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Simon Krieger: Palästina – Griechenland – Iran

Simon, der preisgekrönte Kriegsfotograf, macht sich für eine Multimedia-Reportage über die Flucht nach Europa auf nach Griechenland und reist dann weiter bis in den Iran.
Simon Krieger beim Checkpoint Qalandiya, fotografiert von Hadmi Abu Rahma

Simon Krieger trägt den richtigen Namen, denn die Dialekt-Redewendung „en härte Chriegr" passt auf ihn besser als auf jeden anderen—zumindest besser als auf jeden anderen, der in einer WG in der Grossbasler Altstadt lebt.

Simon hat vor ein paar Jahren entschieden, für eine selbstständige Arbeit im Rahmen seiner Lehre als Softwareentwickler in die Westbank zu reisen, das erste Mal für eine Woche. Über einen Aktivisten von „Anarchists against the Wall" kam er in Kontakt mit lokalen Widerstandsbewegungen in Palästina und erlebte schon in diesen sieben Tagen, wie das Militär palästinensische Frauen an Checkpoints aufhält, aber Leute mit dem Schweizer Pass freudig passieren lässt—mit dem Kommentar „You are the good guys". Simon kam wieder und wieder. Immer blieb er mehrere Monate, erlebte den Alltag in der Westbank, sah den roten Laser eines Snipers auch mal auf dem eigenen Bauch und dokumentierte mit seiner Kamera Proteste und Enteignungen.

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Begegnung zwischen Farmerin und Grenzpolizei in Bil'in; alle Fotos von Simon Krieger

Das israelische Militär während dem „March to Jerusalem" am Checkpoint Qalandiya

Während seinen Reisen war Simon in den Konflikten zwischen dem israelischen Militär und den palästinensischen Aktivisten mittendrin. Natürlich auch, um Übergriffe zu dokumentieren. Militär und Polizei hatten dementsprechend wenig Freude an ihm und so musste er lernen, wie man sich verhält, wenn jemand darum „bittet" Fotos von der Kamera zu löschen: „Wenn jemand dich zwingt, Material zu löschen, löschst du die Fotos und wechselst dann die SD-Karte. Dann kannst du sie auf dem PC einfach wiederherstellen. Das wissen eigentlich alle, nur Polizei und Militär offenbar nicht."

Ein Aktivist aus Bil'in wird während der Evakuierung des Al Manatir-Protests verhaftet

Konfrontationen mit der (Schweizer) Polizei habe ich an der Seite von Simon schon selbst erlebt, denn er war Kameramann bei unserer Doku Basel im Ausnahmezustand über die OSZE-Konferenz. Während den vier Drehtagen wurden wir mehrmals darum gebeten, die „Kollegen nicht bei der Arbeit zu stören". Was im Klartext meist bedeutete, dass wir Material löschen und abhauen sollten. Zig Mal hat man uns kontrolliert; einmal wurde uns mit einer Anzeige gedroht. Simon war im Gespräch mit den Herren Beamten immer ein Ruhepol, wenn ironisch, dann so, dass die Polizisten es nicht merkten.

Als die Demo am Freitagabend nach dem offiziellen Ende nicht beendet war, erlebte ich in den Gassen der Kleinbasler Altstadt, wie es ist, mit einem Kriegsfotografen zu filmen: Flogen von der einen Seite Gummigeschosse und von der anderen Seite kam Bauschutt, standen wir jedes Mal in der Mitte. Und wir mussten, immer näher und noch näher ran. Tränengas war Simon (und darum auch mir) egal, für Zweifel war keine Zeit—während den Scharmützeln nach der Demo war er so konzentriert wie ein Uhrmacher.

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Die Scharmützel nach der Demonstration gegen die OSZE-Konferenz in Basel

Andere Fotografen haben Schiss davor, in den Kessel zu gelangen. Simon hat keinen Schiss vor Gummigeschossen, keinen Schiss vor Flaschen und Bauschutt. Aber das heisst nicht, dass Simon unvorsichtig tollkühn ist: Er war an dem Abend schlicht zu konzentriert, um sich über hypothetische Dinge wie blaue Flecken Gedanken zu machen. Wenn er sich einmal unvorsichtig verhalten hat, dann bei seinem Ausweisantrag. Für Polizeikontrollen ist ein ID-Foto, auf dem man einen langen Iro trägt, einfach unvorteilhaft.

Ein paar Wochen später hatte ich mit Simon ein Feierabend-Bier im „Roten Engel" getrunken. Und da erzählte er mir nochmals von Javed und dem Reportage-Projekt. Javed ist ein Flüchtling—ursprünglich aus Afghanistan, aufgewachsen im Iran und seit elf Jahren im griechischen Asylverfahren. Simon verbrachte ein paar Wochen mit ihm und nahm sich vor, Javeds Flucht in einer Multimedia-Reportage zu dokumentieren. Simon will die Flucht, die Javed als 14-Jähriger auf sich genommen hat, rückwärts absolvieren. Von Patras via einer griechischen Insel nach Istanbul und durch die ganze Türkei bis nach Isfahan im Iran. Für uns Mitteleuropäer macht er die Reise, um zu dokumentieren, was Flüchtlinge auf sich nehmen. Für Javed macht er die Reise, um ein Foto von dessen Mutter zu machen (bzw. machen zu lassen. Womöglich wird Simon als Mann sie aus religiösen Gründen nicht selbst fotografieren dürfen).

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Javed in Griechenland

An jenem Abend im „Roten Engel" fabulierten wir bierselig, wie wir Javed helfen können. Wir machten uns Gedanken, ob wir eine Schweizer ID nach Griechenland schmuggeln und mit einer Prepaidkreditkarte vom Kiosk einen Flug buchen könnten. Eine Woche später rief mich Simon an: „Javed ist in Mitteleuropa! Er hat's geschafft. Dabei wollte ich schon morgen nach Griechenland fliegen." Statt nach Griechenland reiste Simon zu Javed, aber es hat wenig an den Reportageplänen geändert, dass Javed jetzt eine gewisse Chance auf Asyl hat. Ein Foto seiner Mutter besitzt Javed trotzdem noch nicht und die Situation von Flüchtlingen in der Türkei und in Griechelnad ist gleich geblieben. Und Simon hat die Nerven und die Kompetenzen, um darüber zu berichten.

Um sich Reise, Übersetzungen und alles andere zu finanzieren, sammelt Simon Geld. Auf wemakeit.ch kannst du ihn unterstützen. Auf reportage.simonkrieger.com kannst du dir die Beta-Version der Multimedia-Reportage anschauen.

Benj auf Twitter: @biofrontsau

Vice Switzerland auf Twitter: @ViceSwitzerland