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Wollen wir Flüchtlinge wirklich so in der Schweiz begrüssen?

Im Aargau werden Flüchtlinge erstmals in Zelten untergebracht.

Vor ein paar Wochen trafen zwei Teile der Schweiz aufeinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Die Mächtigsten und die Ohnmächtigsten. Bei der jährlichen Reise des Bundesrates kehrten die Chefs der Schweiz zum Mittagessen in einem Asylzentrum ein. Sie wurden von den Asylbewerbern mit gebratenem Reis, Nudeln und Fleisch aus riesigen Pfannen bekocht.

Eveline Widmer-Schlumpf wiegte zwischendurch ein Flüchtlings-Baby im Arm und bemerkte dabei sinnscharf, dass Menschen unterschiedliche Voraussetzungen im Leben haben. Ueli Maurer liess sich immerhin zum Kommentar hinreissen, dass das Essen mit viel Liebe zubereitet wurde. Und die Flüchtlinge auf den Fotos schöpften freudestrahlend noch eine Portion Reis. Alle waren für diesen einen Moment glücklich—bis auf die tobenden Blick-Kommentatoren, die sich sicher waren, dass Ueli Maurer Liebe mit Steuergeldern verwechselt.

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Doch leider geht auch der schönste PR-Moment der Gemeinsamkeit vorüber. Und übrig bleibt vor allem eines: Die Unterschiede. Die Unterschiede in den Voraussetzungen zwischen Menschen, die ihr Leben riskieren, um in der Schweiz eine neue Existenz aufzubauen und Menschen, die diesen Plänen mit bürokratischen Mauern entgegentreten. Die Unterschiede zwischen der Liebe, die der eine im Essen schmeckt und der andere im Kampf gegen diese Mauern zu verlieren droht.

Auf der ganzen Welt sind so viele Menschen auf der Flucht wie seit den Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs nicht mehr. Über 51 Millionen Menschen fliehen vor Krieg und Verfolgung. Bei den meisten endet die Flucht früh—sie kommen in den Nachbarländern unter. Im Libanon zum Beispiel istjeder vierte Bewohner ein syrischer Flüchtling. Obwohl bei uns derzeit kaum ein anderes Thema die Köpfe so erhitzt wie das Thema Asyl, wagen in Wahrheit nur wenige Flüchtlinge den gefährlichen Weg bis nach Europa.

Ein Mini-Bruchteil der Flüchtlinge kommt in die Schweiz. Ende des Jahres werden, nach Schätzungen des Bundes, 30.000 Flüchtlinge in der Schweiz Asyl beantragt haben. Doch schon das bringt die Kantone an ihre Grenzen.

Foto: USAG Humphreys | Flickr | CC BY 2.0

Die Asyl-Unterkünfte im Aargau sind bis auf den letzten Platz besetzt. Im Juni wies der Bund dem Kanton trotzdem so viele Asylsuchende zu wie nie zuvor. Wie die NZZ schreibt, greift der Aargau darum zu drastischen Mitteln: Er stellt 13 Armee-Zelte auf, in denen bis zu 140 Asylsuchende ein Dach über dem Kopf bekommen sollen. Die Unterbringung in den Zelten ist zwar nur bis November geplant, trotzdem drängen sich mir ein paar Fragen auf:

Wie kommen wir als eines der reichsten Länder der Welt auf die Idee, Menschen in Not in Zelte zu verfrachten?
Warum hat der Aargau nicht früh genug andere Unterkünfte organisiert?
Wo werden die Flüchtlinge ab November untergebracht?
Wo in einem Jahr?

Und vor allem: Wollen wir wirklich, dass unsere Willkommenskultur so ausschaut?

All diese Fragen sind irrelevant, wenn die Flüchtlinge den Behörden nur egal genug sind. Flüchtlinge freuen sich, lebend hier angekommen zu sein. Sie sind Menschen, die sich meist durch die staubtrockene Sahara, in Schlauchbooten über das Mittelmeer oder in Griechenland über hart bewachte Zäune gekämpft haben—nur um bei uns in Sicherheit zu sein. Und wie sagen wir ihnen hallo? Mit einem „Hast du Lust auf einen mehrmonatigen Zelt-Urlaub? Nein? Ach egal. Du hast hier ja eh nichts zu melden."

Titelfoto: Guian Bolisay | Flickr | CC BY-SA 2.0