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Popkultur

Für Twin Peaks würde ich Menschen opfern

Die Twin Peaks-Bluray-Fassung beantwortet die letzten Fragen des menschlichen Daseins.

Foto von Flickr; S.Mirk; CC BY 2.0

Was, du hast Twin Peaks nicht gesehen? Dann verpiss dich. Ohne Twin Peaks wäre ich heute nicht, wo ich bin. Twin Peaks hat mich davor bewahrt, mich selbst in einem Eimer Seifenlauge zu ertränken—und wenn du sie auch gesehen hast, geht es dir bestimmt ähnlich (auch wenn dir die Idee, dich in einem Eimer Seifenlauge zu ertränken vielleicht erst durch Twin Peaks gekommen ist). Ja, so gut ist die Serie.

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Kein Wunder, denn sie wurde auch von David Lynch produziert—dem früheren Malerei-Studenten und abgestürzten Kaffee-Liebhaber mit der Rockabilly-Frisur, die wie ein ausserirdischer Parasit auf dem Schädel klebt, dem iPhone-Hasser und Mediationsjunkie.

Auch nach fast einem Vierteljahrhundert ist der popkulturelle Einfluss von Twin Peaks enorm. Immer noch treffen sich jährlich 200 Fans in dem 5.000-Seelen-Städtchen in Washington State, in dem die Serie gedreht wurde.

Dort trinken sie verdammt guten Kaffee, reden rückwärts und fragen Baumstümpfe, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen. Auch heute spuken Agent Cooper, BOB und Laura Palmer noch durch unseren Alltag. Psych widmete Twin Peaks eine ganze Episode. Diverse Indie-Bands tragen entweder einen Namen, der auf die Serieanspieltoder haben Songs über sie geschrieben.

Foto von Flickr; Sam Howzit ; CC BY 2.0

Ohne Twin Peaks hätte es weder Akte X, noch LOST oder True Detective gegeben.

David Lynch ist es mit der Serie gelungen, Krimi, wirres esoterisches Gefasel, Food Porn und eine Ladung Rural Soap zu einem Meisterwerk zu vermengen. Der ausufernde Erzählstil und die hochwertige Machart haben den Boden für alles, was im Fernsehen danach kam, geebnet. Und anders als in seinen Filmen ergibt der Plot der Serie sogar grösstenteils Sinn—bis auf James Hurleys Geheule. Ich hasse James Hurley.

Foto von Flickr; Alan Light; CC BY 2.0

Meine erste Begegnung mit der Serie hatte ich, während ich als Tellerwäscher in einem Krankenhaus arbeitete. Ich stand täglich um fünf auf, hätte also noch vor dem Sandmännchen zu Bett gehen müssen, um nicht mit golfballgrossen Tränensäcken aufzuwachen.

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Leider hielt mich die Serie davon ab, einen vernünftigen Biorhythmus zu erreichen, denn ich habe Abend um Abend, Agent Cooper dabei zugesehen, wie er Donuts frisst, mit seiner imaginären Sekretärin schäkert und permanent gut gelaunt bleibt, selbst wenn er die Leiche einer 17-Jährigen wie Papierfetzen aus dem Nagelbett zerrt.

Nach der Red Room-Szene gehörte ich so sehr der Serie, dass ich das Internet nach Fantheorien durchforstete, die die Mythologie der Serie mit Maharishi Mahesh Yogi, der bevorstehenden Apokalypse und Satan zusammenbringen. Mein konstanter Schlafentzug und die daraus möglichen Halluzinationen und psychoseähnlichen Zustände, sind genau der richtige Zustand, um sich Twin Peaks anzusehen.

Foto von Flickr; Rebecca Wilson; CC BY 2.0

David Lynch hat seit acht Jahren keinen neuen Film gedreht. Um seine neugewonnene Liebe zu Auto-Tune zu finanzieren, war wohl dringend eine Geldspritze nötig. Zum Glück! Denn nun ist endlich eine anständige Bluray-Ausgabe von Twin Peaks erschienen—inklusive des Prequel-Filmes Fire Walk With Me, der 1992 in Cannes ausgebuht wurde. Die Bluray-Qualität ist aber nicht das Hauptargument, weshalb du die 100 Franken für das Teil hinblättern solltest. Wichtiger ist das Bonusmaterial. Die Macher haben es damit fast schon übertrieben: Auf jeder Disc findet sich ein Schmankerl. Mein Highlight ist der „Patriotengruss", den das Cast von Twin Peaks während des ersten Irakkriegs an die Soldaten geschickt hat. Die Szene ist beinahe noch surrealer als der Rest der Serie.

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Hinzu kommen mindestens 20 Interviews, mit wichtigen Figuren wie Amick oder Kyle McLachlan, aber auch dem Polizisten, der nicht einmal eine Leiche fotografieren konnte, ohne in Tränen auszubrechen. Schön ist es auch, dass die „Log Lady" vor jeder Episode ein paar Weisheiten zum Besten gibt.

Foto von Flickr; Sam Howzit; CC BY 2.0

Wichtiger als all die Interviews sind jedoch die Szenen, die David Lynch damals aus dem Film gestrichen hat. Diese 90 Minuten gelten als „Heiliger Gral" der Twin Peaks-Fanszene und reichen vom Banalen bis zum Tiefgründigen. Höhepunkt sind unter anderem eine Prügelszene, ein verwirrter David Bowie in einem Augenkrebs erzeugenden Anzug und zwei Szenen, die nach (!) dem Serienende spielen. Leider kam niemand auf die Idee, die verlorenen Szenen in den Film einzusetzen.

Foto von Flickr; Sam Howzit; CC BY 2.0

Ein Fan-Edit, der die Szenen in den Film gefügt hat, wurde „aus Respekt gegenüber allen Beteiligten" wieder aus dem Netz genommen. Trotzdem hat es seinen Reiz, sich die Szenen ohne Zusammenhang, quasi als Vignetten anzusehen. Twin Peaks—The Entire Mystery ist ein barockes Füllhorn voll Kaffee, Kirschkuchen und dämonischen Kräften.

Ich vergebe 4,5 von 5 Douglas Fir-Holzklötzen. Und vergesst nicht: The owls are not what they seem!