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In Österreich brennen seit Wochen immer wieder Unterkünfte von Armutsmigranten

Die jüngsten Brandanschläge in Linz sind nur der neue traurige Höhepunkt in der langen Geschichte der Hetze und Verfolgung von Roma und Sinti in Österreich.

Nein, der Brand in Traiskirchen hat sich zum Glück nicht als Brandanschlag Rechtsextremer herausgestellt—obwohl es wahrscheinlich niemanden überrascht hätte, wenn auch hierzulande ein Gebäude, das in Zusammenhang mit Flüchtlingshilfe steht, Opfer des fanatischen Hass-Angst-Gemisches der euphemistisch oft als „Asylgegner" bezeichneten Neonazis geworden wäre.

Trotzdem können wir nicht aufatmen. Denn auch in Österreich brennt es seit Wochen. Während noch die Meldung umging, dass das Feuer in der Lagerhalle der Caritas in Traiskirchen nicht gelegt war, gab es schon eine neue Brandmeldung aus Linz. Getroffen hat es dabei das Zeltlager einer Roma-Familie—und das nicht zum ersten Mal. „Die Anschläge erinnern an die Zeit des Nationalsozialismus", sagte Balog Radull vom Zentrum für europäische Integration von Roma schon vor zwei Wochen.

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Bereits am 14. Februar wurden auf dem Gelände der Voestalpine in Linz mindestens 15 Zelte durch ein gelegtes Feuer zerstört. Nur zwei Tage später brannten weitere fünf Zelte von aus Südosteuropa stammenden Roma. Am Mittwochnachmittag wurden schließlich erneut vier von sechs Zelten durch ein mutwillig gelegtes Feuer völlig zerstört. Täter wurden in allen drei Fällen bisher keine gefasst, die Polizei vermutet aber ein fremdenfeindliches Motiv und auch der Verfassungsschutz ermittelt.

Für SP-Bürgermeister Klaus Luger liegt ein antiziganistisches Motiv nahe. „Ich verurteile die neuerlichen Brandanschläge aufs Schärfste. Sie sind leider ein Zeichen dafür, dass das gesellschaftliche Klima zunehmend radikaler und gewaltbereiter zu werden scheint", so Luger gegenüber VICE.

Eine These, die auch durch die Studie des Verfassungsschutzes gestützt wird. Denn wie die Behörde Anfang Februar mitteilte, hat sich die Zahl der rassistisch und ausländerfeindlich motivierten Straftaten in Österreich 2015 zum Vergleichsjahr 2014 verdreifacht. Insgesamt gab es 2015 mehr solcher Straftaten als in den Jahren 2012, 2013 und 2014 zusammen.

Bei dem Brandanschlag in Linz wurden alle Habseligkeiten zerstört. Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung der Bettellobby Oberösterreich.

Stark betroffen von diesen Übergriffen und Attacken scheinen dabei vor allem Roma aus Bulgarien und Rumänien zu sein, die in Österreich Arbeit suchen oder betteln. So ist es auch in Salzburg bereits mehrfach zu Attacken auf Bettlerinnen und Bettler gekommen, wie mir Alina Kugler, Sozialarbeiterin in einem Zentrum für Roma und Sinti, erzählt: „Wir haben jetzt grad einen aktuellen Fall in Salzburg, wo ein Mann regelmäßig seinen Hund auf die Bettler, die am Boden sitzen, loslässt. Eine Frau wurde auch schon mit kaltem Wasser übergossen."

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Kugler schätzt die Gefahr vor allem für Roma aus Südosteuropa in Österreich als hoch ein. „In diese Richtung passiert immer wieder etwas", sagt sie. „Angefangen von Übergriffen auf Bettelnde, die an ihrem Bettelplatz sitzen, bis zu Übergriffen an den Orten, wo sie schlafen." Vor allem Übergriffe mit Pfeffersprays gäbe es häufig, auch wenn es verhältnismäßig wenig Anzeigen gibt. „Die Schwierigkeit ist, dass viele Dinge die passieren von den Leuten selbst nicht angezeigt werden. Die haben selbst zu viel Angst vor der Polizei und der Exekutive", erklärt Kugler.

Auch Ferdinand Koller von Romano Centro, einem Verein für Roma und Nicht-Roma in Österreich, sagt gegenüber VICE, dass „die Gefahr offensichtlich immer größer" wird. Auch er meint, dass gerade Bettlerinnen und Bettler immer häufiger Übergriffen ausgesetzt sind und verweist ebenfalls auf teils sehr heftige Fälle aus Salzburg und Dornbirn.

Im konkreten Linzer Fall übt Koller auch Kritik an Bürgermeister Luger: „Man muss sagen, dass diese Leute bewusst einer Gefahr ausgesetzt werden, weil man sie ja nicht unterbringen möchte. Davon sind auch Kinder betroffen. Denen ist jetzt zum dritten Mal alles angezündet worden—innerhalb von zwei Wochen. Und die haben immer noch kein sicheres Quartier", so Koller. Vor allem die Aussage des Bürgermeisters, dass es kulturelle Vorbehalte von seiten der Roma gäbe, Notschlafstellen in Linz zu nützen, weist Koller klar zurück. „Das ist absoluter Blödsinn. Da geht es ganz einfach um eine rechtliche Frage nach dem Zugang zu Versorgung. Der ist für diese Gruppe nicht gegeben."

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Unterstützung bekommen die betroffenen Roma in Linz jetzt von der Bettellobby, die sich gegen die in Teilen Österreichs geltenden Bettelverbote engagiert. „Die Bettelverbote haben sich als völlig untauglich erwiesen, um etwaige kriminelle Strukturen zu bekämpfen. Wir fordern daher ihre ersatzlose Streichung", erklärt Thomas Diesenreiter, einer der Aktivisten in Linz.

100 bis 150 Roma aus EU-Mitgliedsstaaten—davon rund ein Drittel Kinder—sollen sich laut der Bettellobby seit Jahren immer wieder in Linz aufhalten. „Sie kommen, weil sie in ihrer Heimat diskriminiert werden, im Elend leben und keine Perspektive für sich und ihre Familien sehen", so Diesenreiter.

Wir waren in Bulgarien, um herauszufinden, was an der Radikalisierung muslimischer Roma wirklich dran ist

Um sie in Zukunft besser in die Gesellschaft zu integrieren und Anschläge und Übergriffe möglichst zu verhindern, schlägt die Bettellobby eine soziale Zusammenarbeit mit der rumänischen Partnerstadt Brasov vor, aus der viele der Bettlerinnen und Bettler stammen. Langfristig sollen, unter Einbindung der Betroffenen, auch soziale und wirtschaftliche Partnerprojekte zwischen Linz und Brasov entstehen. Eine Idee, die auch bei Bürgermeister Luger auf offene Ohren stößt: „Der Idee, mit Brasov eine soziale Partnerschaft einzugehen, bin ich nicht abgeneigt", sagt der Bürgermeister.

Neben diesen langfristigen Lösungsansätzen fordert die Bettellobby aber jetzt vor allem gründliche Ermittlungen. „Wir erwarten uns von Polizei und Verfassungsschutz, dass alles unternommen wird, um diese Anschlagsserie möglichst rasch aufzuklären, damit die betroffenen Familien nicht mehr in Angst leben müssen", so Diesenreiter.

Die Brandanschläge haben jedenfalls gesellschaftspolitische Relevanz und stellen einen neuen traurigen Höhepunkt in der langen Geschichte der Diffamierung, Hetze und Verfolgung von Roma und Sinti in Österreich dar.

Folgt Paul auf Twitter: @gewitterland