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Propaganda: Putin schmeißt das Geld zum Fenster raus – mit beiden Händen

Aufgetauchte Dokumente suggerieren, dass RT in der Bedeutungslosigkeit versinkt.
Foto: Imago/ITAR-TASS

Der russische Auslands-TV-Sender RT (ex-RussiaToday) sieht seinen Kanal als Alternative zum „angelsächsischen Medienmonopol" und vergleicht sich gern mit BBC, CNN und (dem augenscheinlichen Vorbild) Fox News. Um den fallenden Rubelkurs auszugleichen, hat der Kreml hat das Budget des Kanals 2015 noch einmal deutlich erhöht: um 75 Prozent auf etwa 20 Milliarden Rubel (über 260 Mio. Euro). Insgesamt gibt die Russische Föderation 34 Prozent ihres Haushaltsbudgets für Medien für Propaganda im Ausland aus. Doch womöglich ist die gewaltige Investition für die Katz. Darauf zumindest deuten angeblich interne Dokumente hin, die dem Newsportal The Daily Beast vorliegen.

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Sollten sie authentisch sein, dann hätte RT seit Jahren systematisch vor allem eines verschleiert: die eigene Bedeutungslosigkeit. Die tatsächlichen Zuschauerzahlen liegen weit unter denen, die das Unternehmen an seinen einzigen Geldgeber gemeldet hat. Zusammengestellt wurden die Dokumente von ehemaligen Mitarbeitern der ebenfalls staatlichen Medienagentur RIA Novosti. Aus ihnen geht unter anderem hervor, dass RT in den USA täglich von weniger als 30.000 Zuschauern gesehen wird und daher in branchenrelevanten Statistiken nicht einmal auftaucht. Das steht im klaren Widerspruch zu den angeblich 100 Mio. US-Zuschauern, die der Kanal eigenen Angaben zufolge regelmäßig erreichen will.

Foto: Flickr | Irina Slutsky | CC BY 2.0

In ganz Europa wird RT von nicht einmal 0,1 Prozent der TV-Konsumenten gesehen, schreibt Katie Zavadski bei The Daily Beast. In Großbritannien ist der Marktanteil zwar am höchsten, aber aktuellen Statistiken zufolge kommen auch dort nur täglich etwa 124.000 Zuschauer zusammen. Im Internet sieht es nicht viel besser aus. RTs YouTube-Kanäle werden zwar recht stark frequentiert, die weitaus meisten Klicks erreichen aber nicht News-Videos zu Konflikten wie denen in der Ukraine oder in Syrien, sondern Berichte über—nun, ja—weniger brisante Themen. Die Schlagworte „metrosexuals" und „bums" scheinen jedenfalls eine besondere Rolle zu spielen …

Erfolgreiche Inhalte sind demnach vor allem „soft news", also eher Entertainment als Politik. Natürlich können auch solche Beiträge bestimmte Werte und Vorstellungen transportieren, etwa subtilen Antiamerikanismus oder eine konservative Sexualmoral. Im Netz gehen sie jedoch unter in einer Flut ähnlicher Medienangebote, die ohne russische Steuergelder produziert werden.

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Warum wurden die Dokumente überhaupt geleakt?

Die Agentur RIA Novosti stand bis 2014 für einen—vor allem im Vergleich zu RT—qualitativ hochwertigeren Journalismus. Im vergangenen Jahr wurde sie jedoch geschlossen und ging in dem staatlichen Mega-Unternehmen „Rossija Segodnja" (dt. Russland Heute) auf, dessen Chef Dmitri Kisseljow ist. Anders als RT, das ebenfalls zum Konglomerat gehört, wird RIA Novosti aber nicht als eigenständiges Label weitergeführt, sondern ist nun Teil des News-Portals Sputnik. Das produziert Propaganda auf Boulevardniveau. Ein angeschlossener Think Tank namens Sinonjew-Klub steuert außerdem regelmäßig den einen oder anderen bizarren, pseudointellektuellen Essay bei.

Nicht alle Mitarbeiter scheinen mit den Neuerungen zufrieden zu sein. Veröffentlichungen in ausländischen Medien werden in Russland mitunter genutzt, um im eigenen Land Debatten anzustoßen oder auf Entscheidungsträger einzuwirken, weil das im Rahmen der staatlich kontrollierten Medienwelt kaum möglich ist. Womöglich spielen die Journalisten von RIA Novosti also über die Bande und wollen darauf aufmerksam machen, dass die enormen Geldmittel, die der Kreml in seine Auslandspropaganda steckt, ihren Zweck gar nicht erfüllen und kaum Einfluss auf die Meinungsbildung im Westen haben. Der oppositionelle Blogger Alexej Nawalny hat die Enthüllungen heute bereits aufgegriffen und die Geldverschwendung kritisiert.

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Kleinere Brötchen backt MITTLERWEILE auch der deutsche Ableger

Ivan Rodionov, seines Zeichens omnipräsenter Talkshow-Gast und Chef von RT Deutsch, lässt sich bislang noch keine Krise anmerken. Gegenüber der Jungen Welt gab er kürzlich an, die Zahl der Website-Abrufe würde kontinuierlich steigen. Dass das wirklich zutrifft, ist allerdings mehr als fraglich. Die auf Osteuropa spezialisierte Journalistin Gemma Pörzgen jedenfalls glaubt nicht daran, dass sich die Reichweite der russischen Medien seit ihrem Ausbau im vergangenen Jahr erweitert hat.

Und auch ein Blick auf das RT-Angebot selbst bestätigt eher den Eindruck von Stagnation, wenn nicht gar Verfall. Das Flaggschiff-Format, eine amateurhaft produzierte Online-Show namens Der Fehlende Part beispielsweise, wird seit Anfang September nur noch an drei Tagen pro Woche gezeigt, ihre Klickzahlen auf YouTube sind im Vergleich zu den ersten Ausgaben im Durchschnitt gesunken und liegen mittlerweile deutlich unter denen von vergleichbaren Truther-Formaten wie KenFM oder Compact TV.

Auch die Homepage von RT Deutsch lässt erahnen, dass eine eher überschaubare Klientel von Verschwörungstheoretikern angesprochen wird. Gestern etwa berichtete dort der ehemalige Montagsdemoaktivist Florian Hausschild von einem Vortrag des Szenehelden Ray McGovern in einer kleinen Galerie, die die bei Aluhüten beliebte Zeitschrift Hintergrund in Berlin-Mitte betreibt. Dass die Mainstreammedien die dubiose Veranstaltung ignorierten, führt der RT-Redakteur auf eine böswillige Verschwörung zurück—und nicht etwa darauf, dass nur ein paar Dutzend Leute den Vortrag hören wollten.

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Wie ähnliche Formate aus der Verschwörungsszene vermittelt auch RT Deutsch nach etwa einjährigem Bestehen den Charme einer abgelegenen Kleinstadt ohne Fernstraßenanbindung: jeden Tag die gleichen Gesichter. Und immer wieder dieselben alten Geschichten, lediglich ergänzt um ein paar neue Varianten und Ausschmückungen, die es auch nicht besser machen. Wenn sich alle reihum gegenseitig interviewt haben, fangen sie wieder von vorn an. Als Beleg für die Wahrheit der eigenen Story wird die herangezogen, die der Nachbar vorgetragen hat. Anders ausgedrückt: Es handelt sich um ein Zitierkartell, das außerhalb einer ziemlich schrägen Subkultur keine Beachtung findet.

Noch fließt das Geld aus Moskau. Sputnik etwa versuchte kürzlich, Sendezeit bei deutschen Radiosendern zu erwerben, um Sendungen von SNA-Radio auszustrahlen (ehemals Stimme Russlands), blieb dabei aber bislang offenbar erfolglos. Nur in Berlin läuft das Programm seit Jahren in einigen Zeitfenstern bei Radio Impala. Nie davon gehört? Nicht weiter schlimm. Der Fehlende Part von RT Deutsch hat es immerhin auf einen kleinen Privatsender in Thüringen geschafft, mittlerweile sogar mit dem Segen der Landesmedienanstalt.

Allerdings wird es nicht gerade leichter für die Kreml-Formate. Der Rubel befindet sich weiterhin im freien Fall und die russische Wirtschaft zeigt keine Anzeichen von Erholung. Im Sommer wurden außerdem im Zusammenhang mit Entschädigungsforderungen aus der Yukos-Affäre russische Konten in mehreren EU-Ländern eingefroren, unter anderem von Rossija Segodnja. Somit bleibt abzuwarten, wie lange der russische Staat noch bereit sein wird, horrende Summen in Auslandspropaganda zu investieren, deren Erfolgsquote unter dem Strich ebenso fragwürdig ist wie ihr Inhalt. Wenn die Infokrieger von RT nun obendrein noch bei dem Versuch gescheitert sein sollten, ihre eigene Bedeutung mit gefälschten Zuschauerzahlen künstlich aufzubauschen, um ihr viel zu großes Budget zu rechtfertigen, dann erinnert das ein wenig an den entlarvten Zauberer von Oz, der verzweifelt ruft: „Beachte nicht den Mann hinter dem Vorhang!"


Titelfoto: Imago/ITAR-TASS