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Ein internes Mail der ÖBB zeigt den Umgang mit Rassismus

Ende September berichteten wir von Yüksel Yilmaz, der der ÖBB Rassismus vorwirft. Jetzt liegt uns ein internes Rund-Mail der ÖBB vor.

​Ende September erschien hier unser Bericht über die schweren Vorwürfe, die der ehemalige Zugbegleiter ​Yüksel Yilmaz gegenüber seinen früheren Kollegen bei der ÖBB erhoben hatte.

Seinen eigenen Aussagen zufolge war dieser zuerst gekündigt und später entlassen worden, weil er den vermeintlich systemisch tolerierten Rassismus unter ÖBB-Mitarbeitern nicht länger akzeptieren und etwas gegen die Missstände unternehmen wollte. Beschimpfungen als „Tschusch", Schmierereien wie „Stoppt Tierversuche: nehmt Ausländer" und interne Bezeichnungen wie „Huren-" oder „Zigeuner-Zug" für die Züge nach Bratislava beziehungsweise Bukarest seien ihm irgendwann zu viel geworden, was wiederum als Unruhestiftung aufgefasst worden wäre.

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Laut ÖBB stellt sich der Fall völlig anders dar. Pressesprecher Michael Braun spricht von unbestätigten Vorwürfen und arbeitsrechtlichen Gründen hinter der Entlassung, die in Wahrheit nichts mit Rassismus oder dessen Aufdeckung durch Yüksel Yilmaz zu tun habe—im Gegenteil wäre Yüksel selbst durch sexistische Äußerungen aufgefallen, habe Frauen aufs „Ficken und Putzen" reduziert. Ein von der ÖBB beim Gericht eingereichtes Schreiben zeichnet Yüksel Yilmaz selbst als Täter mit schwierigem Charakter.

Soweit, so widersprüchlich die Positionen. Zum damaligen Zeitpunkt war die Geschichte bereits ein gutes Jahr alt und der Prozess, den Yüksel Yilmaz gegen die ÖBB angestrengt hat, mit längeren Unterbrechungen am Laufen. Selbst über diesen langen Zeitraum hielt sich das Medienecho (mit ​einem Bericht im Kurier und ​einem zweiteiligen Artikel auf M-Media) vorsichtig gesagt in Grenzen. Yüksel Yilmaz selbst sieht darin seine These bestätigt, dass sich alle übrigen Medien, von denen einige Tageszeitungen und TV-Sender sogar zum Interview bei ihm waren und ihm eine Ausstrahlung oder Veröffentlichung zugesagt hatten, vom Verlust der ÖBB als Anzeigenkunden eingeschüchtern lassen haben. Wie vieles andere an diesem Fall lässt sich auch diese Vermutung nicht über das Level einer Verschwörungstheorie hinaus bestätigen.

Einige Zeit nach dem ersten VICE-Bericht dürfte die Berichterstattung aber zumindest für die ÖBB eine wahrnehmbare Größe erreicht haben. Kürzlich wurde uns folgendes Rundschreiben zugespielt, das als interne „Team Info—Service am Zug" an ÖBB-Mitarbeiter gesendet wurde und darauf hinweist, dass Rassismus und Sexismus auch WEITERHIN (in All Caps) nicht toleriert würden.

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Welche Punkte in der Berichterstattung ein unwahres Bild der ÖBB zeichnen, wird nicht weiter ausgeführt. Dass es in der Vergangenheit zumindest in Einzelfällen zu rassistischen Äußerungen von ÖBB-Mitarbeitern gekommen ist, ​zeigen unter anderem Screenshots von Facebook-Postings, die Yüksel Yilmaz im Zuge seiner Beweisführung gesammelt hat.

Und auch, wenn bei einigen Handyfotos von Yüksel Yilmaz nicht eindeutig nachgewiesen werden kann, wo diese aufgenommen wurden, zeigt ​zumindest eins der Bilder doch recht eindeutig einen beschmierten Aushang der ÖBB, auf den die oben erwähnten „Späßchen" mit Sprüchen wie „Arbeit macht frei (und koksen macht high)" konkrete Form angenommen haben. Darüber hinaus wurden im VICE-Bericht—genau wie auch hier—beide widersprüchlichen Positionen gleichermaßen dargelegt und für keine davon Partei ergriffen.

Für mich ist das Beunruhigendste an dem gesamten Fall aber gar nicht, dass interne Rund-Mails (auch wenn sie wie hier dank ALL CAPS wirken, als wäre das eventuelle Leaken an die Öffentlichkeit schon mitgedacht) ein bisschen weniger ausgefeilt sind als offizielle Pressestellungnahmen; oder dass sie rechtliche Schritte für ausgewogene Berichterstattung ankündigen.

Das wirklich Beunruhigende — und zugleich auch sehr Österreichische — an der Angelegenheit finde ich vielmehr, dass bei aller guten Absicht, die der antiautoritäre und repressionsfreie Tonfall bestimmt hat, hier trotzdem Rassismus als eine Ansammlung von unbedachten Aussagen abgetan wird, anstatt klarzumachen, dass hinter solchen Aussagen immer auch eine Ideologie steht, für die in einem Unternehmen wie der ÖBB einfach kein Platz sein sollte. Dass es keinen Sinn hätte, seine Mitarbeiter für etwas zu bestrafen, für das es (noch) keine eindeutigen Beweise gibt, ist das eine. Rassismus aber nur als hypothetisches Übel abzutun, das es im konkreten Arbeitsalltag eigentlich ohnehin nicht gäbe, und die Verantwortung einer klaren Stellungnahme (geschweige denn einer Aufarbeitung oder Auseinandersetzung mit solchen Fällen, auch wenn sie vielleicht die ÖBB nur am Rande gestreift haben sollten) wie eine heiße Kartoffel weiterzureichen, ist das andere.

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Denn selbst, wenn ​die Hakenkreuz-Schmiererei aus Yüksel Yilmaz' Handy nicht in einem Führerhäuschen der ÖBB angebracht worden sein sollte, für das man laut Yüksel Yilmaz einen eigenen Mitarbeiterschlüssel benötigt, und auch, wenn Vorwürfe aus einem laufenden Verfahren natürlich vor den eigenen Mitarbeitern bestritten werden, sind die Vorfälle dahinter in jedem Fall mehr als nur „indiskutabel" oder „vermeintliche Späßchen". Fehlende Ursachenbekämpfung ist genau das, was manche wohl meinen, wenn sie von systemischer Toleranz von Rassismus sprechen.

Stattdessen könnte man für den hypothetischen Fall, dass ÖBB-Bedienstete Hakenkreuze und Holocaust-Anspielungen irgendwo am Eigentum der ÖBB hinterlassen haben, klare Worte finden, ohne diejenigen zu verschrecken, die damit nichts zu tun haben. Entlassung wäre ein solches Wort. Mir selbst würde jedenfalls niemand einfallen, der selbst kein Rassist wäre und trotzdem Probleme mit einer solchen Position hätte.

​Markus auf Twitter: @wurstzombie


Titelfoto: Pressebild, ​Copyright ÖBB/Harald Eisenberger