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Wir müssen aufhören, psychische Krankheiten wie schlechte Ausreden zu behandeln

Nachdem der Ex-Lobbyist Peter Hochegger einem Gerichtstermin wegen behaupteter Suizidgefahr fern blieb, kochte die Volksseele hoch. Warum das problematisch ist.

Screenshot: ORF 2, via YouTube

In den vergangenen 15 Jahren seines Lebens hat sich Peter Hochegger wahrlich nicht in den saubersten und transparentesten Bereichen der politischen Sphäre bewegt. Der (ehemalige) PR-Berater und Lobbyist war in so ziemlich jede Affäre des neuen Jahrtausends und der schwarz-blauen Regierung verstrickt: Sei es die Telekom-Affäre, der Fall BUWOG oder die damit zusammenhängende Affäre um den Linzer Terminal-Tower, in die auch der ehemalige Finanzminister Karl-Heinz Grasser verwickelt war.

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Die meisten Affären drehen sich im Kern grob gesagt darum, dass Hochegger nicht nur Kontakte herstellte—wie es Lobbyisten halt so tun—, sondern auch Schmiergeld über seine Firmen an Politiker und Parteien wie das BZÖ verteilte. Hochegger machte es mit Schwarz, Blau und Rot, hatte enge geschäftliche Verbindungen zu Leuten wie Walter "Was woar mei Leistung?" Meischberger, Ernst Plech und eben KHG. Kurz: Es gibt einige Gründe, den Mann (oder zumindest die öffentliche Person) nicht außerordentlich sympathisch zu finden.

Hochegger wurde vor 2013 im Verfahren "Telekom IV" wegen Untreue schuldig gesprochen und zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Der Oberste Gerichtshof bestätigte Ende letzten Jahres grundsätzlich den Schuldspruch, hob das Strafmaß aber auf, weil Hochegger gleichzeitig wegen Falschaussage vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss verurteilt wurde, wo allerdings auch ein Aussagenotstand geherrscht haben könnte. Ja, das ist leider alles genauso kompliziert wie es sich liest. Eigentlich sogar noch viel komplizierter.

Wichtig ist aber eigentlich nur: Hochegger ist schuldig—es ist nur unklar, wie lange er ins Gefängnis muss. Letzte Woche war vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien ein Termin angesetzt, wo diese Frage geklärt werden sollte. Das Problem war, dass eine entscheidende Figur fehlte. Peter Hochegger war nicht erschienen.

Wie muss ein Staat, der sich den Menschenrechten verpflichtet fühlt, da handeln?

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Hocheggers Anwalt erklärte, dass sich sein Mandant in einer psychiatrischen Einrichtung in Basel befinde. Er habe sich ursprünglich dort am Auge operieren lassen wollen, dann aber einen psychischen Zusammenbruch erlitten und sei nicht reisefähig. Seine Mandant nehme schwere Psychopharmaka ein, es bestehe akute Suizidgefahr. Hochegger wolle sich dem Verfahren aber in jedem Fall stellen.

Die Wiener Justiz war nur so halb amüsiert. Am Dienstag wurde Hochegger dann in der Privatklinik St. Radegund nahe Graz, wohin er in der Zwischenzeit transferiert worden war, festgenommen. Die Staatsanwaltschaft sieht Fluchtgefahr, auch weil Hochegger zumindest einen Großteil des Jahres in Brasilien lebt.

Bislang kann niemand wissen, ob Hochegger lügt. Auch wenn er bislang zu jedem Gerichtstermin zuverlässig anreiste und Österreich mittlerweile eine Auslieferungsabkommen mit Brasilien hat—es ist möglich, dass der Ex-Lobbyist relativ gesund ist und sich nur um seine gerechte Strafe drücken will. Oder vor dem bald anstehenden Prozess in der BUWOG-Affäre, wo theoretisch eine deutlich höhere Strafe möglich ist.

In den Foren kochte nach Hocheggers Fernbleiben vor Gericht jedenfall der Volkszorn hoch. Das Urteil war schnell gefällt: "Der macht auf krank". Hochegger sitze in der Schweiz, behaupte einfach irgendwas und lache die österreichische Justiz aus.

Das ist ja alles irgendwie verständlich. Es ist durchaus irritierend, wenn ein braungebrannter Managertyp, der über Jahre hinweg wie eine Spinne im Netz aus Korruption und Semi-Korruption saß, genau in dem Moment, wo er dafür geradestehen sollte, Schwächen zeigt, die ihn davor bewahren könnten. Das Problem ist halt, dass Hochegger genauso gut die Wahrheit sagen könnte. Was, wenn Hochegger wirklich hochgradig depressiv und suizidgefährdet ist? Darf ein Staat, der sich den Menschenrechten verpflichtet fühlt, das ignorieren, nur weil die Person ein Straftäter der dreisteren Sorte ist?

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Eine Depression ist keine schlechte Laune, aus der man sich so einfach herausziehen kann.

In Österreich gibt es ein verhältnismäßig gut funktionierendes System aus gerichtlich angeordneten medizinischen Sachverständigen. Ja, es mag vereinzelt Gefälligkeitsgutachten geben. Und natürlich hat ein reicher Angeklagter immer besseren Zugang zu guten Anwälten und Ärzten. Aber es gibt eigentlich wenig Gründe, das System grundsätzlich anzuzweifeln.

Der schwer herzkranke ehemalige BAWAG-Chef Helmut Elsner wurde für transportfähig erklärt und saß trotz dreier Bypässe, die ihm während der U-Haft gelegt wurden, insgesamt viereinhalb Jahre ein, bis es medizinisch nicht mehr ging. Erst diese Woche wurde der Ex-Immofinanz-Chef Karl Petrikovics—der sich übrigens ebenfalls auf psychische Probleme berief—nach der Einholung von zwei Gutachten für vollzugsfähig erklärt und muss wohl hinter Gitter.

Im Fall Hochegger spielt wohl noch etwas eine Rolle, das wirklich gefährlich ist: das Herunterspielen von psychischen Erkrankungen, die immer wieder gerne als "nicht richtige" Erkrankungen gelten. Das gilt natürlich nicht nur für den zugrunde liegenden Fall. Es zeigt sich auch in der oft geäußerten Haltung, Depressive sollten sich doch einmal "zusammenreißen".

Eine Depression ist aber keine schlechte Laune, aus der man sich mit ein bisschen Partymachen, durchs Mohnfeld springen oder Simpsons streamen selbst rausziehen kann. Eine ausgewachsene Depression ist eine ernsthafte Erkrankung, die professioneller Hilfe und oft medikamentöser Behandlung bedarf. In Österreich leiden bis zu 400.000 Menschen unter affektiven Störungen. Denen tut man keinen Gefallen, wenn man diese Krankheitsbilder öffentlich derart höhnisch behandelt.

Natürlich kann man bei einer Depression kein EKG machen und ein sauberes, unzweifelhaftes Ergebnis bekommen. Es gibt immer einen gewissen ärztlichen Spielraum. Und ja, es wird auch immer Leute geben, die versuchen das auszunutzen. Trotzdem ist die Vorstellung, ein Verurteilter könnte einem ausgebildeten Psychiater, der noch dazu Erfahrung in der Erstellung von Gutachten hat, so einfach etwas vorheulen und bekäme dann einfach irgendwas attestiert, vorsichtig gesagt realitätsfremd. Die Diagnose Depression schützt auch übrigens auch nicht grundsätzlich vor Haft.

Gut möglich, dass die Staatsanwaltschaft im Fall Hochegger übers Ziel hinausgeschossen ist. Das muss jetzt ein Haftrichter entscheiden und in der weiteren Folge dann Gutachter. Man kann ein gewisses Vertrauen darin haben, dass sie das ordentlich machen werden. Und wenn dabei herauskommt, dass Hochegger derzeit zu krank für einen Prozess oder Haft ist, dann muss man das als das nehmen, was es ist: ein Kollateralschaden eines Rechtsstaats, der Sanktionen nicht um jeden Preis vollstreckt. Und der bekanntlich auch für Unsympathler gilt.

Jonas auf Twitter: @L4ndvogt