angesehen wird, während der Status der NATO davon bekräftigt wurde. Gibbs fügt hinzu, dass dieses Vermächtnis weiter verstärkt wurde, als die NATO erfolgreich militärische Eingriffe in Bosnien und im Kosovo durchgeführt hat, und damit die militärische Intervention als beste Möglichkeit erscheinen ließ.

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„Was in Srebrenica passiert ist, ist eine fürchterliche Sache. Die Exekution von 8.000 Menschen ist grauenhaft, aber es bleibt die Frage, wie man das nutzt, um militärische Eingriffe zu rechtfertigen“, so Gibbs, der damit den Irak-Krieg als Beispiel hervorhebt, bei dem die USA den UN-Sicherheitsrat umging.

Richard Kauzlarich hebt noch einmal  die jüngsten Ereignisse als Beispiel für die Defizite der internationalen humanitären Interventionen hervor. Er erwähnt dabei besonders stark die aktuellen Situationen in Syrien, der Zentralafrikanischen Republik und der Halbinsel Krim, wo die internationale Gemeinschaft beschuldigt wurde, nicht genügend zum Schutz der Zivilbevölkerung beizutragen. Die UN bestätigt dieses Problem in einem Bericht diesen Frühling, in dem die Friedenswächter und der Schutz der Zivilbevölkerung evaluiert wurden. Den Berichten zufolge haben die Friedenswächter in den 10 der tödlichsten Zusammenstößen zwischen 2010 und 2013 nicht mit Waffengewalt reagiert.

„Die Lektion wurde nicht auf eine Art gelernt, die in qualitativ besseren Eingriffen resultierte, denn die selben Probleme sind noch immer präsent“, so Kauzlarich.

Kayla Ruble auf Twitter @RubleKB

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