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Popkultur

Rechte setzen sich jetzt endlich selbst außer Gefecht

Eine Facebook-Nutzerin kündigt an, aus Protest gegen Flüchtlinge in den Hungerstreik zu treten. Die bisher proaktivste Idee aus der Neonazi-Ecke.

Der Österreicher hat es heutzutage nicht leicht. Jeder möchte etwas von ihm. Erst die Zwangsgebühren an die staatlich finanzierte Lügenpresse und jetzt auch noch diese ganzen Flüchtlinge, die Heimat, Familie und Arbeit hinter sich lassen, um sich in der Alpenrepublik auf unsere Kosten ein schönes Leben zu machen. Dass das alles natürlich absoluter Schwachsinn ist, haben wir euch an anderer Stelle schon ausführlich erklärt. Weil es aber einfacher ist, sich reflexhaft in die Opferrolle zu begeben, als mitzudenken und sich etwas aus der eigenen Komfortzone zu bewegen, pflegen Asylgegner immer noch gerne die Mär des faulen Wirtschaftsflüchtlings, der an der Grenze erst mal ordentlich Steuergelder in den Rachen gestopft bekommt.

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Dagegen „muss etwas getan werden", dachte sich auch die deutsche Facebook-Nutzerin Sandra K., die kurzentschlossen den Edding zur Hand nahm und sich mit einem Aufschrei an die Facebook'sche Weltöffentlichkeit wandte. „HUNGERSTREIK! Hiermit fordere ich für meine Tochter und für mich auch 2000,- € Netto Taschengeld! Auch wir haben keine Zeit mehr und wollen ein schönes und sorgenfreies Leben !!!" steht auf dem Schild, was sie für ein vermeintlich aufrüttelndes Foto in die Kamera hält. Wenn die besorgte Bürgerin nicht gerade virale Anti-Asyl-Kampagnen lostritt (über 25.000 Shares), schießt sie übrigens Selfies im „Nationalist"-Pulli.

Besonders ironisch an dem Bild ist natürlich das kleine Schild rechts. „Kaffeepause 8:00 bis 12:00, Mittagspause 12:00 bis 17:00" steht da. Fast könnte man meinen, es zwinkere einem schelmisch zu. Gott sei Dank können sich unsere deutschen Nachbarn zumindest noch auf ihre hart arbeitenden Mitbürger verlassen. Leistung, Zuverlässigkeit, Augenbrauen, die Erinnerungen an die geläuterte Ex-Pegida-Frontfrau Kathrin Oertel wachrufen—das ist Deutschland. Hier wird „soziale Gerechtigkeit" noch mit 42 Ausrufezeichen geschrieben.

Doch sich einfach nur über eine weitere absurde Aktion der ganzen besorgten Patrioten da draußen lustig zu machen, wäre natürlich ein bisschen zu einfach. Auch wenn der groß angekündigte Hungerstreik den offensichtlichen Höhepunkt der allgemeinen rechten Heulsusigkeit markiert. Der arme Österreicher, das mittellose Opfer der Weltpolitik, der ständige Verlierer der Geschichte. Nur schlechte Menschen treten noch mal nach, wenn jemand mit Phantomschmerzen am Boden liegt und sich an seinen eigenen Tränen berauscht.

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Deswegen versuchen wir das Ganze ein bisschen ergebnisoffener zu sehen. Vielleicht tun wir Sandra K. und den über 25.000 Leuten, die ihren Protest-Post bisher geteilt haben, Unrecht. Vielleicht sollten wir uns darüber freuen, dass die ganzen wütenden Kartoffelbürger da draußen ihr eigenes Problem im Kern erkannt haben: Sie befinden sich in einer privilegierteren Position als die Leute, gegen die sie so gerne im Internet hetzen und versuchen deshalb, ihren eigenen Lebensstandard zu senken. Um sich in Menschen hineinversetzen zu können, die nichts (oder zumindest deutlicher weniger) zu essen haben und demzufolge auf Lebensmittelspenden angewiesen sind. Richtig?

OK, vielleicht doch nicht.

Die allgemeine Bereitschaft, sich zu „Taschengeld" in nicht unbeträchtlicher Höhe zu hungern, ist aber trotzdem der sowohl kreativste als auch sinnvollste Vorschlag zur Entspannung der Flüchtlingsdebatte, der bisher aus der rechten Ecke kam. Wer hungernd und motzig vor seinem Facebook-Feed hockt, pöbelt nicht besoffen auf der Straße rum oder uriniert in öffentlichen Verkehrsmitteln auf hilflose Kinder. Und wer drei Tage lang auf Nahrungszufuhr verzichtet, hat wahrscheinlich auch keine Kraft mehr, Molotow-Cocktails in Turnhallen zu werfen.

Allerdings gibt es einen Punkt, an dem die eigene Leidfähigkeit ganz entschieden aufhört. Wer schon mal einen besorgten Bürger in seiner natürlichen Umgebung (Mahnwache, Volksfeste, am Anfang des Monats vorm Jobcenter) gesehen hat, wird es bereits geahnt haben: Bier.

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Screenshot: Facebook

Was lernen wir daraus? Flüchtlinge sollten zukünftig in Hofbräuhäusern und Biergärten untergebracht werden. Da flögen sicherlich keine brennenden Flaschen.

Fragwürdig bleibt natürlich, wie sich die Hungerstreik-Aktivisten das Ganze realistisch vorstellen. Werden sich aufopferungsvolle Asylgegner vor die McDonald's-Filiale ihrer Wahl ketten? Wird die/der besorgte FleischfachverkäuferIn („Der Peppi wor scho long nimma do!") eine Meldung beim zuständigen Sozialamt machen? Wird Werner Faymann daraufhin mit einem Umschlag (2000 Euro, nicht nummerierte Scheine) in den gefalteten Händen gerade noch rechtzeitig die Tür des darbenden Neonazis eintreten, um ihn vor dem nahenden Hungertod zu bewahren?

„Haben Neonazis endlich einen Weg gefunden, sich selbst aus unserer Gesellschaft zu entfernen?", könnte man sich jetzt fragen, wenn man ein zynisches Arschloch wäre. Aber das tun wir nicht, denn der Wunsch nach Selbstjustiz hat in unserer aufgeklärten Gesellschaft nichts verloren. Auch wenn es einem die rechte Ecke wahnsinnig schwer macht, ein Humanist zu bleiben.

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