Wie ich fünf Prostituierte in Osteuropa kaufte, ohne es zu merken

FYI.

This story is over 5 years old.

Sex

Wie ich fünf Prostituierte in Osteuropa kaufte, ohne es zu merken

„Bring us to a titty bar! Titty bar!", hörte ich noch unseren Fotoredakteur den Taxifahrer anbrüllen. Wie wenig wir in diesem Moment davon wussten, was auf uns zukommen würde.

„Bring us to a titty bar! Titty bar!“, hörte ich unseren Fotoredakteur Grey den Taxifahrer anbrüllen, während ich meinen Kopf rhythmisch gegen die Scheibe fallen ließ. In diesem Moment dachte ich noch, das wäre das Sinnvollste, was ich seit langer Zeit gehört habe. Wie wenig wir damals wussten …
Wir waren noch immer in Riga und nun auf der Suche nach Drogendealern und Stripperinnen. Für Interviews und Fotos selbstverständlich. Und wo findet man Drogendealer und Stripper? Im Rotlichtbezirk. In Stripclubs. In einer „titty bar“. Der Taxifahrer kurvte durch die Straßen der Altstadt, während von der Rückbank noch immer lautstark „titty bar“ skandiert wurde. Die Nacht dauert so hoch im Norden nur knapp drei Stunden und es wurde bereits wieder taghell. Ich kann also nicht mehr sagen, wie spät es wirklich war, aber es fühlte sich bereits an, als wäre es eine Million Uhr morgens. Der Laden war beschissen wie jede Stripteasebar auf der Welt. Furchtbares rotes Licht, falsche Palmen, die Wände voller Spiegel und an der Decke drehte sich in tragischer Langsamkeit eine Diskokugel, die das farbige Licht aus der Lichtorgel gepunktet zurück auf die Tanzfläche und die obszön falschen Brüste der Stripperinnen warf, die sich dort an der Stange verbogen. Jeder Laden auf der Reeperbahn sieht genauso aus. Auch der Ablauf, der folgte, ist ebenso wie überall sonst. Man gibt seine Kameras ab und dann sitzt man, trinkt ein Bier und starrt. Dann kommen die Stripperinnen.   Wir unterhielten uns also und versuchten, irgendetwas Interessantes aus ihnen herauszubekommen, das wir irgendwie verwerten können, doch natürlich ist ihre Zeit wertvoll und Zeit ist bekanntlich Geld und Geld ist bekanntlich das Wichtigste, wenn man schon seinen Körper verkaufen muss. Gütig und dumm wie wir waren, luden wir sie auf einen Drink ein, dessen Namen wir noch nie zuvor gehört hatten und den ich nie wieder hören will. Die ersten „Glamorous“ wurden serviert.
Die zwei Tussis fingen also an zu trinken und zu trinken, wir quatschten drauf los. Das Tragische mit Leuten, die in der „Erwachsenenunterhaltung“ arbeiten, ist, dass sie meistens alle das Gleiche zu erzählen haben und das ist entweder nicht viel oder viel zu furchtbar. Irgendwann hatten wir also genug, da wir feststellten, dass da nichts mehr zu holen war.
Wir wollten einfach nur zahlen, gehen und schlafen, da wir am nächsten Tag eine Menge auf der Agenda hatten, doch als mir die Rechnung überreicht wurde, stutzte ich erstmal und meine Pupillen weiteten sich so sehr, dass man hätte meinen können, ich wäre auf einem sehr bitteren und fiesen High und das bereits seit mehreren Tagen und Nächten. Katatonisch stand ich an der Bar und versuchte, den Sinn dieser vor mir liegenden Rechnung zu ergründen, die sich auf über 2000 Euro belief. Entsetzen, schieres kaltes Entsetzen, überkam mich. Es ist dieses spezielle Gefühl, das sich nur dann einstellt, wenn man merkt, dass man richtig am Arsch ist. Wenn sich die Innereien in Würmer verwandeln und der Kopf plötzlich leer wird und diese schwarzen fetten Maden versuchen, dort hineinzukriechen. Genau dieses Empfinden stellte sich in dieser Sekunde bei mir ein. Mit krächzender, aber gefasster Stimme rief ich Grey zu, dass er doch bitte mal herkommen möge, um sich das anzusehen. Mit brutaler Schieflage erhob er sich von der Couch und wankte auf mich zu. Ich war inzwischen kreidebleich geworden und beobachte, wie auch ihm jegliche Farbe aus dem Gesicht wich, während er die Rechnung studierte. „This can't be true. We didn't drink that much. And why the fuck is one drink suddenly 100 Euros!“, warf er gerade noch ein, während sich bereits der Türsteher oder Rausschmeißer oder schlicht und ergreifend unser schlimmster, kahlrasierter, osteuropäischer Alptraum neben uns aufbaute.   „We go ATM. Now.“ Sein Englisch war nicht das beste, aber dafür hatte er einen wunderbaren Dialekt, der einen sofort an all die sinnlose Gewalt auf dieser Welt denken ließ. „Ja“, dachte ich mir. „Ja, dann gehen wir ATM. Now. Aber mal sehen, ob du Gorilla glücklich wirst. Mal sehen, ob wir jemals wieder glücklich werden.“ Ich hatte den Geschmack von Metall in meinem Mund, als wir bei der Bank ankamen. Der Gorilla fing wieder an zu sprechen. Wie ein Mantra wiederholte er vier magische Worte „Pin. Withdraw. 200. Again.“ Irgendwo auf der Geraden zu unserem Ziel der 2000+ Euro wurde die erste Kreditkarte aufgrund des Tageslimits gestoppt. Grey hatte seine bereits drei Stunden nach unserer Ankunft verloren, also lasteten all unsere Hoffnungen auf meiner EC-Karte, deren Konto ich noch nie in meinem Leben gut behandelt hatte. Ich dachte in diesem Moment daran, dass das wohl Karma sei und betete, dass der Dispo uns wohlgesonnen war. Ein paar Hundert Euro vor dem Ziel gab auch sie ihren Geist auf. Mir reichte es in diesem Moment schließlich. Ich war mit den Nerven am Ende und wollte nicht mehr wie ein Kind den verdammten Geldautomaten erklärt bekommen. Ich weiß, wie der Scheiß funktioniert, das muss ich mir nicht von so einem kahlgeschorenen Affen erklären lassen. Ich drehte mich ihm also entgegen und verlangte, dass er uns sofort der Polizei ausliefert. In diesem Moment brüllte unser Fotoredakteur, der während dieser niemals enden wollenden Demütigung die hässliche Hure mit ihren mit Edding aufgezeichneten Augenbrauen, die vor der Bank auf und ab lief, im Auge behielt: „Jesus Christ, Felix! Shut the fuck up! We won't go to prison! Stop talking about the police!“ Er hatte da irgendwie Recht. Wie wir bereits aus verschiedenen Gesprächen zuvor erfahren hatten, ist die lettische Polizei eine der schlechtesten der Welt und einige verdienen wohl selbst ganz gut mit diesem Gewerbe, mit dem wir es zu tun hatten. Wir hatten also nirgends und in Niemandem einen Verbündeten. Ich beschloss in schierer Verzweiflung zu Pokern. „So, will it be our knees or is it going to be a finger you will crush?“ Keine Ahnung, was ich mir davon erhofft hatte, denn der Gorilla gaffte mich nur mit grenzen- und ausdrucksloser Dummheit an und meinte: „We go back now.“ Ich realisierte es zuerst nicht mit dem Kopf, sondern eher als ein sehr dumpfes Gefühl, dass wir nun ziemlich tief in der Scheiße steckten. Für Grey und mich war es einer der längsten Wege der Welt. Niemand sprach mehr ein Wort. Jeder von uns bereitete sich auf eine Welt aus Schmerzen vor. Ich überlegte, ob sie wohl Stahlstangen oder Latten benutzen würden, und ob ich mir das vielleicht aussuchen könnte, oder ob wir nicht in einem letzten, verzweifelten Versuch probieren sollten, unser Kameraequipment feilzubieten. Abermals stiegen wir hinab in dieses Loch. Ich bin in diesem Moment am Ende meiner Sprache angekommen, denn es gibt wirklich keine passende Metapher für die Dinge, die in diesem Moment in meinem Kopf wüteten. Auch was danach folgte, ist extrem verzerrt und irrsinnig. Die Stimmung war plötzlich von extrem aggressiv zu moderat geschäftlich gekippt. Alle Bediensteten standen mit uns an der Bar, der Gorilla legte unser Kameraequipment auf den Tresen und ich meine, mich zu erinnern, dass er sagte: „You stay or go.“ Wir entschlossen uns für Letzteres, bedankten uns ausgesprochen höflich und wankten leicht traumatisiert aus dem Loch ins Licht. Erst später wurde uns klar, was eigentlich passiert war. Die Nutten haben für uns interveniert und warum um Himmels willen sollten sie auch nicht? Wie wir erst später erfuhren, war dieser Laden kein Stripclub, sondern ein bitteres Bordell und durch den Erwerb von zwei „Glamorous“ kauft man sich eine Prostituierte für die ganze Nacht. Wir bezahlten mindestens zehn dieser widerwärtigen Cocktails, was im Umkehrschluss bedeutet, dass wir nicht eine oder zwei, sondern gleich 5—in Worten FÜNF und somit JEDE—Prostituierte in diesem Laden für die gesamte Nacht bezahlt hatten. Das wären sie gewesen. (Ich habe keine Bildrechte, aber Gott ist mein Zeuge, dass ich für das Recht, diese Fotos zu veröffentlichen, bezahlt habe.)

Anzeige