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Interviews

#SchweizerAufschrei: Die Lesbenorganisation Schweiz erklärt ihr Problem mit "schwulem Sexismus"

Wir haben mit Lovis Cassaris, Co-Präsidentin der Lesbenorganisation Schweiz, darüber gesprochen, wieso der #SchweizerAufschrei für lesbische Frauen doppelt nötig ist.

Foto mit freundlicher Genehmigung von Lovis Die Schweizer Lesbenorganisation LOS hat gestern eine Medienmitteilung mit dem Titel "Schwuler Sexismus – Es reicht!" veröffentlicht. Anlass ist der #SchweizerAufschrei, der sich in den letzten Wochen auf Social Media und schliesslich in klassischen Medien verbreitete. Unter dem Hashtag berichteten vor allem Frauen von ihren alltäglichen Erlebnissen mit Sexismus und sexualisierter Gewalt. Die Aktion löste eine schweizweite Sexismusdebatte aus. Doch in dieser wurden laut LOS bisher zwei Aspekte vernachlässigt: der schwule Sexismus und die Unsichtbarmachung lesbischer Frauen. Wir haben mit Lovis Cassaris, der Co-Präsidentin von LOS und Mitinitiantin vom #SchweizerAufschrei, gesprochen.

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VICE: #SchweizerAufschrei ist in aller Munde. Deine Bilanz der Aktion?
Lovis: Wie es weitergeht, ist noch unklar. Tatsache ist, dass das Thema sowohl in den Medien als auch privat behandelt wird. Wir Initiantinnen wollten die Menschen zum Nachdenken anregen und das haben wir geschafft.

Ihr habt heute eine Medienmitteilung veröffentlicht, in der ihr anprangert, dass Lesben unter "schwulem Sexismus" leiden. Was genau meint ihr damit?
Mit schwulem Sexismus sind vor allem zwei Aspekte gemeint: Die Lesbenfeindlichkeit und die Unsichtbarmachung von Lesben innerhalb der LGBT+-Community. Aber auch die einseitige Berichterstattung der Medien, die lesbische Frauen ausblendet und schwule Männer als Repräsentanten der gesamten Szene darstellt.

Wie werden Lesben innerhalb der LGBT+-Community diskriminiert?
Zum Beispiel, indem wenig Angebote und geschützte Räume für Frauen angeboten, und dafür spezifische Frauen- und Lesbenthemen ausgeblendet werden. Indem schwule Männer für uns Frauen reden oder über uns, wobei sie abschätzige Kommentare zum weiblichen Körper machen. Kommentare wie: "Vaginas sind unschön, wer möchte schon damit Sex haben" oder "Eure Periode ist eklig" sind sexistisch. Sexuelle Belästigungen werden teilweise heruntergespielt, weil schwule Männer damit argumentieren, dass sie homosexuell sind und kein sexuelles Interesse haben.

Wenn Frauen in der Öffentlichkeit zärtlich miteinander sind, wird das oft anders aufgefasst, als zum Beispiel bei knutschenden Schwulen. Inwiefern "akzeptiert" die Öffentlichkeit Lesben anders als Schwule?
Heterosexuelle Männer fühlen sich schnell provoziert, wenn sie in der Öffentlichkeit zwei Schwule sehen, die sich küssen, und reagieren häufiger aggressiv. Lesbische Frauen sind zwar auch nicht vor Aggressionen geschützt und müssen sich Sprüche anhören wie "Du musst nur mal richtig von einem echten Kerl gevögelt werden" oder gar schlimmere Vergewaltigungsandrohungen, aber nicht selten fühlen sich ebendiese Männer beim Anblick von zwei sich küssenden Frauen aufgefordert, sich aufzudrängen. Dahinter steckt die Vorstellung, dass Frauen, die sich küssen, vor allen Dingen der Befriedigung von Männerfantasien dienen. Die meiste Pornographie vermittelt leider dieses Bild.

Was muss sich ändern?
Die LOS fordert zum Beispiel eine differenziertere Berichterstattung, einen sorgfältigen Umgang mit Sprache und mehr Sensibilität für Themen, die Frauen und lesbische Frauen betreffen. "Homosexualität" meint Lesben und Schwule. Wir beobachten allerdings immer öfter, wie der Begriff missverstanden und nur für schwule Männer gebraucht wird. Auch ist in den Medien von Schwulen die Rede, wenn eigentlich die LGBT+-Community gemeint ist. Wir wünschen uns zudem, dass Medien endlich damit aufhören, den Mythos der hysterischen, männerhassenden Lesben zu verbreiten. Die LOS ist weder sauer auf schwule Männer noch auf Männer überhaupt. Wir wünschen uns sogar ihre Unterstützung in der Sexismuskritik. Männer sind davon genauso betroffen wie Frauen, sie sind genauso Teil dieser Mechanismen. Wir machen auf strukturelle Missstände aufmerksam und tragen alle Verantwortung, privat wie auch öffentlich.

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