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SCHULDIG: Das Urteil im Puber-Prozess

Wir haben für euch zwei Tage lang live aus dem Landesgericht für Strafsachen berichtet. Hier die Chronik der Ereignisse, die zum Schuldspruch des Angeklagten führte.

Foto von VICE Media

Bereits gestern waren wir für euch im Wiener Landesgericht für Strafsachen und haben live vom Prozess gegen den Sprayer berichtet, der hinter den (oder zumindest einigen der) „Puber“-Tags stehen soll. Nach dem Schuldspruch von Josef S., der von der Staatsanwaltschaft im Abschluss-Plädoyer als „Terrorist“ bezeichnet wurde, ist das bereits der zweite große Prozess in dieser Woche. Manfred Klimek bezeichnete in Bezug auf beide Fälle, gestern in seinem VICE-Gastkommentar Österreich als „Unrechtsstaat“. Wir sind auch heute wieder dabei.

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„Puber“ zu Schwester: Sprich nicht mit Idioten

Prozesstag 2 beginnt mit viel kleinerem Andrang. Die Uhr im Warteraum ist stehen geblieben. Auch die Schwester des Angeklagten ist wieder vor Ort und spricht gerade mit einer Watson-Reporterin—der Beschuldigte wird in Handschellen an ihr vorbeigeführt und sagt zu ihr, sie solle nicht mit solchen Idioten sprechen.

Die Fakten werden weiter durchgegangen, es wird wie bereits gestern in großen Aktenbergen gewühlt. Der Angeklagte sagt, wie schon am ersten Prozesstag, dass er sich bei den einzelnen Fällen nicht sicher wäre, ob die Tags von ihm stammten oder nicht.

Graphologisches Gutachten wird nicht als Beweis verwendet

Einige der vorgelegeten Fakten kann der Angeklagte als definitiv nicht von ihm stammend identifizieren. Bei meisten ist er sich nicht sicher und bei den wenigsten sagt er leise „Das kann von mir sein“. Der Staatsanwalt betont, dass laufend Fakten nachkommen—der Richter hingegen erwähnt, dass im Sinne einer schnellen Prozessführung auch einmal Schluss sein muss.

Auf den Nebenplätzen sitzt ein Pärchen, das Nüsse aus einer Plastikbox isst und sich immer wieder unterhält, als wären sie im Kino. Es herrscht zunehmend Aktenchaos, der Richter sagt: „Moch ma weiter, sonst wird des nix.“

Verteidiger und Staatsanwalt diskutieren, ob es beim Tatbestand der Verunstaltung auch um die Funktionsfähigkeit des vermeintlich beschädigten Objektes geht. Interessantes (und vielleicht absurdes) Detail: Das graphologische Gutachten wird nicht als Beweis im Verfahren herangezogen.

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Zeugen überfragt, Richter genervt

Die Zeugen werden aufgerufen. Einem Faktum ist ein komplett schwarzes, in der Nacht aufgenommenes Lichtbild beigelegt; zu einigen gibt es, wie bereits gestern, gar kein Bildmaterial. Die wenigen anwesenden Zeugen sollen die Schriftzüge, die sie gesehen haben wollen, genau beschreiben—auch die Zusammensetzung aus Groß- und Kleinbuchstaben—und sind damit völlig überfragt.

Der Richter ist sichtlich genervt, auch von den Nachfragen der Zeugen. Eine Zuhörerin spielt Solitär am Handy, eine andere liest und markiert ihr Skriptum. Das Durchgehen der Fakten geht weiter.

„Wir machen hier ja keine Live-Übertragung“

Immer noch werden einzelne Fakten und Bilder durchgegangen. Die einzigen, denen Puber vermutlich mittlerweile Angst macht, dürften die Bürokraten sein. Der Richter bittet einen Kameramann mit den Worten „Wir machen ja keine live Übertragung—NOCH nicht …“ aus Saal. Ein kurzes Zwiegespräch zwischen Richter und Anwälten lässt vermuten, dass es noch heute zu einem Urteil kommen wird.

Der Staatsanwalt zieht ein Faktum zurück—bei mehreren Fakten ist in der Nummerierung der Bilder offenbar ein Fehler unterlaufen, ein Fakt ist doppelt im Akt enthalten.

Reiß di zaum als gutgemeinter Rat

Auf vielen Bildern, die den Fakten beiliegen, ist gar kein „Puber“-Tag zu sehen. Der Richter fragt, ob der Schriftzug „Puber Most Hated“ von ihm wäre, was der Angeklagte verneint. Ein paar Beobachter im Saal lachen.

Einige der Tags wurden den Fakten zufolge inzwischen mit dem Spruch „Reiß dich zam“ übersprayt. „Vielleicht sollten Sie sich das zu Herzen nehmen“, sagt der Richter.

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Snus im Mund und ein Ende in Sicht

Die Verhandlung beschäftigt sich immer noch mit dem Durchgehen der Fakten, aber inzwischen ist langsam ein Ende in Sicht. Gerade wird Nummer 200 besprochen. Auch ein Abbruchhaus ist unter den vermeintlich verunstalteten Immobilien. Ein Sitznachbar hat sich grad Snus unter die Lippen geschoben. Der Angeklagte muss weiterhin „Puber“-Tags identifizieren.

Staatsanwalt: Schuldig in allen Fällen

Nun sind endlich alle Fakten durchbesprochen. Die Staatsanwaltschaft fügt dem Akt noch zwei neue hinzu, so dass es insgesamt auf 234 Fakten kommt. Als nächstes wird das Schreiben eines Zeugen verlesen, der nicht anwesend ist und den Angeklagten beim Sprayen beobachtet haben will. Der Beschuldigte verlässt den Raum mit seinem Anwalt, der keine weiteren Anträge mehr stellt.

Der Staatsanwalt räumt die „schwierige Sachlage“ aufgrund des „lebenden Akts“ ein—schließlich kämen täglich noch Anzeigen nach. Er erklärt nochmals, weshalb der Tatbestand der Sachbeschädigung hier zutrifft: Immerhin gebe es einen unverhältnismäßigen Aufwand bei der Reinigung der Gebäude. Insgesamt holt er sehr weit aus und weist das Gericht darauf hin, dass das Schweigen eines Angeklagten bei besonders erdrückender Beweislage durchaus mit zu werten sei.

Der Staatsanwalt erklärt weiter, dass der Angeklagte in der Schweiz mehrmals vorbestraft sei und es außerdem ein laufendes Ermittlungsverfahren in der Schweiz gegen ihn gebe. Er bezeichnet die Beweislage als massiv und glaubt, dass der Beschuldigte für alle verhandelten „Puber“-Tags verantwortlich ist—unter anderem, weil seit des Umzugs des Angeklagten nach Wien in der Schweiz keine neuen Anzeigen wegen des „Puber“-Schriftzugs mehr eingegangen seien. Der Strafantrag bleibt aufrecht.

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Plädoyer der Verteidigung: Freispruch

Der Verteidiger weist darauf hin, dass keine Verunstaltung vorliege, wenn eine Wand bereits mit mehreren Tags beschmiert ist. Verschmutzung selbst sei kein eigener Tatbestand, sondern nur ein Teil des Tatbestandes der Sachbeschädigung—wenn der Gesetzgeber jede Verschmutzung oder Beschmierung als Sachbeschädigung sehen würde, hätte er einen eigenen Tatbestand geschaffen.

Er führt außerdem aus, dass die Fakten nicht für eine Urteilsgrundlage tauglich wären—rechtlich wäre es keine Verunstaltung, wenn kein Schaden entstanden ist. „Beschmieren ohne Schaden kann keine Sachbeschädigung sein.“

Darüber hinaus handle es sich bei den Verurteilungen in der Schweiz ausschließlich um geringfügige Geldstrafen. Er findet es „nicht fair“, dass hier Schweizer Verfahren als Argument angeführt werden, wo dort immerhin gegen 5 Verdächtige ermittelt wird. „Es ist klar, dass hier mehrere am Werk waren und dass der ,Puber‘-Tag von vielen verwendet wird.“ Immerhin gebe es diesen ja auch in vielen Ausführungen.

„Auch nach der Inhaftierung gab es noch neue ,Puber‘-Tags. Es gibt keine Beweise dass [der Angeklagte] Puber ist.“ Der Verteidiger merkt an, dass es immer einen Grund gibt, wenn die Staatsanwaltschaft ein Gutachten nicht als Beweis heranzieht—weil es keine Grundlage für eine Verurteilung darstellen würde. Anschließend geht er sämtliche Fakten nochmals durch.

Angeklagter: „Entschuldigung, dass ich mich verleiten lassen habe“

Der Verteidiger sagt: „Der Schaden ist weit von 50.000 Euro entfernt. Schweigen darf gegen niemanden verwendet werden.“ Er findet ein mildes Urteil angemessen, auch eine zur Gänze bedingte Haftstrafe wäre für ihn vertretbar.

Der Staatsanwalt fragt den Angeklagten, wofür „Puber“ eigentlich steht und warum er „es getan hat“. Der Beschuldigte antwortet, er hätte sich nichts dabei gedacht und dass Puber keine besondere Bedeutung habe. Dann fügt er noch hinzu: „Ich entschuldige mich, dass ich mich zu dem Blödsinn verleiten lassen habe.“

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Es wird eine Pause bis 17:30 Uhr angesetzt. Anschließend folgt das Urteil.

Urteil steht: SCHULDIG

Kurz nach halb sechs wurde der Angeklagte vom Gericht für schuldig befunden. Das Strafmaß wurde zuerst von keinem der anwesenden Reporter verstanden, da das Mikrofon ausfiel. Danach wurde es nochmals verkündet: 14 Monate, 10 davon bedingt, 3 Jahre Probezeit.

Der Verurteilte berät noch mit seinem Verteidiger, verkündet dann aber seinen Rechtsmittelverzicht. Die Verhandlung ist geschlossen. Renato S. tritt vor und muss seinen Verzicht unterschreiben. Anschließend muss er, wenn auch ohne Handschellen, noch einmal mit den Beamten mitgehen. Danach ist er frei.

Verena auf Twitter: @verenabgnr