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Sex

Sex Workers and the City

Vor den Human Trafficking Intervention Courts New Yorks werden Prostituierte vielleicht Opfer genannt, aber sie werden auch immer noch festgenommen, immer noch in Handschellen gelegt und immer noch in Käfigen gehalten.

„Wenn sie dich einmal drangekriegt haben, werden sie dich immer drankriegen", sagte mir Love* diesen November in einem billigen Café in der Bronx. „Das Traurige ist, dass nie jemand aufsteht und sich gegen sie wehrt."

Love ist eine 48-jährige schwarze Frau. Sie hat hohe Wangenknochen und verzieht den Mund oft zu einem amüsierten Lächeln, vor allem, wenn jemand etwas Dummes sagt. Love war mehrere Jahre lang in Hunts Point, dem Rotlichtviertel der Bronx, als Sexarbeiterin tätig. Sie war eines Nachts, als sie Geld für die Miete brauchte und genug von der Bürokratie der Sozialfürsorge hatte, einfach mit einer Freundin losgezogen, um zu versuchen, an etwas Geld zu kommen. An diesem Abend verdiente Love 400 Dollar.

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Die Polizei griff sie danach in regelmäßigen Abständen auf, aber sie machte weiter. Sie mochte es, endlich Geld zu haben, und hatte eine Tochter zu versorgen. 2009 wurde Love dann aber während der Arbeit vergewaltigt. Nach der Attacke litt sie unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Mit der Hilfe verschiedener sozialer Organisationen gab Love die Sexarbeit auf und fing eine Ausbildung als chirurgisch-technische Assistentin an. Aber sie blieb weiterhin in Kontakt mit einigen ihrer Freundinnen vom Hunts Point, besonders mit Sandra*, die für sie eine Art Mutterfigur war.

Diesen Sommer ging Sandra dann aber eines Tages plötzlich nicht mehr ans Telefon. Love, die das Schlimmste befürchtete, beschloss, sie zu suchen.

Sie fand ihre Freundin am Hunts Point. Als ein Auto den Block mehrmals umkreiste, dachten sie, dass es ein Bekannter wäre und winkten dem Wagen zu.

„Steig ein", forderte sie der Mann in dem Auto auf. „Ich habe 30 Dollar für einen Blowjob."

„OK, Officer, einen schönen Tag noch", konterte Love. Als sie wegging, rief ihr der Mann hinterher: „Vielleicht bist du ja von der Polizei. Wenn du denkst, ich wär ein Bulle."

Love vergaß den Mann, bis sie auf dem Rückweg zum Bahnhof von drei Polizisten eingekreist wurde. Sie nahmen sie wegen Prostitution fest.

Love saß mit angelegten Handschellen in einem stockdunklen und kochend heißen Polizeibus, während die Polizisten noch zwei Stunden lang am Hunts Point umherfuhren, um weitere „Körper" aufzugreifen, bis sich die Fahrt zur zentralen Aufnahmestelle lohnte. Love war verwirrt und wütend. Insgesamt saß sie 24 Stunden lang fest.

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*Namen geändert

Das Gerichtssystem, mit dem es Love zu tun bekam, war nicht mehr dasselbe wie bei ihren früheren Festnahmen wegen Prostitution. Die Human Trafficking Intervention Courts (HTICs—Gerichte zur Intervention bei Menschenhandel) des Staates New York sind die ersten ihrer Art in den USA. Sie wurden im September 2013 mit großem Tamtam eingeführt und definieren Prostituierte als Opfer des Menschenhandels, statt als Kriminelle.

„Der Menschenhandel ist … eine Form der modernen Sklaverei, die wir in einer zivilisierten Gesellschaft einfach nicht tolerieren dürfen", sagte der Erfinder der Courts, der Richter Jonathan Lippman, bei einer Pressekonferenz. „Wir erkennen jetzt an, dass die große Mehrheit der Individuen, die wegen Verstößen gegen das Prostitutionsverbot angeklagt werden, selbst unter kommerzieller Ausbeutung leiden. Indem die HTIC-Initiative diesen Angeklagten jetzt wichtige Hilfsleistungen anbietet, statt sie zu bestrafen, wird sie helfen, die Leben von Personen zu verändern oder zu retten—und den Behörden gleichzeitig ermöglichen, die wahren Täter zu identifizieren, ihre Taten aufzudecken und sie zu bestrafen.

Trotz solcher Behauptungen von Reformern wie Richter Lippman, gehen die HTICs genauso unnachgiebig vor wie alle anderen auch. Die Prostituierten werden jetzt als Opfer bezeichnet, aber sie werden immer noch verhaftet, mit Handschellen gefesselt und eingesperrt. Der einzige Unterschied ist, dass das neue System keinen Unterschied zwischen Arbeiterinnen und Opfern von Menschenhändlern macht. Für die Gerichte ist jeder, der wegen Sexarbeit festgenommen wird, jemand, der keine eigenen Entscheidungen treffen kann. Leute wie Love, die sich aus finanzieller Notwendigkeit für Sexarbeit entschieden haben, existieren für das System nicht.

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An den HTICs bieten die Bezirksstaatsanwälte den meisten Angeklagten an, an sechs Treffen des Interventionsprogramms teilzunehmen. Danach können sie eine sogenannte „Vertagung zur Prüfung der Einstellung des Verfahrens" beantragen. Wenn sie in den darauffolgenden sechs Monaten nicht noch einmal verhaftet werden, wird die ursprüngliche Anklage gegen sie fallen gelassen. Für Menschen, die zum ersten Mal verhaftet worden sind, kann das tatsächlich die Rettung sein. Aber Love hatte schon viele Verhaftungen hinter sich.

„Die Anklage befand, dass sie, weil sie schon früher der Prostitution schuldig gesprochen worden war, auch dieses Mal schuldig sein musste", sagte mir Zoe Root, eine HTIC-Anwältin der Kanzlei Bronx Defenders, die Love vor Gericht vertrat. Die Staatsanwaltschaft weigerte sich, Love ein anderes Angebot zu machen, als sich im wichtigsten Anklagepunkt schuldig zu bekennen und dafür sieben Tage an Treffen mit der Initiative Bronx Community Solutions teilzunehmen.

Love war perplex. „Ich arbeite seit über zehn Jahren im medizinischen Bereich", sagte sie. „Wegen widriger Umstände und einer schlechten Beziehung bin ich auf der Straße gelandet. Aber jetzt habe ich gerade eine Ausbildung abgeschlossen. Ich habe an Programmen, wie denen, die ihr anbietet, teilgenommen … Ich bin, verdammt noch mal, 48 Jahre alt. Ich habe kein Drogenproblem. Was zum Teufel soll ich mit so einem Angebot anfangen?" Sie entschied sich, mit dem Fall lieber vor Gericht zu gehen.

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Ich habe verschiedene HTICs in der Bronx und in Brooklyn besucht. Das HTIC von Brooklyn ist im Brooklyn Criminal Court in der Schermerhorn Street 120 untergebracht, und zwar in demselben Zimmer, in dem die Richter auch Fälle von häuslicher Gewalt abhandeln. Die mutmaßlichen Prostituierten sitzen hier also neben Männern, denen vorgeworfen wird, ihre Frauen zu verprügeln.

In dem luftigen Gerichtsgebäude in der Bronx wird jeden Morgen eine halbstündige Schlange von Angeklagten abgearbeitet. Wenn man sich umsieht, könnte man meinen, dass es in New York keine einzige weiße Prostituierte gibt. Obwohl sie nur 16 Prozent der Bevölkerung Brooklyns ausmachen, stellen schwarze Frauen 65 Prozent der an dem HTIC Brooklyn angeklagten Prostituierten—wie es in einer Studie der Gruppe RedUp heißt, die sich für die Rechte von Sexarbeiterinnen einsetzt. In Brooklyn gibt es auch einen recht großen Anteil asiatischer Migrantinnen, die Mandarin-Dolmetscher brauchen. Die einzigen weißen Gesichter in dem Gerichtsgebäude in der Bronx gehören aber den Polizisten, Richtern oder Anwälten.

Der Gerichtssaal in der Bronx ist winzig. Als ich hereinkam, rief mich die Richterin Shari Michels zu sich nach vorn. Die Anwesenheit der Presse schien sie nervös zu machen. 2013 hatten die New York Daily News sie angegriffen, weil sie einen pädophilen Polizisten dazu verdonnert hatte, einen Brief an sein Opfer zu schreiben. Als ich Richterin Michels fragte, wo sie den Unterschied zwischen Sexarbeitern und den Opfern von Menschenhändlern festmacht, beschuldigte sie mich, ihr eine Fangfrage zu stellen. „Kein Mädchen träumt davon, Sexarbeiterin zu werden", betonte sie, und zwar laut genug, dass die Angeklagten sie hören konnten. Die Gerichte arbeiten die Fälle mit mechanischer Effizienz ab. Wenn es sich um eine erste Anklage handelt, bittet die Richterin die Bezirksstaatsanwaltschaft, den Frauen ein Angebot zu machen. Diese empfiehlt dann einen der sozialen Dienste und eine Anzahl von Sitzungen. Während der Zeit, in der die Frauen die Sitzungen besuchen, müssen sie sich weiterhin regelmäßig bei Gericht melden, damit überprüft werden kann, dass sie an den Treffen teilnehmen. Wenn eine Frau vor dem Ende ihrer Sitzungen noch einmal verhaftet wird, bekommt sie von den Richtern weitere Treffen aufgebrummt.

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Die Richter fragen die Frauen nie, ob sie zur Sexarbeit gezwungen worden sind. Laut Jillian Modzeleski, einer bei einem Projekt der Strafrechtskanzlei der Legal Aid Society angestellten Anwältin, die sich auf die Verteidigung von Angeklagten im Zusammenhang mit Prostitutionsvorwürfen spezialisiert hat, werden ihre Klientinnen von den Gerichten von Anfang an als Kriminelle behandelt. Also sind sie verständlicherweise den Anwälten gegenüber, die sie bei ihrer Anklageverlesung zum ersten Mal treffen, etwas vorsichtig. Das macht es für Letztere schwierig, zu entscheiden, welche ihrer Klientinnen der Sexarbeit freiwillig nachgehen und welche Opfer von Menschenhändlern sind. Als Opfer von Menschenhandel gilt, wer durch Gewalt, Schuldenknechtschaft oder Betrug zu seiner Arbeit gezwungen ist. Laut Angaben der International Labor Organization sind momentan 21 Millionen Menschen von Formen dieser Zwangsarbeit betroffen—vor allem im Baugewerbe, der Landwirtschaft, der Produktion und der Haushaltsarbeit. Zwangsarbeiter pflücken Erdbeeren und bauen Wolkenkratzer. Von diesen 21 Millionen arbeiten 4,5 Millionen in der Sexindustrie.

Anwältin Kate Mogulescu sagte mir: „Unsere Klientinnen, die vor die [HTICs] kommen, bedürfen in so vieler Hinsicht der Unterstützung, dass die Frage, ob sie Opfer von Menschenhändlern sind, fast zweitrangig ist."

Die Gerichte können keine Unterkünfte zur Verfügung stellen—etwas, das Menschen, die vor ihren Schmugglern fliehen wollen, sicher brauchen würden. Ihnen stehen lediglich dieselben Unterkünfte offen, die es auch für Opfer häuslicher Gewalt und Obdachlose gibt. Auch bieten die Gerichte keinerlei finanzielle Unterstützung oder gar Schutz vor den Tätern an. Eine Sexarbeiterin sagte mir: „Ich will nicht ins Gefängnis. Ich will, dass das alles nur irgendwie schnell vorbei ist. Ich will nicht hier stehen und mich demütigen lassen."

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Mogulescu ist überzeugt, dass die Gerichte Klientinnen, die ihre Unschuld beteuern, unter Druck setzen, indem sie die Prozesse immer wieder vertagen. Irgendwann folgen die Klientinnen dann aus reiner Frustration den Vorgaben der Gerichte. Das aber auch nur, wenn sie das Glück haben, überhaupt frei zu sein. Wenn eine Angeklagte schon wegen vorheriger Drogendelikte verurteilt worden ist, kann es sein, dass sie Wochen im Knast zubringen muss, bis eine überlastete Agentur ihren Fall „evaluiert" hat. Auch wenn eine Person wegen Prostitution in Haft sitzt, können zu den Maßnahmen, die die Staatsanwaltschaft vorschlägt, auch monatelange stationäre Drogenentzugsprogramme gehören, die sich nur minimal von einem Gefängnisaufenthalt unterscheiden.
Während Frauen nach einer ersten Verhaftung oft nach zehn Stunden mit einer Vorladung entlassen werden, werden Personen mit Vorstrafen nur gegen Kaution freigelassen. Für die verarmten Frauen, die von den Pflichtverteidigern vertreten werden, kann das bereits bei Kautionssummen von lediglich 250 Dollar unmöglich sein, sodass man sie stattdessen in dem berüchtigten Gefängnis von Rikers Island wegschließt. Da man oft Monate und Jahre auf eine Verhandlung warten muss, können diese Kautionsforderungen dazu führen, dass Arme sich gegen ihren Willen schuldig bekennen müssen, damit ihnen ein Entlassungstermin in Aussicht gestellt wird.

Die Voruntersuchungen verwirrten Love zunehmend. Verdeckte Ermittler müssen eigentlich ein Aufnahmegerät bei sich tragen, um zu beweisen, dass eine Prostituierte sie angesprochen hat. Da Love dies nicht getan hatte, gab es natürlich auch keine Aufnahme. So stand Loves Aussage gegen die des Polizisten. Love entschied sich also auszusagen. Sie sprach über die Entführung und Vergewaltigung, die sie während ihrer Arbeit auf der Straße erlitten hatte und ihre posttraumatische Belastungsstörung, die so katastrophal war, dass Love als nicht voll arbeitsfähig eingestuft worden war. Sie erzählte, wie wichtig ihr Sandra sei, und dass sie nur an einem Auto gelehnt dagestanden und sich als alte Freundinnen unterhalten hätten.

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Aber als der verdeckte Ermittler in den Zeugenstand trat, bekam Love es mit der Angst zu tun. Sie hatte diesen Typen noch nie gesehen. Seine Version der Geschichte war voller Widersprüche, aber der Staatsanwalt sagte, das beweise nur, dass er ehrlich sei.

Dieser Fremde sagte dann im Zeugenstand aus, dass ihm Love für 20 Dollar einen Blowjob angeboten habe. Für 30 Dollar, behauptete er, hätte sie auf der Straße mit ihm gefickt.

„Von wegen", lachte Love später, als ich sie fragte, ob sie der Meinung sei, dass die Polizei sie gerettet habe. „Drogendealer, Prostituierte und Illegale sind für die doch nur leicht verdientes Geld." Mogulescu ist da ähnlicher Meinung: „Ich glaube nicht, dass die Polizisten, die diese Verhaftungen vornehmen, sich irgendeiner Form der Hilfe oder Rettung dieser Personen verpflichtet fühlen."

Polizisten neigen allgemein zu Gewalt und insbesondere gegenüber Frauen, die sie für Sexarbeiterinnen halten. Laut einer 2012 veröffentlichten Studie des Young Women Empowerment Projects, das sich um junge Menschen kümmert, die Sex verkaufen, ging ein Drittel der gemeldeten Misshandlungen auf das Konto der Polizei. Quellen berichteten mir, dass Polizisten Frauen als „Schlampen" beschimpften, sie bei der Festnahme sexuell belästigten. Im HTIC in Brooklyn sahen Vertreterinnen von RedUp eine schwarze Frau, die von der Polizei so heftig geschlagen worden war, dass sie ins Krankenhaus musste. Verdeckte Ermittler haben Frauen in ihre Autos gelockt, in dem sie ihnen anboten, sie ein Stück mitzunehmen, um sie dann direkt beim Knast abzuliefern.

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Frauen, die von den HTICs ermutigt werden, sich legale Jobs zu suchen, werden von Polizisten zurück in den Knast gezerrt, die meinen, dass, wer einmal eine Prostituierte war, sein Leben lang Prostituierte ist. Die Polizei verhaftet Frauen einzig und allein aufgrund ihres Aussehens.

Die Polizei nutzt vor allem die Drogenabhängigkeit von Sexarbeiterinnen aus. „Wenn Mädchen schreien und betteln, nicht in den Knast zu müssen", sagte mir Love, kommt es vor, dass Polizisten ihnen anbieten, sie gegen Sex freizulassen. Aber das sei immer, so Love, „ein Deal mit den Teufel". Denn auch danach werden diese Polizisten diese Mädchen immer weiter ausnutzen und Informationen oder sogar noch mehr Sex aus ihnen herauspressen.

Was man normalerweise als bewaffnete Vergewaltigung bezeichnen würde, wird hier, nur weil die Opfer Sexarbeiterinnen sind, als „sexuelle Gefälligkeiten" heruntergespielt.

Die Polizei kann Frauen auch unter dem Vorwurf der Prostitution verhaften, wenn sie sie nicht beim Anbieten von Sex für Geld beobachtet haben. Allein der Verdacht, dass sich eine Person in der Absicht an einem Ort aufhält, hier Prostitution zu betreiben, gibt der Polizei das Recht, sie zu verhaften. Es reicht, dass sie z. B. Männern zugewinkt, sich in einer für Prostitution bekannten Gegend auf der Straße aufgehalten oder—zumindest bis vor Kurzem noch—ein Kondom bei sich getragen hat.

Auf den Formularen der Polizei gibt es eine Spalte, in der die Kleidung von verhafteten Frauen beschrieben werden kann. Die Polizei nahm einmal eine Frau fest, weil sie einen Parka mit einer Jeans kombiniert hatte, „die ihre Beine betonte". Wenn sie keine knapp bekleideten Frauen finden, erfinden sie sie. Die Cops nahmen einmal eine Klientin von Modzeleski fest, der sie vorwarfen, mit einem Minirock und einem tief ausgeschnittenen Oberteil bekleidet gewinkt zu haben. Als die Anwältin dann bei ihrer Anklageverlesung zu ihr stieß, trug die Frau aber eine Jacke und Hosen. Das Verfahren wurde eingestellt, nachdem die Anwältin Fotos vorgelegt hatte.

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Racial Profiling kommt in einem so großen Maßstab zum Tragen, dass Afroamerikaner 94 Prozent der in Brooklyn wegen „Aufenthalts zum Zwecke der Prostitution"-Verhafteten ausmachen.

Vor allem Trans Women of Colour werden überdurchschnittlich oft allein wegen ihres Aussehens der Prostitution verdächtigt—und während ihrer Festnahmen auf besonders brutale Weise behandelt. 2011 wurde eine Transfrau namens Ryhannah Combs wegen Aufenthalts zum Zwecke der Prostitution verhaftet, die einfach nur auf der Straße unterwegs war, um ein paar Erledigungen zu machen. Ein Polizist behauptete in seinem Bericht fälschlicherweise, dass sie neun Kondome dabeihatte, obwohl sie in Wirklichkeit kein einziges bei sich trug. Anstatt sie in eine Zelle zu stecken, ketteten sie die Polizisten „über einen längeren Zeitraum" an eine Wand in der Nähe des Fahrstuhls. Combs erwirkte wegen der Sache später einen Vergleich mit der Stadt.

*Namen geändert

Während meiner Recherchen an den HTCIs ordneten die Gerichte für die meisten Angeklagten eine fünftägige Teilnahme an Programmen an. Die karitativen Vereine, die dies anbieten, sind sehr unterschiedlich. Manche, wie das Urban Justice Center, haben enge Beziehungen zu der Sexarbeiter-Community. Andere bedienen nur bestimmte ethnische Gruppen. Wieder andere haben ihre Wurzeln in einer feministischen Fraktion scharfer Kritikerinnen der Prostitution.

Sie bieten Yoga-Stunden, Kunst- oder Gruppentherapie an. Sozialarbeiter helfen Klientinnen bei Problemen mit den Einwanderungsbehörden, mit Wohnungsfragen oder der Kinderbetreuung.

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Frauen, mit denen ich gesprochen habe, beschrieben die Sozialarbeiter als freundlich und hilfreich. Aber die Hilfsleistungen, die sie anbieten, stünden diesen Frauen auch offen, ohne dass sie erst das Trauma einer Verhaftung durchleben müssten.

Ich habe die Leiter zweier solcher Organisationen interviewt: Jimmy Lee, den Direktor des christlichen Restore NYC, und Richterin Judy Kluger, die Direktorin des feministischen Sanctuary for Families (die bei der Schaffung der HTICs eine zentrale Rolle gespielt hat).

Neben Beratung bietet Sanctuary auch kostenlose rechtliche Unterstützung an und Restore unterhält ein Frauenhaus für elf Personen. Aber sowohl Kluger als auch Lee sind der Meinung, dass nur die Sexindustrie gewaltsam gegenüber Frauen ist, nicht die Polizei.

„Ich glaube, dass es wie in jedem bürokratischen Apparat, der rechtlich zur Gewaltanwendung ermächtig ist, Fälle von Missbrauch gibt, und dass diese schrecklich sein können", sagte mir Lee. „Aber ich finde, dass die Polizei wie auch die Zollbehörden, das FBI, die Rechtsorgane und das Gerichtssystem eine gute und positive Rolle in unserer Gesellschaft spielen können und das auch tun."

Lee und Kluger unterstützen das in Schweden praktizierte „Nordische Modell", das Freier und Manager bestraft, aber nicht die Sexarbeiter selbst. Ihr Ziel ist es, die „Nachfrage zu stoppen". Schwedische Sexarbeiter kritisieren das Model aber als hochgradig stigmatisierend. Es kann passieren, dass ihren Vermietern, Fahrern oder sogar Kolleginnen Zuhälterei vorgeworfen wird. Weniger Freier bedeuten zudem schlechter bezahlte Arbeiterinnen, die weniger gut in der Lage sind, sich um ihre Sicherheit zu kümmern.

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Die Gegner der Zwangsprostitution verunsichert diese Kritik nicht. Kluger sagte mir, dass Sexarbeit von Natur aus erniedrigend sei—und nichts, was irgendjemand freiwillig wählen könne. Laut Kluger haben die HTICs die Prostitution im Gerichtssystem entkriminalisiert, obgleich auch diese Gerichte nach wie vor mit Festnahmen und Haftstrafen arbeiten. Um ihre Einschätzung zu untermauern, berufen sich Lee und Kluger auf die gern zitierten, aber mittlerweile wider­legten Statistiken aus den Kreisen der Menschenhandelsgegner: „70 Prozent des Menschenschmuggels dienen der Zwangsprostitution"; „das Durchschnittseinstiegsalter von Prostituierten liegt bei 12 bis 14 Jahren". Auf Rückfragen konnte keine der beiden diese Aussagen belegen.

Aber wenn man tatsächlich glaubt, das alle Prostituierten vergewaltigt und zur Sexarbeit gezwungen worden sind, macht die Art, wie die Polizei sie behandelt, ungefähr so viel Sinn, wie geschlagene Ehefrauen zu verhaften.

Als die New York Times im November 2014 über den HTIC in Queens berichtete, fasste die Autorin die Gefühle der über ein Dutzend anwesenden chinesischen Migrantinnen im Gerichtssaal so zusammen: „Sie empfanden sich nicht als Opfer der Zwangsprostitution, sondern vielmehr als Opfer der Polizei."

Am 1. November kehrte ich noch einmal in den Gerichtssaal in der Bronx zurück, um der Urteilsverkündigung gegen Love beizuwohnen.Loves Anwältin unterstrich in ihrem Schlusswort, dass die Anklage keinerlei Beweise habe, dass sie dem Ermittler sexuelle Dienstleistungen angeboten habe. Sie berichtete über die großangelegte Razzia, die die Polizei für diesen Tag geplant hatte—mit zehn Polizisten in vier Autos. Sie waren fünf Stunden lang unterwegs gewesen, hatten aber noch niemanden verhaften können. Für sie war Love einfach ein Körper, mit dem sie den Gefangenentransporter füllen konnten.

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Der Staatsanwalt begann sein Plädoyer: „Ich kann dir für 20 einen Blowjob geben. Wenn du ficken willst, macht es 30. Wir können es auf der Straße machen", sagte er, als würde er Love nachäffen. Er machte sich über ihre Belastungsstörung lustig und beschrieb immer wieder ihre blonden Haare und ihr goldenes T-Shirt. Er fragte, warum sich Love wohl in einer Gegend aufgehalten habe, in der sie weder wohne noch arbeite. Er sagte, dass ihre vorherigen Festnahmen wegen Prostitution ihre Glaubwürdigkeit unterminierten, während die Polizisten keinerlei Grund hätten zu lügen. Es sei ein einfacher Fall. „Es passt alles zusammen", sagte er mit überheblicher Stimme. „Die Straftat der Prostitution hat nur wenige Komponenten. Zwei Personen. Geld."

Love starrte den Anwalt an, ihr Gesicht von Wut verzerrt. In ihren Augen sammelten sich Tränen. Sie ließ sie nicht heraus.

Im 19. Jahrhundert hatte sich in der Mittelschicht eine besondere, fromme Art des Feminismus die moralische Errettung der Armen auf die Fahnen geschrieben. Sich um Prostituierte zu kümmern verhalf Frauen aus der Mittelschicht zu einer respektablen Beschäftigung und zu dem aufregenden Gefühl, mit dem Laster auf Tuchfühlung zu gehen.

Aber, wie Professorin Ellen Carol DuBois von der Northwestern University richtig schreibt:

„Der Haken war, dass die Prostituierten sich als Opfer bekennen mussten. Die Interpretation der Prostitution als ,weiße Sklaverei'—laut der Frauen sich nur unter Zwang prostituieren—half Feministinnen, sich selbst als Sklavenbefreierinnen zu sehen. Aber wenn die Prostituierten keine Reue zeigten … verloren sie ihren Anspruch auf Hilfe und das Mitgefühl der Reformerinnen."

Ebendiese Reformerinnen sind die Großmütter der heutigen Gegnerinnen der Zwangsprostitution. Aber das Mitleid vieler dieser Unterstützerinnen führt keineswegs automatisch auch zu Respekt. Sexarbeiterinnen und Opfer von Menschenschmugglern bleiben Projekte und keine ebenbürtigen Partnerinnen—und so können sie dann auch unter Androhung polizeilicher Gewalt gezwungen werden, Hilfe anzunehmen, um die sie gar nicht gebeten haben. Die Frauen tun ihnen im Herzen leid. Aber zuhören wollen sie ihnen nicht.

Im Namen dieser Vorstellung von Hilfe hat die Anti-Zwangsprostitutionsbewegung auch weitreichende Über­wachungsmaßnahmen unterstützt. Sie haben Webseiten geschlossen, auf denen die Sexarbeiterinnen für sich warben oder sich untereinander organisierten. Sie unterstützen Razzien in Bordellen sowie NGOs, die Prostituierte in der Vergangenheit zur Arbeit in Ausbeuterbetriebe abgeschoben haben. Sie haben einen falschen Gegensatz geschaffen: zwischen weinenden Opfern und den seltenen „glücklichen Huren", die weiß und privilegiert sind und ihr Geld für Designerklamotten ausgeben.

Sie verleugnen hingegen die Existenz von Frauen wie Love.

Als Love ihren Freispruch hörte, wartete sie, bis sie den Saal verlassen hatten, und fiel dann ihrer Anwältin in die Arme.

Als ich Love in der darauffolgenden Woche zusammen mit ihren Anwältinnen in einem Diner in der Bronx traf, waren die Schmerzen des Prozesses aus ihrem Gesicht gewichen. In ihrem knallroten Kleid und der strassbesetzten Krawatte, wirkte sie stark und ausgeruht und bereit, ihr Praktikum als chirurgisch-technische Assistentin anzutreten.

„Fast alle, die wegen Prostitution angeklagt werden, lassen sich auf einen Vergleich ein, aber du hast dich entschieden, gegen die Anschuldigungen zu kämpfen. Warum?", fragte ich Love. „Weil es nicht … diesmal nicht. Nein, nein", sagte sie stockend. „Wann wird die Prostitution legalisiert?", fragte Love und nahm einen letzten Schluck Limonade. „Es sind kleine Vergehen. Es ist eine Verschwendung von Steuergeld. Von Arbeitszeit. Es ist einfach eine sinnlose Verschwendung."