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​Seestadt Aspern ist die Frauenquoten-Müllhalde Wiens

In der Seestadt Aspern tragen alle Straßen, Gassen und Grünflächen die Namen von Frauen wie Janis Joplin oder Hannah Arendt—weil das gut für die Quote ist.
Fotos mit freundlicher Genehmigung von Péter Oroszlány

Am Wochenende hat es mich ​im Zuge eines kuriosen​ Projektes des Masterstudiums „Social Design" von der Universität für Angewandte Kunst Wien nach Seestadt Aspern im 22. Wiener Gemeindebezirk verschlagen. Das Projekt des ziemlich neuen Studiengangs trägt den alles- und nichtssagenden Titel „2nd World Non-Congress of the Missing Things" und beschäftigt sich mit allem, was in Aspern Seestadt fehlt, mal war oder noch werden wird. Neben dem ganzen Kunstzeug, das man irgendwie nur so ansatzweise verstehen kann, wenn man sich Mühe gibt und der grenzenlosen Leere der Seestadt bleibt einem eine besondere Info besonders hängen: Alle Straßen- und Arealnamen tragen Frauennamen—also zumindest auf Papier. Schilder gibt es noch keine, die kommen erst.

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Neben ziemlich coolen Installationen, aus denen man Bauarbeiter-Geräusche heraustrommeln und -klopfen konnte, gab es noch einen über einem Container aufgespannten rosa Anus, durch den man eine Art Windows-Bildschirmschoner sehen konnte, eine Schnitzeljagd und Filmscreenings in der Kantine Seestadt—ein altmodisch eingerichtetes Balkan-Beisl von innen, ein weißer Container mit zwei Pflanzen von außen. Ein beheiztes Refugium in der Bald-Stadt Aspern.

Ein Stadtplan der Seestadt von ​wien.gv.at

Ein paar ultrafettige Fleischlaberl mit Pommes aus der Kantine später mache ich mich auf den Weg, die unendlichen Weiten der Seestadt zu erkunden. Architektonisch wird man hier keine Nobelpreise gewinnen, die vorherrschende Farbe ist grau und die paar rumstehenden Gebäude und zukünftigen Wohnsiedlungen sehen alle ziemlich gleich (schlecht) aus—darüber trösten auch die großen Frauennamen, die man sich dazudenken muss, nicht hinweg. Aber die Seestadt ist ja noch weit davon entfernt, fertig zu sein. Der Wind zieht durch das kilometerlange Nichts und erreicht so Spitzengeschwindigkeiten, die einem das Pipi in der Blase gefrieren lassen. Trotzdem wohnen hier schon ein paar wenige Menschen, die vermutlich mit der U-Bahn einkaufen fahren müssen. In den nächsten 15 Jahren sollen am ehemaligen Flugfeld Aspern ungefähr 20.000 Menschen wohnen und arbeiten, bis dahin investiert man hoffentlich noch in ein paar Farbkübeln.

Am Ufer des Sees, im Hintergrund die Lego-ähnlichen Zukunftsbauten

Aber zurück zum eigentlich Thema: Im Wiener Straßennetz sind rund 3750 Straßen nach Männern benannt und nur weniger als 200 nach Frauen. Mit der Ergänzung durch die Seestadt kann man so den Anteil der Frauennamen von 5 auf 7 Prozent heben. Dahinter steckt laut MA7 zwar keine dezidierte Quotenregelung, aber man achtet verstärkt darauf, das Ungleichgewicht von Männer- und Frauennamen im Straßennetz ein bisschen auszugleichen. In Zukunft, also wenn die Straßenschilder endlich mal in die Erde gesteckt und an den Häuserwänden montiert werden, kann man dann durch die Susanne-Schmida-Gasse spazieren. Wer Susanne Schmida ist? Laut dem allmächtigen Internet ist sie Philosophin und Gründerin Wiens erster Yogaschule. Auf dem wien.gv.at Wien-Geschichte-Wiki findet man ​einen kurzen Eintrag zur Susanne-Schmida-Gasse mit verlinkter Namensgeberin, deren Artikel man aber ​erst erstellen müsste. Das Leben von Maria von Trapp, der in der Seestadt ein eigener Platz gewidmet ist, inspirierte das Broadway-Stück und den Film The Sound of Music, die seit den 60er Jahren dafür sorgen, dass Amerikaner ein völlig falsches Bild von Österreich haben. Auch Yella Hertzka, die als Frauenrechtlerin und Schuldirektorin angeführt wird und nach der eine Parkanlage in Aspern benannt ist, steht im Schatten ihres Mannes Emil, was sie über ihren Tod hinaus bis nach Wikipedia verfolgt—gibt man Yella Herztka ein, kommt man zu Emil Hertzka.

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Die Publizistin und politische Theoretikerin Hanna Arendt ist wahrscheinlich die bekannteste Namensspenderin in der Seestadt Aspern. Deswegen ist der Hannah-Arendt-Park auch schon eine musterhaft gepflegte Grünfläche, die aussieht als wäre sie aus einem Windows-Hintergrundbild entnommen. Ein bisschen internationaler noch als Arendt ist die psychedelisch-hypnotische Hippie-Künstlerin Janis Joplin, der man eine ganze Promenade gewidmet hat. Was das genau mit Österreich oder den grauen Konformbauten der Seestadt Aspern zu tun hat, oder ob es nicht ein paar mehr österreichische Frauen gegeben hätte, denen man diese Promenade widmen hätte können, weiß ich nicht. Spontan fällt mir da zum Beispiel Johanna Dohnal ein. Ich freue mich jedenfalls schon darauf, wenn Donaustädter „Tschennis Tschopplin" sagen.

Vielleicht ist aber genau diese Auseinandersetzung mit wichtigen Figuren der Geschichte der Punkt. Nicht eine bloße Quotenaufbesserung der Stadt Wien, sondern eine Bewusstseinsbildung gegenüber historisch relevanter Frauen. Dann ist auch der passende Wikipedia-Artikel nur einen Katzensprung entfernt und wir können uns in Zukunft hoffentlich die Diskussionen über die Sinnhaftigkeit von Quotenregulierungen sparen. Außerdem ist es ja irgendwie schon deutlich besser, wenn wir unsere Straßen nach Leuten benennen, auf die man stolz sein kann, anstatt über den ​Antisemiten-Ring spazieren zu müssen.

Balkonien in Aspern. Hier leben die ersten „Pioniere"

Auch die Seestadt selbst wird bestimmt bald ein wenig schöner sein. Das Konzept von vielen erdgeschossnahen Geschäften und einem schnellen Zugang zu Grünflächen und dem See gleich vor der Haustür klingen schon sehr nett und familientauglich. Bis dahin wird es mich aber nur nach Aspern ziehen, wenn ich Bock auf fettige Fleischlaberl habe oder das Gefühl nachempfinden will, alleine in der kalten Antarktis rumzugurken. Oder wenn ich Zeit brauche, ein Buch zu schreiben.

Geht mit Adrian die Janis-Joplin-Promenade entlang: ​@doktorSanchez