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Wie „Saufen für Lemmy“ auf Facebook zum Kampf von Links gegen Rechts wurde

Eigentlich sollte es um Rock'n'Roll gehen. Doch dann fiel einigen auf, dass das Facebook-Event von einem bekennenden Rassisten erstellt wurde.

Foto: Goran Beg | Flickr | CC BY 2.0

Ian „Lemmy" Kilmisters Leiche ist noch nicht mal wieder nüchtern, da beginnt im Netz bereits der Kampf um sein geistiges Vermächtnis. Im Facebook-Event „Saufen für Lemmy", zu dem sich über 33.000 User angemeldet haben, streiten ausgerechnet jene zwei Gruppen um die Vereinnahmung des Motörhead-Frontmanns, mit denen er nie etwas zu tun haben wollte: Moralapostel und Rechte.

Die Frage ist simpel: Würde Lemmy mit dem Facebook-Veranstalter trinken oder ihn doch eher als abgefuckten Nazi beschimpfen und den Whiskey (beziehungsweise, seit seiner Diät, den Vodka) wieder einpacken?

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Die Antwort glaubt man wie immer auf beiden Enden des politischen Spektrums zu haben. Die einen posten als angebliche Bestätigung für seinen Deutschnationalismus Fotos von Lemmys Nazi-Devotionalien-Sammlung und dem Eisernen Kreuz an seiner Halskette. Die anderen verweisen auf ein Interview mit der Süddeutschen Zeitung, in dem Lemmy bereits 2003 klarstellte: „Rassismus ist das Übel unserer Welt. Nazi sein bedeutet, dass du verloren hast, bevor du anfängst. Du kannst nicht gewinnen. Du bist nur dumm."

Was die Gesinnung des Veranstaltungs-Erstellers angeht, gibt es wenige Zweifel. Am 6. November postete er vom selben Profil öffentlich folgenden Status auf Facebook:

Screenshot von VICE Media

Die Argumentation, mit der hier gleichzeitig rechtes Gedankengut gegen „Gutmenschen" immunisiert und Rassismus in der „Das wird man wohl noch sagen dürfen"-Version glorifiziert wird, ist nicht neu.

Nach derselben Logik bezeichnen sich Österreichs selbsternannte Asylkritiker im Netz seit längerem stolz als „Nazi" oder „NaSo", weil die Begriffe angeblich absichtlich irreführend gebraucht werden. Das ist nichts weiter als ein Neuaufguss des geistigen Nulllinien-Arguments: „National und sozial in Kombination, was soll daran bitte schlecht sein?"

Ein anderer User treibt es mit den Euphemismen auf die Spitze und beklagt sich über die nervige „Naziphobie" unter den Event-Teilnehmern. Außerdem heißt es: „Drecks Linksversiffte [sic] Gesellschaft. Ich verachte euch!" und weiter: „Die Meinung jedes Linken interessiert mich nicht! Lasst eure Kommentare dazu stecken, sie werden gelöscht. Ich diskutiere nicht mit Deutschlandhassern."

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Inzwischen hat der Ersteller des Events den Stecker gezogen und das Trinkkonzert vorzeitig abgebrochen: Wie er in einem anderen, gleichnamigen Facebook-Event schreibt, wurde die Veranstaltung gelöscht, weil manche „alles in den politischen Dreck ziehen" müssten.

Das Interessante ist aber etwas anderes: Und zwar die komplette Erkenntnisresistenz der rechten Motörhead-Fans, wenn es darum geht, wie ihr Idol Lemmy wirklich zum Gedankengut hinter den Flaggen, Kreuzen und Uniformen steht. Dass der Sänger Nazis für dummen Abschaum hielt und einfach nur historisch und popästhetisch von ihrem Look fasziniert war, müsste man als echter Fan nämlich schon ein paar Mal (auch abseits der Süddeutschen) gelesen haben—unter anderem hier, hier, hier und hier.

Gegenüber dem britischen Independent erklärte Lemmy: „Es ist nicht meine Schuld, dass die Bösen immer den besten Scheiß haben" und meinte damit die schnittigen Uniformen, die bei Napoleon, den Konföderierten und eben auch den Nazis einfach am besten ausgesehen hätten.

Für manche reicht das schon aus, um Lemmy zu boykottieren. Für sie ist esfragwürdig genug, SS-Uniformen auf eine Stufe mit Che-Guevara-Shirts, Hammer-und-Sichel-„Ostalgie" und Guy-Fawkes-Masken zu stellen. Das ist natürlich OK. Niemand muss seine Nazi-Sammlung gutheißen.

Man sollte aber trotzdem verstehen, dass Lemmys Faszination mit dem Bösen—nicht obwohl, sondern gerade weil es noch dazu so verdammt gut aussieht—keine ideologische Zustimmung ist.

Es ist dasselbe, wegen dem auch Serien wie The Man in the High Castle (in der die Nazis den Krieg gewonnen und die USA besetzt haben) funktionieren: weil wir eben auch das, was wir verabscheuen, besser verstehen wollen. Ein bisschen mehr von diesem Bedürfnis hätte wohl auch den Diskutanten im ursprünglichen „Saufen für Lemmy"-Event nicht geschadet.

Im neuen, wesentlich kleineren Ersatz-Event setzt man dezidiert auf Saufen „ohne braunen Nachgeschmack". Für alle, die dennoch auf Lemmys Rücken politische Machtkämpfe austragen wollen und Rock'n'Roll-Provokation mit unreflektiertem Nazi-Bullshit verwechseln: Hier ein kleiner Reminder, wer in diesem Spiel die Hosen anhat—und zwar solange, bis sie ihm von den Gebeinen faulen:

It's all about the game and how you play it.
All about control and if you can take it.
All about your debt and if you can pay it.
It's all about pain and who's gonna make it.

I am the game, you don't wanna play me.
I am control, no way you can change me.
I am heavy debt, no way you can pay me.
I am the pain and I know you can't take me.

– „The Game", Motörhead

Markus auf Twitter: @wurstzombie