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Vice Blog

Die Philippinacht ist der beste und blödeste Brauch der Welt

Einmal im Jahr bricht in Salzburg ein bisschen Revolution aus. Nachbarn werden ausgeraubt und Mülltonnen angezündet. Der beste unbekannte Brauch der Welt.
Illustrationen: Valerie Tiefenbacher

Wenn es ein Gegenteil von Unruhen oder Ausschreitungen gibt, dann ist das Salzburg. Nein, das Gegenteil ist nicht Harmonie—so wie das Gegenteil von Liebe eigentlich auch nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit ist. Nicht, dass die Salzburger zufrieden oder gar glücklich wären und sie deswegen so brav sind, aber wofür sollten sie denn auf die Straßen gehen?

Ich bin in Salzburg und mit Musik von den Beatles aufgewachsen. Deswegen muss ich bei der Stadt immer an einen Satz von John Lennon denken: „Would the people in the cheaper seats clap your hands. And the rest of you, if you'll just rattle your jewelry." Salzburg ist der Rest, während alle anderen die cheaper Seats sind. Okay, ich verfalle wieder in meine überschwängliche Liebe zu Salzburg.

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Aber trotz oder wegen all dieser falschen Idylle, gehen einmal im Jahr, in der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai, die Kinder und Jugendlichen Salzburgs auf die Straßen, um ihren Nachbarn sämtliche Sachen zu stehlen, Autos zu zerkratzen, Mülltonnen anzuzünden, umzuwerfen und in das nächstgelegene Gewässer zu rollen. Anfangs tun sie das in dem naiven Glauben, es sei legal—schließlich ist ja Philippinacht und da gehen doch alle raus und randalieren ein bisschen. Irgendwann kommen sie aber drauf, dass es vielleicht doch nicht ganz richtig ist, was man da tut und dass diesen Brauch, außer vielleicht ein paar Bayern, auch sonst kein Mensch auf der Welt kennt.

Ganz früher ging Philippinacht einmal so: Die Männer des Dorfs zogen herum, um den unordentlichen Nachbarn, die ihre Sachen nicht verräumt hatten, im Namen des für Ordnung zuständigen Apostels Philippus, eine Lektion zu erteilen. Sie nahmen die Sachen mit und sammelten sie auf einem Haufen auf dem Platz vor der Kirche, wo sie sich die zu Tode beschämten Anwohner am nächsten Morgen vor der Messe abholen konnten.

Nun weiß aber jedes Salzburger Schulkind, dass es alleine in der Stadt Salzburg 42 Kirchen gibt. Die Schule ist schon lange her, vielleicht sind es doch nicht 42, aber jedenfalls steht an jeder Ecke mindestens eine. Vor welcher Kirche soll man sich also überhaupt seinen Krempel abholen? Eben. Irgendwann wollten außerdem auch die Frauen mitmachen und so ist die Philippinacht zwar immer noch ein Brauch, hat aber so viel mit der ursprünglichen Tradition so viel zu tun wie der Weihnachtsmann mit Weihnachten.

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In der Philippinacht ziehen somit heute Jugendliche mit einer vermeintlichen Freikarte durch die Stadt, Sachen zu stehlen und zu zerstören. Ich kann leider nicht leugnen, dass das unglaublichen Spaß macht, wenn man 14 ist und sich absolut keine Gedanken über die Welt und ein Leben nach dem ersten Mal macht.

Illustration: Valerie Tiefenbacher

Meine Nachbarn und ich waren damals den Umständen entsprechend brav und haben nur der sämtlichen Nachbarschaft alles gestohlen, was nicht niet- und nagelfest war, haben extra Schubkarren dabei gehabt, um mehr transportieren zu können und es dann in der Garage versteckt, bis unsere Eltern uns gezwungen haben, alles wieder zurückzubringen. Unterwegs haben wir ein paar Mülltonnen auf die Straßen gestellt oder umgeworfen, aber viel mehr ist nicht passiert. In der Schule gab es damals einen kleinen Eklat, weil andere Mülltonnen angezündet und sie im nächstgelegenen Weiher versenkt hatten.

Weshalb auch immer reale oder fiktive Menschen nach ihrem Tod für gewisse Dinge heiliggesprochen und ihnen Zuständigkeitsbereiche zugeordnet werden, Philippus war wahrscheinlich der, der nach dem letzten Abendmahl das Geschirr abgewaschen hat und würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, was aus seiner Nacht geworden ist.

Philippi ist ein wunderbarer Brauch, wenn man an nichts als Hedonismus denkt und das gar nicht weiß, weil man noch keinen PuP-Unterricht hatte, in dem man das Wort gelernt haben könnte. Aber spätestens wenn man am 1. Mai selbst einen Kratzer auf dem Auto hat, wird man verfluchen, was aus dem Brauch geworden ist. Es gibt nämlich—Überraschung!—auch in Salzburg nicht nur reiche Menschen, die sich alles leisten können.

Hanna ist auch auf Twitter: @HHumorlos.