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Ein Plädoyer für ein führerscheinloses Leben

Nein, man braucht ihn nicht in jedem Job und ja, man kann in der Stadt auch gut ein Familienleben ohne Auto führen.

Foto: imago | INSADCO

Eigentlich glaube ich ja, von mir behaupten zu können, dass ich ein ganz kommodes Kerlchen bin. Aber es gibt einen Makel, der mich regelmäßig gesellschaftlicher Stigmatisierung aussetzt: Ich bin 22 Jahre alt und kann nicht Autofahren. Darauf ernte ich regelmäßig äußerst brüskierte Reaktionen: „Und was machst du, wenn du einmal Familie hast?", „Na, das kommt schon noch, spätestens, wenn du den Schein für den Job brauchst!", „Wie transportierst du dann schwere Sachen?"

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Es reicht aber auch, wenn das Gespräch nach meinem Outing für kurze Zeit verstummt und alle betreten ihre Treter begutachten oder betont verständnisvoll nicken. Anscheinend ist man also nur mit „Deckel" ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft. Aber ist das wirklich so? Ist die Führerscheinprüfung die Allround-Bar Mitzwa für die Welt der Erwachsenen? Bin ich lebensunfähig, weil ich fahrunfähig bin?

Natürlich kommt der Stellenwert der Fahrfähigkeit immer auf die Infrastruktur des Herkunftsortes an: In ländlichen Gebieten ist ein Führerschein von viel grundlegenderer Bedeutung als in der Großstadt, denn die Bus- und Bahnverbindungen im ruralen Bereich decken oft nicht alle Gebiete ab und die Wartezeiten sind meist beträchtlich höher als in der Stadt. Also ist für die Jugend in diesen Gebieten das Ablegen der Führerscheinprüfung tatsächlich ein erster Schritt in die Unabhängigkeit und somit ins Erwachsensein; mit Führerschein und Auto sind sie unabhängig von Eltern oder anderen Mitfahrgelegenheiten und können sich ihre Wege selbst einteilen und aussuchen.

Als typisches Stadtkind habe ich diese Art von Mobilitätsengpass aber nie erfahren müssen, für mich war Mobilität nie ein emanzipatorisches Coming-of-Age-Symbol, sondern von Anfang an gegeben. Natürlich gibt es trotzdem genug Städter, die den Führerschein haben und fast täglich mit dem Auto unterwegs sind, aber hier kommt es auch immer auf den Lebensmittelpunkt an: Bei vielen Wiener Studenten zentrieren sich zum Beispiel 80 Prozent des Lebens auf Bereiche in der inneren Stadt oder zumindest der inneren Bezirke—mit dem Auto zur Uni, einkaufen oder arbeiten zu fahren wäre dementsprechend also ein unnötiges und teures Unterfangen.

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Feststeht also: Autofahren (können) ist für viele Menschen, die gut in das Verkehrsnetz eingebunden sind, absolut kein Muss mehr und daher auch kein besonderer Vorteil. Für viele hat der Besitz des Führerscheins aber dennoch symbolischen Charakter des Erwachsenwerdens, obwohl er aber im Gegensatz zu ländlichen Gebieten in der Stadt eben kein großes Zeichen der Abnabelung ist: Auch in Film und Fernsehen werden die, die nicht fahren können, meistens belächelt, wie zum Beispiel Sheldon aus The Big Bang Theory—der wohl weltfremdeste, infantilste Typ der Serie kann nicht Auto fahren. Zufall?

MOTHERBOARD: Zwei slowakische Ingenieure stehen kurz davor, den Traum vom fliegenden Auto zu erfüllen (für das man ebenfalls einen Führerschein braucht)

Indem diese Unfähigkeit in die Reihe einiger anderer Unzulänglichkeiten des liebenswerten Eigenbrötlers eingeordnet wird, wie die totale Geringschätzung menschlichen Kontakts, der ausbleibende Sexualtrieb, der die kindliche Ausrichtung des Charakters herausstreicht, und der Dauerbrenner: die Unfähigkeit, Sarkasmus zu verstehen, wird sie als ebenso eigenartige Schrulle dargestellt und das bedeutet vice versa, dass „normale" Menschen normalerweise auch Auto fahren können.

Dass der Führerschein seine Nützlichkeit hat, ist wohl kaum zu bestreiten. Daher wäre es überflüssig und polemisch, gegen den Führerschein generell zu argumentieren. Da ich als Führerscheinlose schon des Öfteren Spott und Hohn ausgesetzt war und einige verwandte Seelen getroffen habe, kann ich im Folgenden aber zumindest Argumente anführen, um die Diskussion mit vehementen Führerscheinverfechtern zu erleichtern und somit auch den Führerscheinlosen unter uns den ständigen Rechtfertigungsnotstand abzunehmen.

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Autos sind sauteuer

Der Knock-Out-Grund, den ich in unserer Dagobert-Duck-Welt immer erfolgreich anführe, ist die Kohle: Ich habe nicht Unmengen meines Tresorvermögens für einen Schein und ein Gefährt rausgeschmissen, das ich dann auch noch mit ominösen Pickerln und Tests überhaupt erst als fahrtauglich ausweisen muss (und das mit Versicherungen und Benzin monatlich noch mal so viel kostet wie ein exquisites Fünf-Gänge-Menü, mit dem Unterschied, dass ich als Stadtbewohnerin dafür dasselbe bekomme, was ich auch von Öffis haben kann).

Parkplatz suchen ist saunervig

Obwohl sich bekennende Autofahrer verklärt einreden, dass sie mit dem Auto viel schneller dran sind, relativiert sich die Begeisterung dann schnell wieder, wenn im vollgeparkten Wien kein Parkplatz frei ist—die theoretische zeitliche Ersparnis von 10 Minuten wächst also zu einer praktischen Verspätung von einer halben Stunde, wenn sich partout kein Parkplatz findet. Wenn ich hingegen öffentlich unterwegs bin, muss ich nicht erst endlos lange einen Parkplatz suchen, was meistens auch die Ungeduld und Missgunst der Mitfahrenden auf den Fahrer zieht, sondern bin einfach da, wenn ich da bin.

Fahrer sein genauso

Ich bin niemals dem massiven Protest anderer Partygäste ausgesetzt, denn von mir werden sie nie hören: „Ich darf heute nicht, muss noch fahren!" Ich kann mir immer und überall die Kante geben—meine U-Bahn-Mitfahrer sind fragwürdige, alkoholisierte Personen ja ohnehin gewohnt, was mich gleich zu meinem nächsten Punkt bringt:

Öffis sind viel spannender

Für einen voyeuristisch veranlagten Menschen wie mich sind öffentliche Verkehrsmittel ein Ballungsraum von hautnahem Entertainment: Während ich auf die Uni oder zur Arbeit fahre, muss ich mich nicht nur nicht auf den Verkehr konzentrieren (es sei denn, es gibt wieder Verkehr in der U6), sondern bin bei allen Lebenslagen völlig fremder Menschen live dabei: seien es Streitgespräche per Handy, Klatsch und Tratsch über die Arbeitskollegin oder das erste Date. Außerdem finden sich immer wieder Goodies auf und unter den Sitzen: Diverse Gratiszeitungen garantieren einen äußerst unterhaltsamen Aufenthalt.

Ich ziehe mich selbst aus dem Verkehr (und das ist gut so)

Auch das Argument: „Mach den Schein doch, damit du ihn halt hast - musst ja eh nicht fahren!" kann ich an dieser Stelle entkräften: Was bringt es bitte, den Führerschein zu haben, wenn ich keine Fahrpraxis sammle und so in zig Jahren, wenn ich dann wirklich eventuell ein Auto brauche, erst recht einen Auffrischungskurs machen muss? Also zieht auch hier unser Knock-Out-Argument: Rausgeschmissenes Geld! Die Alternative dazu wäre, dass ich alle anderen Verkehrsteilnehmer aufgrund meiner fehlenden Fahrpraxis massiv gefährde, weshalb das Argument „Alibi-Führerschein" ausgemachter Blödsinn ist.

Auch Führerscheinbesitzer können Öffis nutzen

Natürlich treffen die meisten Punkte auch auf Führerscheinbesitzer, die gelegentlich oder vollständig aufs Autofahren verzichten, zu, was aber aus meiner Sicht auf Dauer den Besitz des Führerscheins unnötig macht, da man eben (siehe oben) ohne Fahrpraxis leicht eine Gefahr auf vier Rädern darstellt.

Wenn ich von vornherein den Führerschein erst gar nicht besitze, komme ich außerdem 1. gar nicht in die Versuchung, doch das Auto einzuspannen und 2. kann auch niemand von mir verlangen, dass ich bei längeren Fahrten mal das Steuer übernehme oder ähnliche Fahrdienste leiste - böse Zungen könnten mir deshalb wohl einen transporttechnischen Egotrip nachsagen, wenn ich aber als Mitfahrer brav Benzingeld bezahle (oder Ende des Monats den Piloten mit lustigen Anekdoten entschädige), habe ich meiner Meinung nach meine Schuld getan.

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Als MC oder Poetryslam-Teilnehmerin würde ich an dieser Stelle das Mic droppen und die Bühne verlassen. Aber natürlich will ich die Nachteile eines führerscheinlosen Lebens hier nicht unterschlagen:

Schwere Sachen tragen nervt

Es gibt schon einige Situationen im Leben, in denen ich Führerscheinbesitzer wirklich beneide: einer davon ist der Transport von schweren Dingen. Das mag zwar zuerst banal klingen, denn wie oft kommt man schon in Kontakt mit unglaublich schweren Sachen? Für mich als Mensch ohne Muskeln fängt es da aber schon bei größeren Supermarkt-Einkäufen an und hört bei der Schlepperei meines Snowboards für den Winterurlaub auf - das alles wäre viel einfacher mit Führerschein und Auto.

Ich muss mich immer an den Zeitplan halten

Transporttechnisch ist man, vor allem in Sachen Urlaub, ohne Führerschein doch einigermaßen eingeschränkt bzw. muss sich an die Zeiten, die Bus-, Bahn- oder Fluggesellschaft vorgeben, halten. Außerdem ist es fast nur mit Führerschein und fahrbarem Untersatz möglich, zu jeder Tages- und Nachtzeit „einfach mal ins Blaue" zu fahren. Wenn hingegen für einen Führerscheinlosen der einzige Zuge nach Buxtehude um 4:30 Uhr Früh geht, dann heißt es durchmachen oder zu unmenschlichen Zeiten aufstehen.

Außerhalb der Stadt komme ich nicht weit

Die negative Seite des Mercedes-Sterns ist, dass ich im ländlicheren Bereich, vor allem in besonders abgelegenen Gebieten, ziemlich schnell auf irgendeinem Bahnhof strande und dann abgeholt werden muss, weil zu meinem Zielort kein oder nur sporadisch ein Bus oder Ähnliches fährt. Zur Erschließung von infrastrukturell noch wenig erschlossenen Gebieten ist die Fahrfähigkeit doch ein unglaublich großer Vorteil (weshalb der Führerschein am Land ja eben eine große Rolle spielt, siehe oben). Das Feiern des führerscheinlosen Lebens funktioniert also nur in meinem gewohnten Lebensraum, der Stadt.

Der Führerschein hat also natürlich einige triftige Vorteile. Mein Ziel ist es nicht, gegen die Autofahrer unter uns zu hetzen, im Gegenteil: Hut ab, dass ihr das könnt! Ich will damit nur sagen, dass es in Ordnung ist, wenn man es nicht kann. Denn ich habe mich bei anderen Führerscheinlosen erkundigt, die sich ebenfalls nur unter beschämter Miene zaghaft zu äußern trauen, dass sie nicht fahren können. Wir können durchaus selbstbewusst behaupten: You'll never see us rollin'—get over it!

Oder wie Sheldon sagen würde: „Ich will nicht sagen, dass ich eine neue Art von Mensch bin, aber ich bin überzeugt, dass der Grund, warum ich die Plebejer-Tätigkeit des Autofahrens nicht beherrsche, der ist, dass ich einfach nicht dafür bestimmt bin."